MZ-Serie
Gastwirt in der sechsten Generation

Der Schlappinger-Hof ist ein Prachtstück von einem Wirtshaus. Reisbach im Vilstal aber steckt noch immer voller Geheimnisse.

14.11.2015 | Stand 16.09.2023, 6:53 Uhr
Thomas Dietz

Sebastian Pross, Wirt der 6. Generation, mit Lehrling Steffi (19), bald Hotel- und Restaurantfachfrau. Am Tresen: Edelbrände. Ausgeschenkt werden Biere von Lang, Arco und Klosterbräu Seemannshausen. Foto: Thomas Dietz

„Reisbach, du bist keineswegs der geringste unter den Märkten des Vilstales“, liest man in einer Chronik des 19. Jahrhunderts. Und in der Festschrift „1200 Jahre Reisbach“ von 1960 steht: „Es wissen wenige, selbst von den Einwohnern des reizend gelegenen Marktfleckens allzu wenige, von dem ehrwürdigen Alter und der stolzen Geschichte des Ortes...“

So hat dieser Markt einst große Tage gesehen. An vielen Stellen und Ecken findet man Merkwürdigkeiten und spürt eine uralte Aura des Besonderen, überragt von der weißen Pfarrkirche St. Michael. Am bekanntesten dürfte die Synode von Reisbach sein, die um 799 stattfand und eine lange Liste praktischer Regelungen für Priester und Ordensleute hervorbrachte – etwa: „Kein Bischof oder Abt möge es wagen, Angelegenheiten des Adels an sich zu ziehen.“ Oder: „Witwen, Waisenknaben und -mädchen, Lahme und Blinde mögen nach Möglichkeit von den Bischöfen ferngehalten werden.“

Dann gab es die Hl. Wolfsindis, die heimlich Christin wurde und Schutzheilige des Ortes ist. Ihr wutschnaubender, heidnischer Vater ließ die zarte Jungfrau von einem Pferd zu Tode schleifen. An der Stelle, wo sie starb, sprudelt eine Quelle, der man noch heute heilende Kräfte (besonders für Augenleiden) zuschreibt – direkt vor der 1816 errichteten Kapelle.

Der historische Ortskern verfügt über eine erfreuliche Dichte an Wirtshäusern. Gegenüber dem reizvollen, raffiniert-vieldeutigen Marktbrunnen – eine Schöpfung des Bildhauers Joseph Michael Neustifter (*1949) aus Eggenfelden – liegt der Schlappinger-Hof. Die Brunnenspitze trägt das Bild der heiligen Wolfsindis mit Siegespalme, dem Pferd, das sie zu Tode schleifte, und ihrem wundersamen Kirchlein.

Tische mit bequemen Fußleisten

Der Name geht auf Franz Paul Schlappinger zurück, der 1788 das „Wischlburger-Niedermayer-Bräuanwesen“ kaufte. Knapp hundert Jahre später kam das Landrichterhaus rechter Hand dazu und wurde baulich zum heutigen Erscheinungsbild vereinigt.

Als Theresia Schlappinger 1965 Richard Pross heiratete, hatte man die Bierbrauerei schon eingestellt. Der Charakter einer Braustätte ist nach der Grundsanierung Anfang der 80er Jahre jedoch erhalten geblieben: im Eingangsbereich gibt es einen alten Braukessel mit gusseisernen Klappen, im Zentrum der Gaststube einen Maischebottich unter hölzerner Decke.

Außerdem existiert ja noch das rustikal-heimelige Landhotel mit 30 Zimmern und 42 Betten. Einige Räume besitzen Gewölbe, die von Granitsäulen gestützt werden – im Erdgeschoss leuchten gar magische Minilämpchen aus den Backsteinfugen; sie hängen an einem unsichtbaren Glasfasernetz.

Selbst gemachte Milchschnitten

Eine besondere Stellung nehmen die Dessert-Überraschungsteller ein, auf denen sich zuweilen lauwarme Schokotörtchen, Creme Parfait und hausgemachte Petit Fours befinden. Es gibt selbst gemachte Milchschnitten, dunkel-hell-dunkel geschichtet, die nicht nur jüngere Gäste gern bestellen.

Im Schlappinger-Hof werden die selbst gebrannten Edelbrände der Familie Georg Esterl aus Niederreisbach angeboten (vier Goldmedaillen allein 2014): Vogelbeergeist, Apfelbrand fassgereift oder Kriacherl – ein Stamperl davon kostet allerdings 4,90 Euro.

Reisbachs Geheimnisse sind damit noch nicht abgehandelt. Am 24. August 1749 gab es einen verheerenden Heuschreckenüberfall. Und vor 20 Jahren erbte die Stadt eine reizvolle Bronzeskulptur – „Die Liebenden“ – deren Herkunft gänzlich im Dunkeln liegt.

Lage des Wirtshauses

Alle Teile der Serie „Historische Wirtshäuser“ finden Sie hier.