Interview
Grönemeyer und die Oma als Vorbilder

Im „Sonntagsfrühstück“ sprach Redakteurin Angela Sonntag mit Schauspielerin Nora Tschirner über den Dokumentarfilm „Embrace“.

10.05.2017 | Stand 16.09.2023, 6:34 Uhr

Nora Tschirner würde ihren Körper humorvoll als „langgliedrig“ beschreiben. Foto: dpa

Die australische Fotografin Taryn Brumfitt ist Mutter dreier Kinder – und sie war unglücklich in ihrem Körper. Also hat sie sich als Ziel gesetzt, so zu trainieren, bis sie an einem Bodybuilding-Wettbewerb teilnehmen konnte. Das hat sie geschafft – gänzlich glücklich war sie wieder nicht. Denn als sie ihre kleine Tochter beim unbekümmerten Spielen sah, dachte sie sich: „Ich will nicht, dass es ihr einmal genauso geht. Ständig irgendwelchen Idealen unterworfen.“ Also entschied sie sich, so mit sich zufrieden zu sein, wie sie ist. Sie postete ein fast nacktes Vorher-Nachher-Foto auf ihrer Facebookseite und löste damit einen Begeisterungssturm aus. Das Thema „Body Image“ rückte in den Fokus der Öffentlichkeit. Taryn begann um die Welt zu reisen und Frauen, die unter vermeintlichen Schönheitsidealen leiden, einen Gegenentwurf vorzustellen. Das alles hielt sie in einem Dokumentarfilm fest. Die deutsche Schauspielerin Nora Tschirner war begeistert von Taryns Idee und wollte sie unterstützen, so gut es ging. So wurde sie zur Produzentin und bringt den Dokumentarfilm „Embrace“ jetzt in einem Kinoevent am 11. Mai nach Deutschland. Im Interview erzählt sie von ihrer Motivation, ihrer Idee vom Schönheitsideal und was sie für ihren Körper tut.

Wie bist Du auf das Thema „Schönheitsgefühl“ gekommen und wie entstand die Zusammenarbeit mit Taryn Brumfitt?

Mit dem Thema in Berührung kam ich, deutlich bevor ich von dem Film gehört habe. Mich hat es beschäftigt, weil ich in meinem Umfeld vermehrt mit Frauen zu tun hatte, die ich für sehr talentiert und intelligent hielt, und die plötzlich mit zunehmendem Alter und der Veränderung ihres Körpers ständig mit sich haderten und sich in diesem Thema versteiften. Das hätte ich von diesen Frauen nie erwartet. Ich hätte nie gedacht, dass das so in ihnen schlummert. Da waren Mütter mit jungen Kindern, und noch während die Babys recht klein waren, waren die Frauen schon wieder auf das In-Form-Bringen ihres eigenen Körpers fokussiert. Ich habe angefangen, über das Thema nachzudenken, darüber zu lesen, und mich gefragt: Wie kann man es angehen, was kann man tun, wie bringt man das Thema auf die Agenda?! Als Nächstes habe ich bei Kickstarter(eine US-amerikanische Crowdfunding-Plattform, die Künstler und Erfinder unterstützt, Anm. d. Red.)den Spendenaufruf von Taryn für ihren Dokumentarfilm gesehen. Ich fand ihren Aufruf so gut formuliert, dass ich mich gleich beteiligen wollte. Wir kamen in Kontakt, weil ich eine größere Summe gespendet habe, und Taryn war gespannt, wer hinter dieser leidenschaftlichen Beteiligung vom anderen Ende der Welt steckt. Wir haben schnell gemerkt, dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten, was die Thematik betrifft. Der nächste Schritt war die Überlegung, ob der Film neben vielen anderen Orten thematisch auch in Europa stattfinden sollte. Dafür fehlte aber immer noch eine Stange Geld. Und so bin ich als Executive Producer eingestiegen.

Wie waren die Reaktionen, dass Du so ein Projekt unterstützt? Auf Facebook wurde der Trailer des Films von Deiner Seite aus beispielsweise innerhalb von 48 Stunden 19000 Mal geteilt und über 2000 Mal kommentiert. Welche Reaktionen haben dich am meisten berührt?

