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Fußballer, das war er vorher

„Dass ich Profi war, das ist lang her“, sagt Hans Dorfner. Sein Standbein ist die Fußballschule – und zwar sein erstes.

22.06.2012 | Stand 12.10.2023, 10:03 Uhr
Angelika Sauerer

Er bindet unzählige Fußballschuhe.

Der Knirps steht da, stolz die Hände in die Hüften gestemmt, das nagelneue rote Trikot leuchtet, die Shorts reichen bis zu den Stutzen hinunter. Ein Grashalm klebt an seiner erhitzten Backe. Gerade hat er ein Dribbling absolviert, um Hütchen herum, über Stangen drüber, unten durch, alles mit Ball. Und offenen Schuhbändern. Aber jetzt kniet ein Großer vor dem Kleinen und bindet ihm die Fußballschuhe. Und der Nächste wartet schon.

Geschult an der Hausmauer

Kann sein, dass keiner in den Schulferien mehr Fußballschuhe zuknotet wie der dreimalige Deutsche Meister vom FC Bayern München, Bundesliga-Profi beim 1. FC Nürnberg und ehemalige Nationalspieler. Hans Dorfner bindet Schuhe in Regensburg, wo er daheim ist, und in München an der Säbener Straße beim FC Bayern, er bindet sie in Althegnenberg und Kettershausen, in Hebertshausen und in Überacker, um nur ein paar Stationen zu nennen, an denen er mit seiner Fußballschule vor Ort ist. Ihm selber hat ja nie einer die Stollenschuhe gebunden. Und seine Fußballschule war die Hausmauer. An ihrem stoischen Widerstand verfeinerte er Nachmittage lang seine präzise Schusstechnik.

Der Tag begann um kurz nach sieben mit einer Dusche und einem Espresso. Um halb acht war er auf der Autobahn. Zwei Stunden, sagt das Navi, braucht er bis ins Schwäbische. Typischer Vielfahrer-Stil: zügig, aber nicht aggressiv, sehr konzentriert. Später auf der Landstraße überholt er mit Weitblick und Gas, im richtigen Moment. Genauso kamen damals seine Pässe: schnell, kurz, genau, vorausschauend. Er war der Regisseur im Mittelfeld, der Techniker, dem man ein Match anvertraut. Die „Seele des Spiels“ hat ihn der Club-Trainer Heinz Höher einst genannt. Hans Dorfner, der intelligente Vorbereiter. Der eiskalte Vollstrecker oder der abgebrühte Abstauber, das war er nicht.

Ist er nicht. Auch deshalb fährt er durch ganz Bayern und besucht seine Fußball-Camps. Wo Hans Dorfner draufsteht, muss schließlich auch Hans Dorfner drin sein. Die Fäden laufen also noch immer bei ihm zusammen. Viele seiner Trainer vor Ort sind junge Sportlehrer oder Sportstudenten. Typen, die Kinder cool finden. „Wie läuft’s?“ erkundigt sich Dorfner beim Trainer-Trio in Hebertshausen. „Bestens“, antwortet Mario Sauerbrey, Sportlehrer und ehemaliger Bayernliga-Spieler. „Aber gut, dass du da bist. Die Kinder haben schon dauernd gefragt, wenn du kommst.“ „Aha, der Chef persönlich schaut vorbei“, kommentiert ein Kiebitz auf der Terrasse des Sportplatzes das Geschehen. Vor ihm steht ein Weizen, nicht das erste, denn er wartet schon länger. „Hab’ dich spielen sehen, bei den Bayern “, sagt er dann, und zwinkernd: „Da hast’ aber no anders ausg’schaut.“ Das Übliche halt. Die Haare sind nicht mehr so blond und nicht mehr so lang. Aber Hans Dorfner lächelt, und das wird bleiben: die schräg gestellten Brauen und die Grübchen, spitzbübisch sieht das aus und jungenhaft, das typische „Hansi“-Lächeln. Aber eigentlich war er bei den Bayern der „Charly“. „Hans“ hieß er bei den Freunden in Undorf und bei der Mutter „Hanse“ – wie sie das sagt, hört er es am liebsten.

