Polizei
Hoch zu Ross auf Streife

Bei der Bayerischen Polizei-Reiterstaffel arbeiten Pferde und Reiter als eingespieltes Team zusammen – zum Schutz der Bürger.

16.05.2017 | Stand 16.09.2023, 6:33 Uhr
Kerstin Hafner

2013 war die Reiterstaffel beim Fußballderby Bayern II – 1860 München II vor Ort. Im Verlauf des Einsatzes kam es zu derben Ausschreitungen, in deren Folge die „Berittenen“ Einsatzhelme mit Visier bekamen. Foto: PI ED 4 – Reiterstaffel

Eine Mäuseplage gibt es schon mal nicht im großen „Hufeisenstall“ auf dem Olympiareitgelände München-Riem. Dafür sorgen die zwei wohlgenährten Dienstkatzen Momo und Mogli vom Hauptquartier der Reiterstaffel der Bayerischen Polizei gleich nebenan. Erster Polizeihauptkommissar Andreas Freundorfer grinst: „Dienstkatzen heißen sie halt, weil ihre Tierarztkosten von unserem Budget beglichen werden. Und natürlich auch ihr Futter. Die ernähren sich ja nicht nur von Mäusen.“ Freundorfer ist seit acht Jahren der Dienststellenleiter hier. Mit sichtlichem Vergnügen zeigt er das ruhig und grün gelegene Refugium seiner aus 36 Beamten und 41 Pferden bestehenden Abteilung im Münchner Osten, schräg gegenüber der Messehallen – zwischen Trabrennbahn, Olympiareitstadion und Galopprennbahn. Unter seinen aus ganz Bayern rekrutierten Beamten befinden sich gleich zwei Regensburger, Florian Polo und Michael Held.

Die Dienstpferde werden in ganz Deutschland gekauft, die meisten stammen aber aus der Bayerischen Warmblutzucht. Interessanterweise ist derzeit kein einziges vom berühmten Haupt- und Landgestüt Schwaiganger darunter. „Das liegt wohl an unserem niedrigen Ankaufspreis“, erklärt Freundorfer. „Wir kaufen normalerweise vier- bis sechsjährige Pferde, haben aber für jedes nur ein Budget von maximal 7000 Euro, das ist nicht allzu viel, betrachtet man die hohen Anforderungen, die unsere Kandidaten erfüllen müssen.“ Alle Tiere müssen die sogenannte große Ankaufsuntersuchung mit Röntgenbildern der Beine plus Wirbelsäule überstehen, einen stattlichen Körperbau besitzen und in diversen optischen, akustischen und haptischen Reiztests Nervenstärke beweisen.

Hier finden Sie ein Interview mit dem gebürtigen Regensburger Polizeihauptmeister Florian Polo!

Die Pferde werden jeden Tag bewegt und regelmäßig trainiert

Polizeipferde tun in der Regel 15 Jahre Dienst. Dafür müssen sie fit sein. „Normalerweise kaufen wir pro Jahr drei junge und mustern drei alte aus, um immer einen gemischten Bestand zu haben. Potenzielle Kandidaten leihen wir uns 14 Tage zum Testen, erst dann fällt die Kaufentscheidung.“ Danach gehen die Pferde in die Ausbildung, deren wesentlicher Bestandteil das sogenannte Gewöhnungstraining ist. Dabei sollen die Fluchttiere lernen, sich nicht vor Dingen oder Situationen zu fürchten, vor denen sie unter normalen Umständen sofort Reißaus nehmen würden.

Untergebracht sind die Vierbeiner in Boxen. Pro Streife beträgt die reine Reitzeit vier Stunden. Pferde, die gerade nicht im Einsatz sind, werden zum Training in der Halle geritten, kommen zum Freilauf auf die Paddocks oder bewegen sich in der nagelneuen Führmaschine. „Stehtage dürfen nicht vorkommen. Das schadet der Pferdegesundheit“, sagt Freundorfer.

Die uniformierten Vierbeiner sind genauso umweltschonend wie der elektrisch betriebene BMW i3, der zwischen ihnen steht.EPHK Andreas Freundorfer, Dienststellenleiter der Reiterstaffel

Eine Stallmeisterin und sieben Pferdepfleger kümmern sich um die Vierbeiner. Hinter dem Stall steht eine Armada von acht kleinen Transportern für je zwei Pferde und ein Anhänger. Daneben parken zwei Traktoren – natürlich mit Polizeilogo, Funk und Blaulicht. In der Schmiede steht ein Schubkarren voller Glück: Alte Hufeisen türmen sich darin zu einem Haufen. Die Pferde werden alle sechs Wochen neu beschlagen.