Der ganze Diskurs ist sehr bewegend. Da hat mich einiges berührt. Ich bekomme auch viele Zuschriften, in denen mir Frauen persönliche Schicksale schildern, oder von Therapeuten, die mit Kindern arbeiten, die an Essstörungen leiden und fragen, ob sie diesen Film für ihre Arbeit bekommen können. Da merkt man, dass es ein großes Bedürfnis gibt, dieses Thema zu besprechen. Es gibt also sehr viele einzelne Reaktionen, die berühren. Aber auch die Zahlen im Gesamten gesehen, wie sich das verbreitet, sind Wahnsinn. Das zeigt, es gibt einen großen gesellschaftlichen Bedarf, das Thema weiter zu durchdringen.

Gab es auch negative Rückmeldungen?

Kaum. Es gibt zwar tatsächlich auf Youtube heftige Kommentare. Das habe ich mir aber irgendwann nicht mehr angeschaut. Wenn man die Entstehung von „Embrace“ kennt und weiß, was Taryn für Hater-Kommentare abbekommen hat, dann ist das nichts Neues mehr. Kennt man einen Hater-Kommentar, kennt man alle, à la „Ihr fetten Schweine“ oder „Das ist doch nur eine Ausrede, weil ihr faul seid“. Das erschrickt mich aber nicht mal mehr, weil ich sehe, wie der Film auf der anderen Seite angenommen wird. Den Hatern dagegen kann ich nur Glück wünschen. Denn wer ernsthaft glaubt, ein definierter Bizeps allein garantiere die Fahrkarte zu Seelenfrieden und Glück, für den hält das Leben unter Umständen noch die ein oder andere unangenehme Überraschung bereit.

Was waren für Dich die größten Schwierigkeiten als Produzentin?

Der Löwenanteil meiner Arbeit begann jetzt bei der Herausbringung des Films in Deutschland, weil ich hier natürlich die Film- und Medienlandschaft besser kenne als die australischen Kollegen. Als Tochter eines Dokumentarfilmers verstehe ich auch besser, wie die Kinolandschaft mit einem Dokumentarfilm umgeht. Ich habe also die komplette Verantwortung für die Herausbringung hier übernommen – von Kommunikationsstrategie, über die Wahl des Verleihers, bis hin zur Überlegung, ob überhaupt, wann und wie man den Film ins Kino bringt. „Embrace“ ist schon in anderen Ländern gelaufen, da konnten wir gute Erfolge erzielen und haben gewisse Erfahrungswerte. Das möchte ich natürlich auch für Deutschland erreichen.

Du bist selbst Teil des Films, zeigst die Seite der Prominenten, wie sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen und bewertet werden. Wie ist Dein Empfinden, über diese ständige Beobachtung?

Puh, ich kann das nicht so allgemein sagen. Ich kann nicht in den Kategorien denken, prominent oder nicht-prominent. Ich verstehe genau, was du meinst, aber ich finde, es ist ganz unterschiedlich. Für mich selbst ist der Druck nicht mehr besonders spürbar. Wenn zu mir jemand heute am roten Teppich sagt: „Das ist aber komisch, was Sie da anhaben“, dann würde ich erstmal lachen. Ich fühle mich eher in der Verantwortung, weil junge Menschen beispielsweise zu uns aufschauen und denken, wir leben einen Traum – wir schweben als Cinderellas über rote Teppiche. Dabei führen wir ganz stink-furz-normale Leben. Wenn Fans uns also nacheifern, wissen sie oft gar nicht, dass unser Leben nicht nur aus Glamour besteht. Wie stark man den Druck vonseiten bestimmter Medien empfindet, kann man selbst beeinflussen. Das muss man tatsächlich auch ein bisschen üben. Das hat viel mit einer Denkstruktur zu tun, der man entwachsen muss. Aber das geht, wenn man will. Etwas anderes schreibt einem keiner vor.

In „Embrace“ geht es auch darum, dass Frauen sich mit anderen vergleichen. Vergleichst Du dich mit anderen?

Ich habe schon relativ früh versucht, mir Vorbilder zu suchen, die nichts mit Äußerlichkeiten zu tun haben. Herbert Grönemeyer war für mich beispielsweise ein Vorbild. Ich fand es super, dass er gezeigt hat, wie man mit dem, was man macht, überzeugen kann – ohne dabei aber eine Homestory machen zu müssen, nur weil das andere behaupten. Meine Oma ist ein Vorbild. Sie hat sehr selbstbestimmt gelebt und war bis zum Schluss ein lebensfroher Mensch.