Undorf kennen jetzt alle Kinder

Hans Dorfner schart die Kinder auf dem Rasen um sich, damit sie ihm Fragen stellen können, und wenn sie nicht gleich welche haben, fragt er sie: „Was waren meine größten Erfolge? In welchen Bundesliga-Vereinen war ich? Wie oft habe ich in der Nationalmannschaft gespielt? Wer waren meine Mitspieler? Was war mein erster Verein?“ Die Antworten kommen jedes Mal wie aus der Pistole geschossen: dreimal Deutscher Meister, zweimal Zweiter, DFB-Pokal, Finale im Europapokal der Landesmeister. FC Bayern München und 1.FC Nürnberg. Sieben Einsätze im National-Team, ein Tor. Lothar Matthäus. ASV Undorf. Ganz Bayern – oder zumindest 5000 Kinder pro Jahr – kennen jetzt den kleinen Ort im Westen Regensburgs, wo Hans Dorfner aufgewachsen ist und mit sechs Jahren Fußball zu spielen begann.

47 Jahre wird er in gut einer Woche. Mit 16, als der FC Bayern ihn zu seiner Jugend nach München holte, wurde der aktive Fußball zu seinem Lebensinhalt. Das blieb er, bis Hans Dorfner mit 28 Jahren aufhören musste – also zwölf Jahre lang, neun davon als Profi. Jeder hätte ihm in dieser Zeit den ganz großen, internationalen Durchbruch zugetraut – wenn er nicht so oft verletzt gewesen wäre. Neunmal ist er operiert worden. Muskelbündel- und Bänderrisse, Meniskusprobleme, die Hüfte, das Kreuz, immer wieder zeigte ihm sein Körper die Rote Karte, bis er ihn ganz vom Platz stellte. Vorzeitig.

Hans Dorfner ist jetzt schon viel länger ein Nicht-Fußballer als ein Fußballer: 18 Jahre. Und wenn er den Kindern seine Fragen stellt, fragt er sich irgendwie auch selbst: Das war ich? Er könnte sehr, sehr stolz sein. Aber er ist lieber bescheiden. Ihm ist nichts in den Schoß gefallen, außer vielleicht sein Talent. Arbeiten musste er selber, auch in den spielfreien Zeiten damals in der Bayern-Jugend. Nicht jammern, seinen Job erledigen, auf dem Boden bleiben – das hat er vom Vater gelernt.

Nicht mal zum Spaß tritt er heute noch gegen den Ball. Auch bei dem Promi-Benefizspiel, zu dem der Skirennläufer und Paralympics-Sieger Gerd Schönfelder bei seinem Heimatverein SV Kulmain einlädt, wird Dorfner auf der Bank sitzen – als Coach. „Dass ich Profi war, das ist lang her“, sagt er. Jetzt organisiert er seine Fußballschulen wie damals das Mittelfeld. „Ist das dein zweites Standbein?“ hat ihn der Kiebitz vorher gefragt. „Nein, mein erstes.“ 5000 Kinder im Jahr und die Zusammenarbeit mit dem FC Bayern München – das war sein Durchbruch. Dieses Niveau will er halten.

Vater und Tochter – ein Team

Am späten Nachmittag ist er zurück in Regensburg. Kurz heim, duschen, dann ab in die Arbeit. Nachdem er den Laden in der Unteren Bachgasse aufgegeben hat, ist er mit dem Büro in zwei Räume in einer ehemaligen Patrizierburg aus dem 13. Jahrhundert umgezogen. Im Hauptraum war die mit deckenhohen Fresken verzierte Hauskapelle, hier steht Dorfners PC. Fast 200 neue Mails zeigt er an, es müssen noch Termine ausgemacht und Details für die nächsten Camps abgestimmt werden. Hans Dorfner will alles unter Kontrolle haben, jedes Detail. Dass die Trikots, die die Kinder bekommen, mal in einem Jahr nicht die Qualität hatten, die er sich vorstellte, fuchst ihn heute noch. Julia Dorfner, seine große Tochter, lächelt. „So ist der Papa“, sagt die 22-Jährige und macht eine kleine Pause – „aber ich bin genauso.“ Ungeduldig, vorwärtsgewandt, zielstrebig. Sie arbeiten richtig gut zusammen.

Familie und italienische Nudeln

Später werden sie sich daheim auf der Terrasse zusammensetzen und was essen. Der Rest der Familie – seine Frau, die siebenjährige Tochter und der 18-jährige Sohn – macht Urlaub. Italienische Nudeln, ein Glas Weißwein dazu, Regensburg, die Familie – mehr braucht’s gar nicht. „Papa, wann bist du glücklich“, hat ihn seine Kleine mal gefragt. „Wenn’s euch allen gut geht“, hat er geantwortet. Nach dem Essen ruft er sie auf alle Fälle an. Und morgen, da bindet er wieder Kindern die Fußballschuhe zu.