Menschen
Im alten Radigarten ist nun alles Super

Klaus Wallner ist ein Weichser Urgewächs. Als Kind hat er Rettiche gezogen. Heute ziehen seine Kunden hier die Zapfpistolen.

11.10.2017 | Stand 16.09.2023, 6:18 Uhr

Helmut Wanner

„Bücher könnt ich schreiben.“ Klaus Wallner (54) hat seit fast 30 Jahren die Tankstelle im Donaueinkaufszentrum. Foto: Wanner

Es war bei der privaten Jubiläumsfeier „50 Jahre DEZ“ im Café Lederer. Madame Sans Soucis saß mit ihren beiden ehemaligen Kolleginnen aus der Quelle-Kosmetik bei Sahne-Torte und Kaffeekännchen, als Klaus Wallner einen kräftigen Schluck aus seinem frischen Weizen nahm und sich von der Theke her draufschaltete: „Kenne ich alles wie mein Hemd. Im Donaueinkaufszentrum, da bin ich geboren.“

Mehr sagte er nicht. Der beeindruckende 1,97 cm große Mann hat beim EVR in den 80-ern als Stürmer in der Reserve gespielt. Er ist Pächter der Freien Tankstelle und Weichser Urgewächs, wie nachher von den drei Damen zu hören war. Sein Vater Justin Wallner ist mit 86 Jahren tatsächlich der älteste Ureinwohner von Weichs.

Statt Radi wuchs der Saturn

Vier Wochen später sitzt Wallner im Shop seiner freien Tankstelle. Sie ist eine der letzten drei von Regensburg, die keine Marken-Bindung haben. Der ruhige Mann deutet nach hinten, auf den Saturn-Bau in seinem Rücken.

„Im Donaueinkaufszentrum, da bin ich geboren.“Klaus Wallner

„Das war der Radigarten von meinen Großeltern.“ 3300 Quadratmeter war der groß, einer unter vielen im Stadtteil, aus dem der Weichser Radi einmal waggonweise ins Reich verschickt wurde. Ein Garten lag am andern. Als Kind habe er nur über den Zaun hüpfen müssen, „da war ich in der Schule“.

Wohin er mit seinen magischen Fingern deutet, entstehen Welten und plötzlich riecht es nicht nach der Currywurst aus der Fritteuse, sondern nach „Doanalettn“: An der Donau habe er nach der Hausaufgabe Fußball gespielt und abends mitgeholfen, wenn der Rettich gezogen und am Wasserkrant die weißen Wurzeln gebürstet wurden. „Meine Oma hat Radi, gelbe Rüben, Salat, alles … mit dem Handwagl rüber auf den Markt gefahren.“ Es gab in jenen Tagen noch keine Walhalla-Allee. Und die Tankstelle Zimmerer, die an der Zufahrt zur Nibelungenbrücke stand, lag zwischen Weichs und Reinhausen auf freiem Feld. Jetzt ist hier die Freie Tankstelle. Sie steht an der am stärksten befahrenen Kreuzung der Stadt, Nordgau-/Frankenstraße. „Und koana“, sagt Wallner, „kennt koan mehr.“

Die Familie Wallner aus der Johannisstraße hat den Grund auf 99 Jahre an Vielberth verpachtet. Es waren 3500 Quadratmeter. Jetzt ist der Dr. Vielberth tributpflichtig. Seit 50 Jahren läuft das Markt-Geld Monat für Monat von selber aufs Konto und keiner schiebt mehr einen Leiterwagen über die Nibelungenbrücke.

Draußen flutet vierspurig der Autoverkehr. Immer wieder schert einer aus dem Strom wie Kurt Haindl von der Insel Fitness und Wellness GmbH, der seinen flaschengrünen, durstigen Jaguar an die Tränke führt. Klaus Wallner hat sich an beiden Augen den Star operieren lassen und kommt gerade von der Nachuntersuchung. Jetzt sieht er wieder die Preise an seinem Preismast. Er schaut auf die Uhr: „Halb eins, passen Sie auf, jetzt hebt die Konkurrenz gegenüber den Literpreis um 3 Pfennig an, um Viere tut er ihn wieder runter. Das ist täglich dasselbe Spiel. Ich tu mir das nicht an. Ich lass ihn.“ Er denkt an früher, als er mit seiner Frau Petra am Tag fünfmal die Leiter am Preismast anstellen musste. Jetzt geht das per Knopfdruck.

Vier Jahre war der Sohn eines Kranführers alt, als der Bau des Donaueinkaufszentrums begann. Seine gesunden Kinder-Augen hatten dort, wo jetzt die Jet-Tankstelle steht, das Gasthaus Weigert gesehen und vorne an der Brücke das Wirtshaus Strassberger. „Und in der Schlossgasse war die Zach-Schänke, wo die Schützen und Kegler zu Hause waren.“ Das ist was für die Heimatgeschichtsbücher.

Jeden Bauabschnitt im DEZ hat Klaus Wallner gespannt mitverfolgt. Das Quelle-Festzelt, die Bergrennen und die Radrennen rund ums DEZ fanden in ihm einen interessierten Beobachter. Das Leben der Wallners ist so eng mit den Geschicken des Donaueinkaufszentrums verbunden wie wohl kein zweites in Regensburg. Vater Justin Wallner gab seinen Job als Kranführer auf und heuerte als Hausmeister bei Dr. Vielberth an. Sein Sohn lernte Autoelektriker und stieg nach seiner Bundeswehrzeit bei Vielberth als Hausmeister ein. Seine Enkelin lag als Säugling im Kinderwagen in der Tankstelle. Heute arbeitet sie im Geschäft mit.

Wie die Jungfrau zum Kind

Zur Tankstelle im Donaueinkaufszentrum kamen die Wallners wie die Jungfrau zum Kind. Seine Frau Petra arbeitete bei Siemens an der Irler Höhe in der Fertigung. Jedenfalls bis zu jenem Tag im Sommer 1988, als der Vorpächter die Tankstelle im DEZ von heute auf morgen wegen Unregelmäßigkeiten abgeben musste. Großer Aufruhr damals, die Zapfsäulen wurden verplombt, Autos wurden auf die Tankdeckel im Boden gestellt, dass niemand in der Nacht an die Vorräte kam. „In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich damals gesagt, die Tankstelle tät ich sofort übernehmen. Eine Stunde später hatte ich den Anruf. Mein Vater lag daheim im Liegestuhl und sagte: Du spinnst! Zu meiner Frau hab ich gesagt: Wir haben eine Tankstelle, du musst sofort kündigen. Nachts um Zehne hat sie ihren Chef angerufen.“

Und jetzt werden es im nächsten August 30 Jahre, dass Petra und Klaus Wallner die Tankstelle haben. Über das, was sie hier erlebten, könnte Klaus Wallner Bücher schreiben. Von einem bösen Amokläufer, von Frauen, die die Tankpistole stecken ließen, und von Männern, die ihr Auto nicht mehr auf dem Parkplatz fanden: Er tut es nicht. Da fährt er lieber ins Holz, zum Schwammerlsuchen. „Eineineinhalb Zentner hab ich in dieser Saison bestimmt raus“, sagt Klaus Wallner. Er wuchs in einem Weichser Radigarten auf. Das lässt nicht aus.