MZ-Serie
Jeder Atemzug ist ein Geschenk

Sandra Gierl weiß, wie es ist, wenn die Luft knapp wird. Ihre seltene Lungenkrankheit schränkt sie kaum noch ein.

03.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:50 Uhr
Sandra Gierl aus Schwandorf fühlt sich wieder gut. Mit ihrem Hündchen Hippi geht sie regelmäßig spazieren. −Foto: Schönberger

Sandra Gierl ist ein gutes Beispiel dafür, wie der erste Eindruck täuschen kann. Die 39-Jährige sitzt in ihrem Schwandorfer Haus am Esstisch und strotzt vor Gesundheit und Lebenslust. Ihre Lippen leuchten rot, auf ihrem T-Shirt glitzern Pailletten. Hippi, die kleine Chihuahua-Hündin, schmiegt sich an sie. Sandra Gierl rührt kurz in ihrem Espresso und holt tief Luft – für sie ist das keine Selbstverständlichkeit. Pulmonalarterielle Hypertonie (PAH) nennt sich die lebensbedrohliche Lungengefäßverengung, die Sandra Gierl hat. Es ist eine seltene Erkrankung, nur etwa 15 von einer Million Erwachsenen leiden daran. Doch die Schwandorferin hat Glück im Unglück: Sie gehört zu den ganz wenigen PAH-Patienten, die mit dieser Erkrankung heute fast ohne Einschränkungen leben können. Doch bis dahin war es ein mühsamer Weg.

Schwindel und blaue Lippen

Ende 2001 steckt Sandra Gierl mitten im Jura-Examen, außerdem beginnt der Kommunalwahlkampf. Im März 2002 wird die damals 25-Jährige für die SPD in den Schwandorfer Stadtrat und den Kreistag gewählt, im April beginnt ihr Referendariat. „Ich stand ziemlich unter Strom“, erinnert sie sich. Sport kommt damals zu kurz, obwohl sie gern Aerobic macht und Mountainbike fährt. Immer öfter kommt die junge Frau außer Atem. Ihr Hausarzt vermutet zunächst Verspannungen. Schleichend verschlechtert sich ihr Zustand. Ihr ist schwindelig, häufig hat sie blaue Lippen. Ihr Arzt rät ihr, wieder mehr Sport zu machen. „Das hat mir eingeleuchtet“, sagt Sandra Gierl im Rückblick. Sie verdrängt, wie schlecht es ihr geht und baut weiter ab. Die Kellertreppe kommt sie nur noch hoch, wenn sie nach jeder Stufe eine Pause einlegt. Auch ihrem Mann, Manfred Schüller, macht die Veränderung Sorgen. „Ich kam an einen Punkt, wo nichts mehr ging“, erinnert sich die Schwandorferin.

Von der Arztpraxis auf die Intensivstation

Am 26. August 2002, zwei Tage nach ihrem 26. Geburtstag, lässt die junge Juristin schweren Herzens einen Informationsbesuch in der Justizvollzugsanstalt Straubing sausen, geht zum Internisten und wird sofort mit Verdacht auf Lungenembolie ins Krankenhaus Schwandorf eingewiesen. Noch am selben Abend geht es mit dem Krankenwagen zum Universitätsklinikum Regensburg – direkt auf die Intensivstation. „Ein Schock“, sei das gewesen, erinnert sie sich, „ich konnte das alles nicht fassen“. Doch sie ist an der richtigen Stelle gelandet: Am Zentrum für seltene Erkrankungen des Universitätsklinikums Regensburg werden ihre Symptome zutreffend gedeutet. Innerhalb weniger Tage steht die Diagnose „Pulmonalarterielle Hypertonie“. Die Prognose ist niederschmetternd: Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei rund fünf Jahren. Die Patienten müssen 16 Stunden am Tag mit Sauerstoff versorgt werden. Medikamente können bestenfalls das Fortschreiten der Krankheit verhindern. Der letzte Ausweg ist eine Lungentransplantation.

Aber Sandra Gierl resigniert nicht. Sie bekommt ein frisch zugelassenes Medikament, mit dem es ihr spürbar besser geht. Nach zwei Wochen verlässt sie die Klinik mit ihrem neuen ständigen Begleiter, einem großen Rucksack. Darin steckt ein mobiles Sauerstoffgerät, das über zwei Schläuche mit ihren Nasenlöchern verbunden ist. Die Sauerstoffmenge reicht für maximal acht Stunden, länger kann die junge Frau das Haus nicht verlassen. Daheim hängt sie an einem großen Sauerstofftank, der in ihrem Schlafzimmer steht. Ein rund 15 Meter langer Schlauch begrenzt ihre Bewegungsfreiheit daheim. „Ich war an der Leine“, sagt sie lakonisch.

Sie nimmt ihr Schicksal an, geht trotz Rucksack vor die Tür – und lässt sich anstarren. Nervig sei das gewesen, sagte sie, aber kein Grund, sich zu verstecken. Auch ihr Referendariat setzt sie fort. „Sandra war so positiv eingestellt“, lobt ihr Mann. Er selbst sei damals schon sehr geknickt gewesen. Für Urlaube braucht die junge Frau nun einen Reisesauerstofftank, der maximal sieben Tage reicht. Sie darf nicht mehr fliegen, spätestens bei 1200 Höhenmetern ist Schluss. „Der Brenner war schon zu hoch.“

Extrem seltener Verlauf

Dennoch geht es aufwärts: Sie bekommt weitere Medikamente und reagiert sehr gut darauf: „Eine spezielle Eigenschaft der Blutgefäße, die nur ein bis zwei von einer Million Menschen haben, war der Grund“, sagt Dr. Tobias Lange, Oberarzt am Universitätsklinikum Regensburg. Sandra Gierls vergrößertes Herz wird im Zuge der Behandlung sogar wieder kleiner. „Das ist extrem selten“, so Lange.

2010 braucht sie kein Sauerstoffgerät mehr. „Das habe ich wie einen zweiten Geburtstag gefeiert.“ Zweimal im Jahr muss sie heute noch zur Kontrolle ins Uniklinikum. „Meine Befunde sind immer top.“ Dennoch ist die voll berufstätige Anwältin chronisch krank. 13 Tabletten schluckt sie täglich, Sport ist tabu – für sie kein Grund zur Klage: „Mir geht es perfekt.“

Weitere Informationen zur Benefizgala finden Sie hier.

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