Einmal im Monat kommt extra eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei vorbei, um auf dem großen Kutschenplatz des Olympiareitgeländes nebenan verschiedene Einsatzlagen mit der Reiterstaffel zu trainieren. Mit von der Partie ist immer auch ein Bus voller Studenten der Polizeihochschule, die als „Störer“ angeworben werden, Fahnen schwenken und mit allerlei Tröten und Ratschen Lärm machen. Ein Härtetest für die Pferde, denn: Bei einem solchen Training muss das im Unterricht antrainierte Verhalten sitzen. Die Pferde dürfen sich von der Reizflut nicht verunsichern lassen. „Natürliche Instinkte wie der Fluchtreflex eines Beutetiers können nicht komplett unterdrückt werden, aber unsere Pferde durchlaufen viele Übungsstunden, damit sie im Ernstfall ihre Nerven im Griff haben und vom Reiter zu kontrollieren sind“, sagt Freundorfer. Es reicht übrigens schon, wenn ein Teil der Truppe ruhig bleibt, die nervösen Pferde orientieren sich dann an ihren souveräneren Kollegen.

Ausgediente „vierbeinige Beamte“ kamen früher zum Metzger, erzählt der Dienststellenleiter mit sichtlichem Unbehagen. Seit 2001 ist das anders. Die Rentner werden als „unreitbare Beistellpferde“ in Gruppenhaltung abgegeben und genießen ihr Gnadenbrot auf einer Weide, mit Schenkungsvertrag und Platzkontrolle. „Das entspricht unserem Selbstverständnis als Tierfreunde, wir fühlen uns verantwortlich für unsere Dienstpferde. Es sind Lebewesen, keine verrosteten Polizeiautos.“

„Imperator“ lässt beim Fototermin die Muskeln spielen

Polizeipferde müssen Gardemaß haben. „Erst kürzlich wollten wir einen Wallach fast nicht nehmen, weil er uns mit knappen 1,70 Metern Stockmaß eigentlich zu klein erschien, aber er erweist sich als dermaßen nervenstark, dass er eins unserer besten Einsatzpferde geworden ist.“ Bis vor zwei Jahren stand sogar Deutschlands größtes Polizeipferd mit einem Stockmaß von 1,92 Metern in Diensten der Münchner. Mittlerweile wurde „Quant“ in Rente geschickt. Heute ist „Imperator“ mit 1,86 Metern Stockmaß einer der imposantesten Vierbeiner im Stall an der Schichtlstraße. Als er zum Foto vor der Reithalle posieren soll, setzt er sich auf die Hinterhand und steigt unwillig. Nicht wie im Western, er hebt nur leicht die Vorhand an, aber das reicht, um mit der Kamera respektvoll Abstand zu halten, bis er sich beruhigt hat. Pferde von solcher Statur wiegen laut Freundorfer gute 800 Kilo. In Diensten der Bayerischen Polizei stehen übrigens ausschließlich Wallache. Im Sattel sitzen derzeit 18 weibliche und 18 männliche Reiter/innen.

Es geht nicht mehr so derb zu wie früher, als die Männer unter sich waren. Bei uns hier klappt die Zusammenarbeit prima, wir haben ein gutes Arbeitsklima.Polizeihauptkommissar Andreas Freundorfer

Mit dieser Frauenquoterangiert Freundorfers Abteilung weit über dem Durchschnitt des Polizeipräsidiums München (20 Prozent). „Das liegt zum einen natürlich an der bekannten Pferdeliebe der Frauen, zum anderen aber auch an unserem speziellen Aufgabenbereich und dem Partner Pferd als ausgleichendem Medium. Unsere ausgesprochen großen und schweren Pferde verleihen dem schwächeren Geschlecht eine bessere Ausgangsposition. Deswegen gibt es bei uns manchmal auch eine reine Frauenstreife – das ist bei den Kollegen im Polizeiauto nicht so.“

Freundorfer ist über die gemischte Truppe mehr als glücklich: „Ich selbst bin als junger Polizist in eine reine Männerdomäne hineingewachsen und muss sagen, als die Frauen zur uniformierten Polizei gekommen sind, hat sich einfach auch die Kultur intern gewandelt. Es geht nicht mehr so derb zu wie früher, als die Männer unter sich waren. Bei uns hier klappt die Zusammenarbeit prima, wir haben ein gutes Arbeitsklima.“

Lärmende Fußballfans setzen die Tiere unter enormen Stress

Die Einsatzgebiete der Reiterstaffel sind vielfältig: Man geht, beziehungsweise reitet, regulären Streifendienst, aber auch sogenannte Umweltstreife nach einschlägigen Delikten und Sicherheitsstreife bei „massiver Verunsicherung“ der Bevölkerung. „Aktuell reiten wir beispielsweise in unterschiedlichen Gebieten Sicherheitsstreife wegen zweier Vergewaltigungen, einer Einbruchsserie und einer Waldbrandserie“, sagt der Dienststellenleiter. „Unsere geländegängigen Tiere helfen auch bei Vermisstensuchen. Außerdem werden wir häufig zum Veranstaltungsschutz angefordert, weil Polizeireiter als Vertreter der Ordnungsmacht in einer Menschenmenge besser erkennbar sind als Beamte zu Fuß und auch einen besseren Überblick haben als diese. Wir zeigen uns deswegen regelmäßig beim Oktoberfest, aber auch bei der Regensburger Herbstdult und beim Gäubodenvolksfest. Für die Regensburger Frühjahrsdult sind wir allerdings heuer nicht angefordert worden.“

