Brexit
Harmonie sieht anders aus

Auch nach der Entscheidung des Supreme Courts, dass die Zustimmung des Parlaments notwendig ist, bleibt das Land gespalten.

26.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:41 Uhr

Dr. Andrea Edenharter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Regensburg.

Von September bis Dezember 2016 verbrachte ich einen Forschungsaufenthalt an der Universität Oxford. Die Nachwirkungen der Brexit-Entscheidung vom Juni waren noch allgegenwärtig. Nachdem sich die Mehrheit der Wähler in dem Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen hat, ist das Entsetzen darüber an den britischen Universitäten groß. Jenseits etwaiger Sorgen um das Schicksal des eigenen Fachbereichs (dies betrifft in erster Linie die Professoren für Europarecht) macht man sich von Seiten der Universitäten ernsthafte Gedanken um die Fortsetzung der Austauschprogramme mit anderen europäischen Universitäten und um deren Finanzierung. Konkrete Lösungsansätze hierfür gibt es bislang nicht. Die Brexit-Entscheidung kam für die akademische Welt in Großbritannien – wie auch für die britische Regierung – allzu überraschend.

Anfang Dezember entschied der High Court, dass die Regierung den Brexit-Antrag bei der EU nicht alleine stellen könne, sondern die vorherige Zustimmung des Parlaments erforderlich sei. Ein Aufschrei ging durch das Land, die Richter wurden von der Boulevard-Presse als „Feinde des Volkes“ beschimpft und Gina Miller, die Bankerin, die gegen den Brexit-Antrag ohne parlamentarische Zustimmung geklagt hatte, bekam Morddrohungen.

Dies alles sind Momentaufnahmen, aber doch auch Symptome eines weit fundamentaleren Problems: der tiefen Spaltung des Landes. Dass sowohl die Regierung als auch die akademische Welt von der Austrittsentscheidung so kalt erwischt wurden, zeigt vor allem eines: dass die britischen Eliten den Kontakt zum Volk und dessen Sorgen und Nöten verloren haben. Ein solches Hinhören wäre jedoch erforderlich, wenn man verhindern möchte, dass frustrierte Wähler auf die plumpen Parolen von populistischen Rattenfängern hereinfallen.

Die EU ist dabei eine willkommene Zielscheibe, die leicht für die Missstände im Land verantwortlich gemacht werden kann. Dabei ist unerheblich, dass für die sozialen Probleme im Land nicht primär die EU und deren Einwanderungspolitik, sondern vielmehr hausgemachte Ursachen verantwortlich sind.

Eine dieser Ursachen ist die geringe Durchlässigkeit der britischen Gesellschaft. Die leitenden Positionen im Land werden traditionell unter den Absolventen der großen Eliteuniversitäten verteilt, deren Besuch für Kinder aus Arbeiter- oder Migrantenfamilien in der Regel ein unerfüllbarer Traum bleibt. Sie scheitern mangels entsprechender Vorbereitung an teuren Privatschulen schon im Auswahlverfahren, von der Problematik der Studiengebühren ganz zu schweigen. Dass diese Art der Elitenrekrutierung dazu beiträgt, den sozialen Zusammenhalt zu gefährden, liegt auf der Hand.

Der Supreme Court bestätigte nun die Entscheidung des High Court, sodass vor einem Brexit-Antrag der Regierung zunächst das Parlament entscheiden muss. Die Parlamentarier haben angekündigt, einem entsprechenden Gesetz zuzustimmen. Auch wenn die politischen Eliten hier dem Willen der Wähler folgen, wird dies allein die Spaltung im Land nicht beheben. Letzteres ist vielmehr die große Aufgabe für die Zukunft.