MZ-Spezial
In seinem Reich

Die Nachfolgerin weiß, im Dunst des Vorgängers kommt niemand voran. Die neue Leiterin des Diözesanarchivs wird es versuchen.

26.12.2014 | Stand 16.09.2023, 7:07 Uhr
Helmut Wanner
Portrait Dr. Camilla Weber Leiterin des Bischöflichen Zentralarchivs und der Zentralbibliothek −Foto: altrofoto.de

Wer das Auto eines Rauchers übernommen hat, weiß wie das ist. Der Tabakrauch hat sich in den Bezügen festgekrallt, er hat sogar den Himmel verfinstert. Raumspray hilft da nichts. Das braucht seine Zeit.

Nun hat Dr. Camilla Weber im Oktober gleich ein ganzes Kulturinstitut übernommen, das ein leidenschaftlicher Pfeifenraucher über vier Jahrzehnte geprägt und nebenbei auch so imprägniert hat, dass die Möbel seines Direktorenzimmers bis auf den Schreibtisch ausgetauscht werden müssen. Die Bischöfliche Zentralbibliothek und das Bischöfliche Zentralarchiv dürften die einzigen öffentlichen Räume der Domstadt sein, in dem das absolute Rauchverbot bis heute noch nicht voll umgesetzt ist. Das hat Monsignore Dr. Paul Mai souverän ausgebremst.

Pfeifenduft und Zeitgeist

Der weißhaarige Prälat zog wie eine kleine Lokomotive seine Bahn. Wenn er von seinem Schreibtisch, an dem angeblich schon Erzbischof Ignatius von Senestrey saß, aufstand und durch den langen Gang zu seiner Wohnung ging, hatte er immer eine Pfeife im Mundwinkel hängen. Immer wieder blieb er stehen, fragte nach und gab Weisung. Dr. Mai, so schien es zumindest, war das bischöfliche Zentralarchiv und die Diözesanbibliothek in Person. Er hat es 1973 gegründet. Man konnte es förmlich riechen und man riecht sie noch, seine Duftmarke „Virginia“. Dieser Pfeifenduft widersteht dem Zeitgeist.

Dr. Mai verwahrte und ordnete das Gedächtnis des im Jahre 739 gegründeten Bistums Regensburg. Die katholische Kirche hat in den bald dreizehn Jahrhunderten ihres Bestehens fünf Regal-Kilometer an Akten mit insgesamt 500 Tonnen Archivgut angehäuft. Viel Segensreiches ist da abgelegt, aber auch Staub und Angstschweiß finden sich auf den Aktendeckeln.

Dr. Mai lebte förmlich das Archiv, er weiß und wusste alles. Der Monsignore lebte sogar in seinen Mauern. Mit einer Tür waren seine Privaträume mit dem kleinen Lesesaal verbunden. Die Tür stand meist offen. Dahinter befand sich die Zimmerflucht des Prälaten. Sein Schlafzimmer lag direkt über dem Eingang der Diskothek „Tangente“. Sein Widerstand gegen nächtliche Ruhestörer wurde in mehreren Polizei-Berichten der Wochenzeitung „Die Woche“ dokumentiert. Wer’s nicht glaubt, kann sich die Bände in der Diözesanbibliothek kommen lassen.

Bevor er nächstes Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, hat Dr. Paul Mai die Verantwortung im Haus am Petersweg losgelassen. Im Oktober 2014 wurde er vom Bischof in einer launigen Rede verabschiedet. Rudolf Voderholzer bezeichnete ihn als den Kulturschaffenden in Regensburg, der der Stadt im letzten Drittel des 20. und im beginnenden 21. Jahrhundert den Stempel aufgedrückt hat. Er sei aber auch „die Verkörperung eines bayerischen Barockprälaten: Die Sprache bayerisch-dialektgeprägt, gemütlich Pfeife rauchend, gerne ein Bierchen trinkend und regelmäßig Schafkopf spielend.“

Frau Weber folgt Herrn Mai

Mit dem Flair aus Pfeife, Bierchen und Schafkopf kann die Nachfolgerin nicht dienen. Im März wird Dr. Camilla Weber eingeführt. Bis April 2015 ist eine Phase des Übergangs. Bevor der Neu-Kanoniker von St. Johann ins Alten- und Pflegeheim St. Josef umzieht, wohnt und arbeitet er noch hier am Petersweg, stundenweise. Er sitzt jetzt Schreibtisch an Schreibtisch mit Dr. Werner Chrobak, seinem Stellvertreter und – in 35 Jahren – fast ständigem wahrscheinlichen Nachfolger. Dr. Mai blieb solange im Amt, bis auch Dr. Chrobak in Rente ging. „Soft closing“ könnte man das in Anspielung an die Wirtschaft nennen. Davon zeugen die Rauchwölkchen, die immer noch aus Dr. Mais Pfeife steigen.

Doch der Wind des Wandels zieht schon durch die Pohlschröder-Regale. Der Wind, der durch die Weltkirche pfeift, rüttelt auch am Petersweg. Da werden nicht nur die Aschenbecher verschwinden, die immer noch neben den Urinalen hängen. War früher nur ein Kirchenmann in der Führung eines kirchlichen Kulturinstituts denkbar, treten jetzt Laien an die Stelle. Die Hierarchie schafft sich sogar in Teilen selber ab. Im Januar hat Papst Franziskus, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, den Titel des Prälaten eingezogen.

