Außenansicht
Jetzt für die nächste Krise rüsten

Ökonomisierung war die bisherige Maxime. Nicht erst seit Corona wissen wir um die Folgen dieser Politik, meint der Autor.

13.06.2021 | Stand 16.09.2023, 2:28 Uhr
Alexander Rosen
Gast-Autor Alexander Rosen ist Mediziner. −Foto: Dr. Helmut Lohrer

Die Pandemie hat unseren Alltag umgekrempelt, Unvorstellbares zur Routine werden lassen und uns gezeigt, wie schnell sich vermeintliche Sicherheiten angesichts globaler Bedrohungen in Luft auflösen können. Gleichzeitig hat die Krise uns auch gelehrt, wie wichtig es ist, vorbereitet zu sein auf unerwartete Veränderungen.

Wohl die wichtigste Erkenntnis für viele, gerade Menschen wie mich, die im Gesundheitswesen tätig sind, ist die Bedeutung von Resilienz, also der Fähigkeit, konstruktiv auf unvorhersehbare Veränderungen und Herausforderungen zu reagieren, sie zu bewältigen, aus ihnen zu lernen und Transformationsprozesse anzustoßen, die die eigene Widerstandsfähigkeit erhöhen. Als Kinderarzt habe ich „an der Corona-Front“ beobachten können, wie unzureichend unser Gesundheitswesen auf die Krise vorbereitet war und wie mühsam es war, dieses Defizit aufzuholen.

Personalmangel im Pflegebereich, ausgedünnter öffentlicher Gesundheitsdienst, fehlende Schutzausrüstung für Personal – das alles waren keine Zufälle oder Versehen, sondern wissentlich und willentlich herbeigeführte politische Entscheidungen aus einer Zeit, als Gesundheitsminister nach dem Motto „Geiz ist geil“ die Resilienz des Gesundheitswesens Schritt für Schritt abbauten. Privatisierung und Ökonomisierung auf dem Rücken der Patienten und Mitarbeiter war die Maxime. Nicht erst seit Corona wissen wir um die Folgen dieser verfehlten Politik.

Um besser auf künftige Herausforderungen vorbereitet zu sein, sollten wir uns auf die Stärken unseres Gesundheitswesens zurückbesinnen: Präventionsmaßnahmen, die verhindern können, dass Menschen überhaupt zu Risikopatienten werden, Vorhaltung von Notfallkapazitäten, ausreichende personelle Ausstattung kritischer Bereiche und sinnvolle Nutzung von Ressourcen.

Dass dies der Ökonomisierung und dem Shareholder-Value diametral entgegensteht, liegt auf der Hand. Jeder Euro, der von börsennotierten Klinikketten, Versicherungen und Konzernen aus dem Gesundheitswesen abgezogen und an Anleger ausgeschüttet wird, fehlt in der medizinischen Grundversorgung und der Vorbereitung auf künftige Krisen. Wenn wir den Wildwuchs an Ökonomisierung in unserem Gesundheitswesen jetzt nicht mit Entschlossenheit angehen, wird uns die nächste Krise unsere Untätigkeit nicht verzeihen.

Der Autor (Foto: Rosen) ist niedergelassener Kinderarzt.

Die Außenansicht gibt die subjektive Meinung des Autors wieder und nicht unbedingt die der Redaktion.