Ein 40-Jähriger springt aus einem Fenster im Erdgeschoss in die Freiheit. Der verurteilte Mörder war nur mit seinem Verteidiger im Anwaltszimmer und kannte sich womöglich bestens aus - es war sein vierter Termin in Regensburg. Es gibt neue Details, die Fahndung nach dem gefährlichen Gewalttäter läuft derweil weiter auf Hochtouren.
+++ UPDATE +++
Sie haben ihn: In Regensburg geflohener Mörder ist gefasst
Seit dem frühen Donnerstagnachmittag sucht die Oberpfälzer Polizei nach einem verurteilten Raubmörder in Regensburg. Er floh kurz vor der Urteilsverkündung in einer ganz anderen Sache aus dem Justizgebäude. Das ergaben MZ-Recherchen. Der 40-Jährige lief in Richtung Dörnbergpark davon. Laut Polizei soll der Algerier gewaltbereit sein – nur eineinhalb Stunden nach dem Vorfall wird mit Fotos öffentlich nahm ihm gefahndet.
Der Angeklagte kannte das Justizgebäude: Er ging in einer Sitzungspause mit seinem Verteidiger ins sogenannte Anwaltszimmer. Mit dabei waren natürlich die zwei Polizisten, die ihn von der JVA zum Prozess nach Regensburg gefahren hatten. In den Raum gingen sie nicht, was allerdings gängige Praxis ist. Denn: Auch ein verurteilter Mörder muss mit seinem Anwalt unter vier Augen sprechen können. Genau dafür gibt es das kleine Zimmer im Erdgeschoss, direkt neben dem Kaffee- und Getränkeautomaten.
Milchglasfolie an Tür und Glasscheiben
Was in dem Raum passierte, konnten die Vorführbeamten jedoch nicht sehen – denn Tür und Glasscheiben des Zimmers sind mit undurchsichtiger Milchglasfolie beklebt. Genau das nutzte der 40-Jährige kurz nach 14 Uhr aus, sprang kurzerhand aus dem Fenster. Das filmte wohl eine Überwachungskamera am Eingang.
Die Technik für das umfangreiche Videosystem im Regensburger Justizgebäude war zuletzt auf den neuesten Stand gebracht worden – nur die Außenkameras waren mit einiger Verspätung erst vor wenigen Wochen geliefert und installiert worden. Zum Glück: So konnte zumindest die Fluchtrichtung erfasst werden.
Mord an einer Nürnberger Kioskbesitzerin
Der Flüchtige hatte vor fast zwölf Jahren eine 76-Jährige in Nürnberg ermordet.Gemeinsam mit seinem damals gerade 16 Jahre alten Bruderüberfiel er die Besitzerin eines Lottoladens nahe dem Plärrer am Karsamstag 2011, um Zigaretten zu stehlen. Gemeinsam schlugen sie auf die wehrlose Seniorin ein und erwürgten sie. Dafürverurteilte das Landgericht in Nürnberg ihn wegen Raubmordeszu lebenslänglicher Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Diese Strafe sollte der Mann wie üblich in der JVA Straubing absitzen – doch ein weiterer Vorfall dort brachte ihn in ein anderes Gefängnis und erneut vor Gericht.
Lesen Sie hier die Hintergründe zu demMord in Nürnberg.
Seit 24. November musste er sich am Amtsgericht in Regensburg wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. Wie Recherchen ergaben, wollten Wärter 2021 seine Zelle dort nach einem illegalen Handy durchsuchen. Das brachte den 40-Jährige zum Ausrasten. Am Donnerstag wurden nun nach vier Prozesstagen im Sitzungssaal 205 die Plädoyers gehalten – die kurze Pause bis zur Urteilsverkündung nutzte der Mann schließlich für die Flucht.
Bekannter Strafverteidiger war mit im Raum
Einziger Augenzeuge wurde sein Anwalt – und der ist kein Unbekannter: Moritz Schmitt-Fricke aus Mainz vertrat vergangenes Jahr den unter Terrorverdacht stehenden und verurteilten Soldaten Franco A. aus Offenbach. Auch dieser Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Zum Fenstersprung vom Donnerstag wollte sich der Anwalt auf Nachfrage jedoch nicht äußern.
Trotz einer Großfahndung mit vielen Streifen und Unterstützung eines Hubschraubers gelang es der Polizei bis zum Abend nicht, den verurteilten Mörder wieder festzusetzen. Immer wieder wurden nach Zeugenhinweisen und verdächtigen Beobachtungen verschiedene Örtlichkeiten durchsucht, unter anderem ein Bürogebäude in der Bahnhofstraße. Auch da war er aber nicht.
Die einbrechende Dunkelheit spielte dem Mann auf seiner Flucht natürlich in die Karten. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass der 40-Jährige womöglich Helfer hatte und sich gar nicht mehr in der Region aufhält. Anhaltspunkte dafür gab es laut Auskunft von Polizeisprecher Florian Beck allerdings nicht.
Richterin verkündet Urteil in Abwesenheit
Seinem Urteil ist der Mann mit der Flucht übrigens nicht entgangen: Wie Richter Thomas Schug, der Sprecher des Amtsgerichts, bestätigte, wurde der 40-Jährige in Abwesenheit zu einem Jahr Haft verurteilt. Die Chance, seine lebenslängliche Strafe bald zu beenden, dürfte das deutlich minimieren. Wenngleich die Flucht selbst keine Folgen haben dürfte – der Versuch ist in Deutschland nämlich straffrei.
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