Dialektserie
Frong S’ den Zehetner: „Des is fei koa Spass“

11.10.2022 | Stand 11.10.2022, 14:48 Uhr
Seids beim Butzkiah-Glaum gwen? −Foto: dpa

„Frong S’ den Zehetner“ ist die am längsten laufende Serie der MZ. Leser fragen, der Dialektforscher antwortet. Die Serie mit Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Ludwig Zehetner erscheint immer am letzten Freitag im Monat in der gedruckten Ausgabe und auf www.mittelbayerische.de

1. Spaß – Spass, Spassettln

Bairisch „Spàss, spàssen, gspàssig“ (mit kurzem hellem „à“ und „ss“) unterscheiden sich in Lautung und Bedeutung von außerbairisch „Spaß, spaßen, spaßig“, wo das Schriftzeichen „ß“ die Länge des Vokals anzeigt. Der Duden gibt an, „Spass“ sei österreichisch. Dabei gilt diese einzig richtige Form auch in Bayern. Im 16. Jahrhundert übernahm das Deutsche das italienische Wort „spasso“ (Scherz), gebildet zu „spassare“ (belustigen). Ist etwas nicht ganz ernst gemeint, sagt man, das ist bloß „a Spass / Gspass“ im Sinne von ‚Gaudi, Scherz, Jux’. Geläufig sind adverbielle Einschübe wie „ohne Spass“ oder „Spass ohne“ (ernsthaft). Niemals wird jemand, der dem Dialekt verbunden ist, sagen: „Das macht Spaaß“ (Vergnügen). Auch die Mehrzahl „Späße“ kennt das Bairische nicht, dafür verwenden wir „Spassetteln“ (mit italienischer Diminutivendung), wofür der Duden auch die verfehlte Schreibung „Spaßetteln“ führt. Eine Kuriosität liegt vor mit dem eigenwilligen Zwielaut „oa“ in mundartlich „Gspoass“.

In einer Erzählung von Emerenz Meier steht: „Er glaubt, i bin narrisch und er kunnt eahm an lustinga Gspoass macha mit mir.“ Mit der Neuordnung der Rechtschreibung erhielt das orthografische Sonderzeichen „ß“ eine sinnvollere Funktion, als es vorher hatte. Jetzt kann sauber geschieden werden zwischen „das Maß“ (Plural „die Maße“) und „die Mass (Bier)“ (Plural „die Massen“, wenn nicht von einem Zahlwort begleitet). Seien wir froh, dass wir das „ß“ haben (im Gegensatz zur Schweiz, wo man darauf verzichtet). In geschriebenem Dialekt lässt sich nun differenzieren zwischen „Fuaß, (er) muaß, hoaß“ (gesprochen: „Fuas, muas, hoas“) und „zwoa Fiass, sie miassn, a hoassa Stoa“.

Für Gerald Huber

2. Buzerl, Butzkiah, Kitzen

Mit „Butz“ ist etwas Kleines gemeint. Man denke an das Kosewort „Buzerl“ (Baby) und den „Bi-Ba-Butzemann“ (Kobold). Etwas verächtlich bezeichnet man kleine Kinder als „Buzlwar“. Auch „Apfelbutzen“ gehört hierher, und „Butzkiah“ bedeutet eigentlich: kleine Kühe. Wie lässt sich das erklären? Weil früher die Kinder kein vorgefertigtes Spielzeug hatten, behalfen sie sich mit leicht verfügbaren Dingen, so etwa beim Bauernhof-Spielen mit den Samenzapfen von Nadelbäumen. Die größeren von Fichte und Tanne stellten die Kühe dar, weshalb man sie „Butzkühe, Butz-elkühe“ nannte, was nichts anderes bedeutet als ‚Miniatur-Kühe‘. Die „Reigerl“ von den Föhren gaben die Rosse, die kleineren Lärchenzapfen stellten im Spiel die Geißen dar, weshalb man sie „Kitzen“ nannte. In den 1940er und 50er Jahren gingen die Familien in den Wald zum „Butzkiah-Klauben“, zum Sammeln von Zapfen. Erstaunlich ist, dass die Mehrzahlform „Butzkiah“ auch für die Einzahl verwendet wird, obwohl eigentlich „Butzkuah“ zu erwarten wäre. Jemand stellt fest: „Des Rohr is verstopft, steckt wahrscheinlich a Butzkia drin.“