Haupteinsatzbereich der Staffel seien jedoch Fußballspiele, sagt Freundorfer. „Es gibt keinen polizeilichen Fußballeinsatz in der Allianz Arena ohne uns. Wir betreuen über 50 Spiele pro Jahr von der ersten bis zur dritten Liga. Bei sogenannten High-Risk-Spielen, zu denen viele gewaltbereite Fans erwartet werden, sind wir mit zehn, zwölf Pferden vor Ort und bilden zwei Trupps, denn die Tiere sind wegen der Riesenmenge lärmender Fans dort großem nervlichen Stress ausgesetzt und finden psychischen Halt in der Herde.“

Pferd als absoluter Sympathieträger bei der Polizei

Das Pferd gelte nach wie vor als einer der absoluten Sympathieträger bei der Polizei. „Im Normalfall freuen sich die meisten Menschen über den Anblick, wollen Fotos machen oder die Tiere streicheln.“ Das Auftreten der Reiterstaffel wirke daher meist präventiv und deeskalierend. Selbst bei gewalttätigen Ausschreitungen richte sich aggressives Verhalten eigentlich nie gegen die Tiere. Zwar komme es vor, dass gewaltbereite Leute versuchten, den Reiter vom Pferd zu ziehen, aberda seien die Kollegen schnell zur Stelle, weil man bei großen Menschenansammlungen immer im Trupp auftrete. „Im Bedarfsfall ist blitzartiges Umschalten möglich. Die Schlagkraft einer Reiterstaffel sollte man nicht unterschätzen“, so Freundorfer. „Ein Polizeieinsatzleiter hat mir mal gesagt, dass zehn Pferde in Formation die Wirkung einer Hundertschaft Beamter haben können.

Und genau deswegen setzt die Polizei in Zeiten modernster Technik auch immer noch auf das vermeintlich antiquierte Team von Mensch und Pferd.“ Im Notfall wird das schnelle, kraftvolle Tier zu einem „Hilfsmittel körperlicher Gewalt“ – wie es rein rechtlich heißt. Als Waffe darf der Reiter es nicht einsetzen, er darf also keine Person über den Haufen reiten, wohl aber mit dem Körper des Pferdes und dem am Sattel befestigten Polizeistock jemanden abdrängen. Zur weiteren Ausrüstung des Reiters gehören eine Schutzweste, die Dienstwaffe, Handschellen und – seit zwei denkwürdigen Fußballspielen im Jahr 2013 (Bayern – Nürnberg in der Allianz Arena und dem Amateurderby Bayern II – 1860 II im Grünwalder Stadion) – auch ein Einsatzhelm mit Visier.

Im Normalfall freuen sich die meisten Menschen über den Anblick, wollen Fotos machen oder die Tiere streicheln.Polizeihauptkommissar Andreas Freundorfer

Wer als Polizeireiter arbeitet, muss nicht nur zu etlichen zwölf- bis 14-stündigen Wochenendschichten und Abend-Einsätzen bereit, sondern überdies auch kommunikativ sein. „Man kommt recht schnell mit den Bürgern ins Gespräch. Obwohl die meisten Menschen natürlichen Respekt vor den beeindruckenden Tieren haben, werden die Pferde nicht als gefährlich eingestuft wie zum Beispiel Polizeihunde, von denen die Leute – und zwar völlig zu Recht – lieber Abstand halten“, sagt Freundorfer. Lustiges passiert auch zwischendurch: „Oft werden die wildesten Kuttenträger oder gröhlenden Betrunkenen beim Anblick der Pferde ganz handzahm und fragen, ob sie sie mal streicheln dürfen“, verrät Frank Hildebrand, seit neun Jahren Polizeireiter, und ergänzt: „Ein Italiener hat sich mal ungefragt vors Pferd gedrängt, um ein Selfie zu machen. Das hat den Wallach so verärgert, dass er den Mann am Schlafittchen gepackt und einfach mal kurz durchgeschüttelt hat. Der ist vielleicht erschrocken, das kann ich Ihnen sagen! Ist aber nix weiter passiert.“

Bei Knallkörpern oder kläffenden Hunden wird jedes Pferd nervös

Dass man dieInstinke des vierbeinigen Kameradennicht immer unterdrücken kann, zeigt sich laut Freundorfer sowohl bei Einsätzen als auch im Streifendienst. „Wenn Knallkörper direkt unters Pferd geworfen werden, bewahrt praktisch keines die Ruhe. Und auf Streife sind kläffende Hunde wirklich ein Problem.“ Deshalb kommt es immer wieder vor, dass Beamte stürzen und sich böse verletzen. Die Fallhöhe ist einfach zu groß. „Und was bei uns noch hinzu kommt: Polizeireiter gehen bei jedem Sauwetter auf Streife. Erkältungskrankheiten gehören bei uns sozusagen zum Berufsrisiko“, so Freundorfer.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.

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