Erinnerung
Im Paradies des Kokosapostels

Vor 100 Jahren starb August Engelhardt – Gründer einer Aussteigerkolonie, die die Kokosnuss als höchstes Gut verehrte.

21.07.2019 | Stand 16.09.2023, 5:33 Uhr
Stefan Wallner

Sonne, Palmen und nackte Haut: Die Reproduktion eines Fotos aus dem Jahr 1906 zeigt den Schriftsteller August Engelhardt (stehend) mit dem Musiker Max Lützow in seinem vermeintlichen Kokosnuss-Paradies auf der Insel Kabakon. Foto: picture alliance / dpa

Gründer des „Sonnenordens“, „erster „Kokosapostel“ und Autor des „neuen Evangeliums“: August Engelhardt war wohl einer der exzentrischsten Söhne der Stadt Nürnberg. Der Apothekergehilfe hatte im Jahr 1902 genug von der Kälte Mitteleuropas und kaufte sich die Insel Kabakon im heutigen Papua-Neuguinea, um dort das „pflanzliche Ebenbild Gottes“ – die Kokosnuss – anzubeten. Sein Todestag jährt sich heuer zum 100. Mal.

1877 in die Zeit der Industrialisierung hineingeboren, interessierte sich Engelhardt bereits vor seiner Emigration für Heilfasten und Rohkost. Außerdem war er Mitglied in einem Vegetarier-Verein und besuchte das „Jungborn“ – ein Sanatorium, das auf naturnahes Leben als Heilmethode setzte. Doch weil die Anhänger der Lebensreformbewegung – eine bunte, diffuse Mischung aus Anhängern der freien Liebe, der Nacktkultur, der vegetarischen Ernährung und Gegnern des Großstadtlebens – von der Mehrheit ihrer Mitmenschen eher als sonderbare Außenseiter gesehen wurden, floh er in die Südsee.

Die „Königin der Nüsse“

Auf Kabakon – zu dieser Zeit unter deutscher Kolonialherrschaft – verwirklichte er seine Vorstellung vom Paradies. Auf Kleidung und Kopfbedeckung verzichtete er. Das göttliche Sonnenlicht sollte möglichst ungehindert an den Körper gelangen. Zudem folgte der Franke einer strengen Kokosnuss-Diät. Die Frucht sei der Sonne am nächsten und stecke deshalb voller Sonnenenergie. Das mache die „Königin der Nüsse“ zur einzigen wahren Nahrung des Menschen. Nur durch sie könne er von Schmerz und Leid erlöst göttlich und unsterblich werden. All das fasste er in mehreren Schriften zum sogenannten „Kokovorismus“ – so die Bezeichnung für seine Glaubensvorstellungen – zusammen.

Zudem verschickte er Postkarten aus Kabakon und veröffentlichte eine eigene Zeitschrift mit dem Titel „Für Sonne, Tropen und Kokosnuß“, um Anhänger für seine Philosophie zu finden. Das hatte zunächst auch Erfolg. Mehrere Anhänger trafen nach und nach auf der Insel ein, um dem von Engelhardt gegründeten „Sonnenorden“ – eine Siedlungsgemeinschaft, die nach den Prinzipien seines „Kokovorismus“ gestaltet sein sollte – beizutreten. Unter ihnen war auch der bekannte Kapellmeister Max Lützow, der durch seine begeisterten Briefe in die Heimat den ersten Erfolg des „Sonnenordens“ noch verstärkte. Sie wurden sogar in der „Vegetarischen Warte“, einer der bekanntesten Zeitschriften der damaligen Vegetarier-Szene, abgedruckt. Insgesamt sollten etwa 30 Menschen Engelhardts Ruf nach Kabakon folgen.

Engelhardt stirbt einsam

Doch das Glück währte nicht lang. Bereits sechs Wochen nach seiner Ankunft starb der erste Jünger Engelhardts an Malaria. Auch Lützow war bald enttäuscht vom Inselleben, erkrankte schwer und ertrank bei einem Bootsunglück während seiner Rückreise. Auch Engelhardt selbst tat der eigene Lebensstil nicht gut. Zwischenzeitlich wog er nur 39 Kilo, Krätze und Hautgeschwüre plagten ihn. Und das obwohl er es zwei seiner ehemaligen Anhänger zufolge mit der Kokonuss-Diät gar nicht so streng nahm. Auch sein engster Mitstreiter August Bethmann, der lange mit Engelhardt die Werbetrommel für den „Sonnenorden“ gerührt hatte, äußerte Bedenken und plante seine Rückreise. Doch dazu kam es nicht, denn er starb zuvor unter ungeklärten Umständen. Seine letzten Jahre verbrachte Engelhardt allein auf Kabakon. Mittlerweile warnte die deutsche Kolonialverwaltung, die den selbst ernannten Propheten zuvor toleriert hatte, vor der Kolonie und behielt eine Kaution ein, um eventuelle Krankenhausaufenthalte oder Rückreisen zu finanzieren. 1919 starb Engelhardt an Auszehrung. Er hinterließ der Nachwelt die Zusammenfassung seiner Ideen in dem selbstbewusst betitelten Buch „Eine sorgenfreie Zukunft: Das neue Evangelium“.