Frage von Lambert Bart

3. Wurf, würfig, würflig

Für ‚verwirrt, durcheinander, der Sinne nicht mächtig, verhaltensauffällig‘ kennen die bairischen Dialekte den Ausdruck „würfig, würflig“, ausgesprochen „wiafig, wiaflig“. Die Mutter droht: „Wennts iatz ned boid aufràmts, wer i wiafig“, d. h. dann werde ich wütend, raste ich aus. Jemand jammert: „Der Computer spinnt scho seit a Stund. I kànnt wüafig wern mit dem Glump.“ Von einem psychisch Kranken heißt es: „Der is wüafig worn, den ham s’ auf Karthaus.“ Johann Andreas Schmellers unerschöpfliches Wörterbuch aus dem 19. Jahrhundert liefert in Band II, Spalte 995/6 folgenden Eintrag: „Der Würffel: Schwindel; würfig, würflig: schwindlig; (von Schafen) mit der Drehkrankheit behaftet; figürlich: irre im Kopf, jähzornig. Der Würfling: Mensch, mit dem nicht auszukommen ist.“ Das Adjektiv „würfig“ lässt sich gut herleiten vom Substantiv „der Wurf“ mit der Bedeutung ‚Benommenheit, Rausch‘. Man hört Sätze wie: „Wia-r-a vom Wirt kemma is, hod-a an saubern Wurf ghabt“, er war also schwer besoffen.

Anregung von Helmut Zehetmayer

4. Sacklzement, Greimschachterl

Ärgert sich jemand über ein Missgeschick oder eine Ungeschicklichkeit, so kann es sein, dass er oder sie ausruft: „Greimschàchterl!“ Das bedeutet ganz schlicht ‚Kreide-Schachtel‘; denn im Bairischen heißt die Kreide „Kreiben“, ausgesprochen „Greim“. Wie lässt sich erklären, dass der harmlose Ausdruck als Unmutsäußerung Verwendung findet? Dazu muss weiter ausgeholt werden. Gotteslästerliches Fluchen ist – so paradox es scheinen mag – als Phänomen einer religiös geprägten Gesellschaft zu deuten; denn nur wo Religion als selbstverständliche Basis gilt, können religiöse Begriffe herangezogen werden zum Fluchen, was notwendigerweise eine Tabuverletzung einschließt. Gerade in traditionell katholischen Regionen wie Altbayern flucht man in dieser Art. Im Beichtspiegel steht zum 2. Gebot: „Habe ich heilige Namen oder Worte unehrerbietig ausgesprochen oder als Kraftausdruck gebraucht?“ Gemeint ist damit: im Zorn oder in Erregung „Herrgott, Kreuz, Kruzifix, Sakrament“ missbräuchlich verwendet zum Fluchen, was man im Dialekt eher „Schelten“ nennt. Es ist nicht verwunderlich, dass man, um nicht ständig beichten zu müssen, man habe heilige Namen verunehrt, eine ganze Kollektion von Ausweichflüchen erfunden hat: lautliche Verfrem-dungen, Kürzungen oder unverfängliche Zusammensetzungen. Der Wortanfang von „Herr¬gott“ ist aufgegriffen in Unmutsfloskeln wie „Herrschaft, Herrschaftseitn, Hermannseitn“. Relativ unverfänglich klingt auch „Hàggod-Sà“. „Kruzi-“ findet sich kombiniert mit „-ment, -fuchs, -nali, -naln, -nesn, -türken, -fünferl“.

Nicht als blasphemisch empfunden werden „Sàckra, Sàckrawalt, Sàppra¬ment, Sàpperlott, Sàxndi“ und „Sàckradi“ (französisch „sacré dieu“, heiliger Gott). Geradezu genial ist die Hüllform „Sàcklzement“. Bei „sàckrisch“ denkt kaum jemand an „Sakrament“, noch weniger bei „mentisch“, erst recht nicht, wenn es sich zu „elementisch“ wandelt. „Element“ kann als geschickte Vermeidung des Worts „Sakrament“ gelten. Raffiniert ist der Ersatz von „Kreuz (Greiz)“ durch „Kreiben (Greim)“, wie das geschieht beim harmlosen Ausruf „Greimschachterl“, was mit „Greiz“ nur die Lautfolge „Grei“ gemeinsam hat. Wuchtiger klingen dagegen „Greim-Deife (Teufel), Greim-Element, Greim-Bombm-Element“.

Frage von Gerhard Hecht