Taryn Brumfitt reist in dem Film durch mehrere Länder und sieht sich die verschiedenen Auffassungen von Schönheit in den unterschiedlichen Kulturen an. Was ist Deine Auffassung, was das Schönheitsideal bei uns in Deutschland ist?

Es kommt darauf an, beziehungsweise ändert sich das ja. Vor Kurzem war das Schönheitsideal noch „thigh gap“(eine Lücke zwischen den Oberschenkeln, Anm. d. Red.)und sehr schmal. Jetzt ist eher wieder ein runder Po in, trotzdem dünne Oberschenkel, Bräunung, marmorierte Haarfarbe. Das ist gerade der Typ Frau, der oft gesehen wird. Das heißt aber nicht, dass alle darauf stehen. Geschmack ist eben individuell.

Es gibt beim Film den Spruch: „Das Fernsehen packt immer noch einmal fünf Kilogramm drauf“. Stimmt das?

Keine Ahnung. Ich glaube, dass man allgemein anders aussieht. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass man Leute ganz anders einschätzt, wenn man sie im Fernsehen sieht und dann in echt. Mir ging es beispielsweise bei Til(Schweiger, Anm. d. Red.)so. Den habe ich mir ganz anders vorgestellt. Das kann ich jetzt nicht an speziellen Merkmalen festmachen... einfach anders.

Was tust Du für Deinen Körper, im Bezug auf Schönheit, Sport, Gesundheit und so weiter...

Da sprichst du drei wichtige Punkte an, die man trennen muss. Schönheit, Sport und Gesundheit sind vollkommen unterschiedliche Bereiche. Also gut, was mache ich schönheitsmäßig ....(überlegt)... ich zupfe mir ab und zu die Augenbrauen, aber eher sporadisch. Manchmal auch gar nicht, ich finde das sieht auch spannend aus. Ich schneide mir die Fingernägel. Natürlich wasche ich mich regelmäßig(lacht).Aber so richtig beautymäßig kommen wir da an die Grenzen. Oh Moment, bis auf zwei Mal Pediküre im Jahr. Im Alltag schminke ich mich nicht. Ich habe höchstens ab und zu eine Tagescreme, die Rötungen versteckt. Und ab und zu trage ich Rouge... das Rötungen macht, haha. Wenn es mal mehr ist, sagen meine Freunde schon: „Ach, hast du heute wieder Pressetag?“. Beim Sport ist es so, dass es die Kombination Sport+Schönheit gibt. Das verbiete ich mir grundsätzlich. Das gibt es bei mir nicht. Wenn beispielsweise ein Shooting ansteht, und ich selbst überlege, „das könnte hier und da aber jetzt ein bisschen straffer sein“, dann bremse ich mich selbst aus. Ich will mich davon nicht bestimmen lassen. Den Sport+Gesundheits-Aspekt sehe ich aber anders. Ich merke, dass mein Körper nicht mehr so funktioniert, wie er mal funktioniert hat. Wenn ich zum Beispiel am Tatort-Set stehe und in einer Szene aus dem Stand lossprinten soll, dann blockiert mein Muskel, so ganz ohne Aufwärmen. Ich versuche also im Alltag mehr Bewegung zu integrieren, lieber mal die Treppe zu nehmen und spazierenzugehen. Das mag ich recht gerne.

In Anlehnung an die Frage im Film: Wie würdest Du Deinen Körper beschreiben?

Viel zu fett(lacht). Nein, wenn Du äußerlich meinst: Ich würde meinen Körper als langgliedrig beschreiben. Und trotzdem weich und rund.

Hast Du einen besonderen Wunsch, was Du oder Ihr mit diesem Film erreichen wollt?

Wenn er nur ein paar kleine Schalter in ein paar Köpfen umlegt, haben wir schon etwas geschafft. Und wenn ein paar Leute danach etwas weniger streng zu sich selbst sind, würde mich das sehr froh machen.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.

Aktuelles aus der Region und der Welt gibt es über WhatsApp direkt auf das Smartphone:www.mittelbayerische.de/whatsapp!