Es ist eine Szene, wie sie Cineasten lieben: Ergreifende Musik begleitet eine üppig ausgestattete Szene, die dem Auge fast mehr bietet, als es erfassen kann. Zahlreiche, teils farbig angeleuchtete Schwäne schwimmen im See einer dunklen Höhle, Wasser ergießt sich kräftig rauschend von einer Wand. Mittendrin wird ein in Schwarz gekleideter Mann in einem muschelförmigen Kahn gerudert, dem er mit Hilfe eines livrierten Dieners am Ufer des Sees entsteigt. Diese geheimnisvoll wirkende Gestalt fixiert einen jüngeren Mann, der sich in einigem Abstand mehrmals tief verbeugt. Kein gesprochenes Wort stört die Spannung aus Blicken und Gesten. Alles wirkt wie in einem Traum. Zumindest ist es außergewöhnlich und – mit Blick auf die vielen, über die Grottenwände verteilten Blumengirlanden – auch schwülstig.
Szenen mit dem „Märchenkönig“
Luchino Visconti schuf 1972 mit seinem historischen Filmdrama „Ludwig“ über Ludwig II. (1845–1886) und den Niedergang der Monarchie ein Meisterwerk. Einige Szenen stechen besonders hervor. Darunter auch die, die mit Hauptdarsteller Helmut Berger am originalen Schauplatz in der Venusgrotte von Schloss Linderhof gedreht wurde. So ungefähr wie bei Visconti muss es wohl gewesen sein, als der mittlerweile dick gewordene Ludwig II. im Juni 1881 auf den jungen Schauspieler Josef Kainz (1858–1910) traf (er sollte einer der ganz wenigen Auserwählten sein, die in das private Refugium des bayerischen Monarchen im Graswangtal bei Oberammergau eingeladen wurden). Der italienische Starregisseur verlangte stets Authentizität. Auch die Grotte sollte so erscheinen, wie sie nicht einmal hundert Jahre zuvor der „Märchenkönig“ zuletzt erlebte. Also mit Schwänen auf dem Wasser, dem Wasserfall, dem eigenartigen Kahn und … zahlreichen Blumengirlanden. Von diesen waren allerdings 1972 so gut wie keine mehr vorhanden. Die Feuchtigkeit hatte den Blumen aus Stuck arg zugesetzt und ihren Bestand deutlich dezimiert. So kamen dank Visconti Blumen aus Plastik zuhauf in die Grotte – und blieben all die Jahrzehnte bis jetzt in dieser besonderen Sehenswürdigkeit Bayerns. Nicht nur auf der Kino-Leinwand waren die Repliken nicht als solche zu erkennen. Ebenso die jährlich mehreren hunderttausend Besucher erkannten wohl kaum die „Fälschung“ über ihren Köpfen.
Mit Touristen ist seit Oktober letzten Jahres erst einmal Schluss. Das im Jahre 1877 im Auftrag Ludwig II. fertiggestellte Bauwerk bedarf dringend einer umfassenden Restaurierung. Schließlich soll die Venusgrotte im Schlosspark Linderhof auch weiterhin ihren Status als größte existierende künstlich erbaute Grotte des 19. Jahrhunderts behalten.
Doch sie ist noch viel mehr: Hier verbinden sich technologische Innovation und illusionistische Inszenierungskunst zu einem außergewöhnlichen Kunsterlebnisraum. Damit ist die Venusgrotte keine der sonst bekannten Grottenarchitekturen. Sie ist eine interaktive Theaterbühne, auf der Ludwig II. ein perfektes Kunsterlebnis zwischen der Oper Tannhäuser (Szene im Hörselberg mit der Liebesgöttin Venus) und der Blauen Grotte von Capri mit allen verfügbaren (technischen) Mitteln schaffen ließ. Über (s)ein Menschenleben hinaus sollte es gar nicht erhalten bleiben. Der Monarch plante nur für sich und nicht für nachfolgende Generationen, schon gar nicht für neugierige Besuchermassen.