Wenn möglich eine Frau

Und wichtige Laienämter in der Kirche werden, wann immer es geht, von einer Frau besetzt. Dr. Camilla Weber hat im Oktober die Nachfolge von Dr. Paul Mai als Direktorin der bischöflichen Bibliotheken und Archive angetreten. Wie es heißt, war es der Wunsch des Bischofs. Wenn die Bischöfe schon nicht dem Drängen nach dem Diakonat der Frau nachkommen können, wollen sie wenigstens so viele Frauen wie möglich in Führungspositionen bringen. Dr. Rudolf Voderholzer hat hier ein Zeichen gesetzt und eine Ampelschaltung verändert.

„Mehr Frauen in verantwortliche Stellungen.“ Als ironisches Zitat hängt das Plakat des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB an der Schmalseite eines Schrankes im Büro von Dr. Camilla Weber. Das Plakat aus den 50er Jahren zeigt eine Frau hinter einem großen Schreibtisch. Durch das Fenster hinter ihr blicken Güterwaggons, Krane und Werkhallen. Das Gegengewicht zur sozialistischen Wirtschaftslenkerin ist eine Plastikfigur des Heiligen Kamillus von Lellis. Camilla Weber verehrt ihn. Sie hat den Namenspatron in einem Devotionalienhandel in dessen Geburtsort Bucchianico in den Abruzzen erstanden. Das einzige Private in ihrem Büro ist dieser Heilige Kamillus. Er ist ein Spieler, der zum Heiligen wurde.

Camilla Weber hat trotz ihrer Vorliebe für Hosen und Sakkos aus Harris-Tweed eine italienische Ader. Aus eigenem Antrieb hat sie in Rom an der vatikanischen Schule für Paläographie, Diplomatik und Archivwesen studiert. Diese ist Teil des vatikanischen Geheimarchivs. Über ein italienisches Thema hat sie auch ihren Doktortitel „gemacht“. Ihre Dissertation handelt vom Risorgimento, der Wiedererstehung Italiens im 19. Jahrhundert und wie sie sich in italienischen Schulbüchern widerspiegelt. Es war ihr Wunsch, ihre Dissertation über ein externes Thema zu machen, um sich eine größere Perspektive zu erhalten und nicht zu sehr in der Regensburger Suppe zu kochen, die sie als Kind aus dem inneren Osten der Stadt allzu gut kennt. Die Tochter des ehemaligen Diözesanmusikdirektors (KMD) wuchs in der Reichstraße auf. Noch heute betreut sie das Pfarrarchiv von St. Cäcilia und singt im Alt des Kirchenchors, unter Leitung ihres Bruders.

Das Erbe des Monsignore

Dr. Camilla Weber ist ein Gewächs des Regensburger Diözesanarchivs. Sie war schon als Werkstudentin da und hat am Petersweg alles durchlaufen. Als sie Examen machte (Germanistik, Italienisch, Geschichte) wurde eine Halbtagsstelle frei. Dr. Camilla Weber hat jetzt genau wieder das Büro, in dem sie vor 16 Jahren angefangen hat. Dr. Paul Mai persönlich hat sie eingestellt. „Er war 63 Jahre alt, als ich begann. Dass ich einmal seine Stelle einnehmen werde, war bis vor kurzem kein Thema, weder von mir, noch vom Monsignore.“ Dass die „Wahl“ auf Camilla Weber fiel, ist unumstritten. Fachlich und menschlich ist Dr. Weber in Regensburg anerkannt. Auch Dr. Mai freut sich, glaubt sie. „Denn er geht davon aus, dass ich das Erbe weiterführe.“ Sie strebt keine Revolution an: „Ich will das schriftliche Kulturgut der Kirche auf Dauer bewahren, oder besser gesagt: ewig, wie die Kirche ist.“

Keine komplett neuen Wege

„In den Fußstapfen eines Vorgängers kommt man nicht voran“, sagt sie. Sie will und wird neue Wege gehen. Nicht komplett neue Wege. Die hinterlassenen Strukturen seien solide. Ihr Herzensanliegen ist, das, was zuvor am Rande stand, ins Zentrum zu rücken. Camilla Weber meint damit die Betreuung der Pfarreien vor Ort, die unter der Zusammenlegung zu Seelsorgeeinheiten leiden. Das Zentralarchiv hat die Fachaufsicht über 500 Archive der Pfarreien. Weber: „Ich will die Wertschätzung der Kirche aufs Land bringen.“

Weil die Ressourcen begrenzt sind, wird es woanders Einschränkungen geben. Ausstellungen werden abgespeckt. Im Januar wird es erstmal und erstmalig eine Sonderschließung geben. Diözesanarchiv und Bibliothek bleiben nach den Weihnachtsferien zu und werden erst wieder an Maria Lichtmess aufmachen. Die neue Chefin räumt ihren 16 Mitarbeitern und sich Zeit für dringende organisatorische Maßnahmen ein.

Was bleibt, was kann weg im Institut? Die Einrichtung atmet den Geist der 70er Jahre. Hier stehen noch elektrische Schreibmaschinen rum. Finstere Ecken werden inspiziert, entrümpelt und gelüftet werden. Aber der Schreibtisch von Ignatius von Senestrey kommt nicht weg. Sie wird ihn wahrscheinlich übernehmen.

Tür an Tür mit dem Rabbiner

Die Dienstwohnung von Dr. Paul Mai wird sie definitiv nicht beziehen. „Sie ist mir schlicht zu groß für eine alleinstehende Person.“ Dr. Camilla Weber ist ein Kind der Kirche. Sie liebt Katzen, ohne welche zu besitzen, strickt zur Beruhigung der Nerven und lebt mit ihren Büchern alleine in einem Haus des Kollegiatsstifts St. Johann, Tür an Tür mit einem Mann des Buches, Rabbiner Josef Bloch. „Für mich persönlich ist es sehr wichtig, dass man 70 Jahre nach dem Krieg wieder einen jüdischen Gemeinde-Rabbiner als Nachbar haben kann.“