Für die Venusgrotte ist es fünf Minuten vor zwölf. Seit einigen Jahrzehnten schützen unansehnliche Gitternetze die staunenden Besucher vor herabfallenden Teilen von der Drahtputzdecke. 1997 kamen Schutzgerüste vor allem im Ein- und Ausgangsbereich hinzu. Die Feuchtigkeit durch eine undichte Decke, durch den See und noch viel mehr durch von außen vom Berg eindringendes Wasser setzte dem Bauwerk bereits kurz nach der Fertigstellung zu. 1980 kam es über einer Fläche von rund 200 Quadratmetern zu einem Totalabsturz im Gewölbebereich direkt über dem zentralen See, der schnell und effizient repariert wurde. Doch mit Flickwerk und Einzelmaßnahmen kommt man nun endgültig nicht mehr weiter. Voraussichtlich bis 2022 werden sich dann rund 500 Personen aus Behörden, wissenschaftlichen Einrichtungen, Ingenieurbüros, Restaurierungswerkstätten und Handwerksbetrieben für ein einzigartiges Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhunderts eingesetzt haben.
Im Rahmen einer für die Bayerische Schlösserverwaltung (leider seltenen) internationalen Fachtagung mit rund 140 Teilnehmern wurden zusammen mit ICOMOS Deutschland (der als Berater für die deutschen UNESCO-Welterbestätten zuständigen Organisation) die derzeit laufenden Restaurierungsmaßnahmen und die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen für die Venusgrotte intensiv dargelegt. Die dreitägige Konferenz unter dem Titel „Illusionskunst und High-Tech im 19. Jahrhundert“ im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg und vor Ort in Linderhof brachte zahlreiche Fachexperten aus Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz zusammen.
140 Teilnehmer bei Fachtagung
Wohl selten zuvor wird für ein gefährdetes, ephemeres Bauwerk so ein großer Aufwand in Untersuchung, Planung und Umsetzung betrieben wie für die Venusgrotte. Es zeigt nicht nur, wie sehr sich das (kunstwissenschaftliche) Verhältnis zu den Bauwerken des „Märchenkönigs“ von der Ablehnung hin zur Akzeptanz und Erkenntnis des Besonderen gewandelt hat. Sondern es bekräftigt einmal mehr den Willen, die Schlösser Ludwig II. in die UNESCO-Welterbeliste der Menschheit einzutragen. Der Projektleiter des UNESCO-Welterbeantrags, Dr. Alexander Wiesneth, verantwortete auch die inhaltliche Konzeption der Tagung. Wiesneth: „Ein vertieftes Verständnis dieses einzigartigen Illusionskunstwerks der Venusgrotte mit allen seinen technischen und konstruktiven Raffinessen eröffnet uns heute ganz neue Sichtweisen auf die anderen Königsschlösser Ludwig II., und nicht zuletzt auf die von Umbrüchen geprägte Epoche am Ende des 19. Jahrhunderts.“
Der Oberkonservator bei der Bayerischen Schlösserverwaltung stellte im Juli 2015 im Rahmen eines Vortrags in der Staatlichen Bibliothek Regensburg erstmals öffentlich das Grundkonzept des Welterbeantrags für die Königsschlösser vor.
Was letztendlich mit den Visconti-Blumengirlanden geschieht, ist übrigens noch ungewiss. Nun werden sie erst einmal abgenommen und eingelagert. Manche Verantwortliche schwärmen bereits bei dem Gedanken, der ursprüngliche Blumenschmuck könnte in Stuck wiedererstehen. Doch wenn kein Besucher die Plastik-Version bemerkt, könnte doch auch ein Stück Filmgeschichte am originalen Setting erhalten bleiben. Immerhin verdanken wir Visconti einen lebendigen Eindruck davon, wie es wohl einstmals war, als Majestät die Grotte nutzte.
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