Kurs
Mädchen lernen Selbstbehauptung

Die Trainerin Eva Freymadl zeigt Schülerinnen, wie sie sich behaupten können. Dieses Wissen soll den Mädchen helfen, sicher aufzutreten.

16.04.2013 | Stand 16.09.2023, 7:22 Uhr

So fest wie möglich zutreten: Eva Freymadl übt mit Anna, wie man einem Angreifer am Knie trifft. Laut Freymadl ist das die einfachste Technik, um einen Gegner kurz außer Gefecht zu setzen und wegzurennen. Foto: Straßer

Anna stellt die Füße parallel im Abstand von etwa 20 Zentimetern nebeneinander. Die Hände ballt sie vor der Brust zu Fäusten. Die Lippen presst sie ganz fest aufeinander. Das merkt sie gar nicht, so konzentriert ist die Elfjährige. Dann hebt sie den rechten Fuß, beugt den Oberkörper leicht nach links und tritt Henry gegen das Knie. Mit voller Wucht.

Die Selbstbehauptungstrainerin Eva Freymadl atmet stöhnend aus. Henry nennt Freymald ihr abgewetztes Box-Kissen. Das hält sie sich vor ihr eigenes Knie. Mit sieben Mädchen im Alter zwischen zehn und 13 Jahren übt sie, wie man sich mit ganz einfachen Techniken verteidigen kann.

Kick auf Kick treffen Mädchenfüße auf das Box-Kissen. „Ja. Los!“ – Freymadl feuert die Teilnehmerinnen des Selbstverteidigungskurses am Frauengesundheitszentrum an. „Fester!“

Es ist der Alptraum: Ein Fremder wird aufdringlich, ist vielleicht betrunken, greift zu, schlägt zu, will verletzten. In der Realität sind solche gewalttätigen Übergriffe Fälle selten. Doch manchmal, erklärt Freymadl, hören die Täter nicht auf ein „Nein“. Dann ist das eine Notfallsituation. Das haben die sieben Mädchen schon in der ersten Kursstunde gelernt. Und in so einer Situation, wissen sie, dürfen sie sich mit aller Kraftwehren.

Als Gegner auftreten

Da gibt es nichts zu beschönigen: Wer sich verteidigen will, muss ohne Rücksicht zupacken, zuschlagen, zutreten. Wer zögert oder verunsichert ist, kann sich nicht wirkungsvoll verteidigen. „Täter suchen Opfer, keine Gegner!“ – So stand das schon in der Kursbeschreibung. Freymadl will die Mädchen stärken, damit Sie selbstbewusst auftreten. „Es hilft zu wissen, wie man sich wehren kann“, sagt Freymadl. Das habe sie am eigenen Leib erlebt. Als junges Mädchen sei sie sehr schüchtern gewesen. Später habe sie gelernt, wie sie sich im Ernstfall zur Wehr setzen kann. Sie habe sich dadurch sicherer gefühlt und sei fortan ganz anders aufgetreten.

Den Mädchen macht es sichtlich Spaß, auf das Box-Kissen einzutreten. „Haltet Euch nicht zurück“, hat die Trainerin vor der Übung gesagt. Nach der fünften Runde wirkt sie trotzdem so, als wäre sie ein wenig aus der Puste und froh, erst einmal wieder durchzuatmen.

Freymadl ist wichtig, dass die Techniken, die sie zeigt, einfach umzusetzen sind. Sie müssen auch funktionieren, wenn die Mädchen im Sommer nur „einfache Schlappen“ anhaben. Sie müssen an zwei Tagen mit jeweils drei Kursstunden erlernbar sein. Und sie müssen so einprägsam sein, dass die Mädchen sie auch noch abrufen können, wenn der Kurs schon lange vorbei ist.

Der wirkungsvollste Tritt

Die Mädchen sollen vorschlagen, wohin sie einem Angreifer am besten treten. In den Bauch vielleicht? Freymadl schüttelt nicht gleich mit dem Klopf. Vivienne soll es vormachen. Die Zehnjährige täuscht den Tritt an – und hat Mühe das Gleichgewicht zu halten. Das war also noch nicht die richtige Idee. Auch aus einem zweiten Grund: „Viele Männer haben sehr kräftige Bauchmuskeln“, sagt Freymadl. Ein Tritt in den Bauch setzt die Gegner deshalb oft nicht außer Gefecht.

Die Trainerin will weitere Vorschläge hören. Die Mädchen lachen verlegen. Zwischen die Beine vielleicht? Ins Geschlechtsteil? Dort sind Männer doch sehr schmerzempfindlich... Freymadl stimmt zu. Die Hoden, sind eine anfällige Stelle am Mann, was den Schmerz betrifft. Dafür muss man sie aber richtig treffen. Das bedeutet von unten. Und das wiederum ist gar nicht so einfach. „Man muss sehr nah an dem Gegner stehen“, erklärt Freymadl.

Wieder stellt Freymadl die Situation nach, damit die Mädchen sehen, dass sie recht hat. Coro soll vormachen, wie sie einen Angreifer erledigen würde. Die selbstbewusste Blondine, die einmal Polizistin werden will, tritt vor. Freymadl spielt den Gegner. Aber um an die kritische Stelle zu kommen, muss Coro tatsächlich sehr nah an Freymadl herantreten, also sozusagen in den Infight gehen. Davor rät Freymadl ab. „Der Mann könnte Euch packen“, warnt sie. Um sich wieder loszureißen, wäre viel Kraft nötig.

Die Selbstbehauptungstrainerin empfiehlt eine andere Technik: den Tritt gegen das Knie. „Das tut weh,“ versichert Freymadl. Man muss nicht ganz so nah am Gegner stehen, um ihn am Knie zu treffen. Und: „Der Angreifer kommt aus dem Gleichgewicht.“ Dadurch können die Mädchen wertvolle Sekunden gewinnen, um schnell wegzulaufen.

Freymadl ist eine erfahrene Kursleiterin. Sie hat Diplom-Pädagogik an der Universität Regensburg studiert, Fachrichtung Erwachsenenbildung und außerschulische Jugendbildung. Seit Jahren bietet sie Selbstbehauptungskurse für Mädchen an sowie Seminare und Workshops zu Themen wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Selbstverteidigung oder verbale Selbstbehauptung für Frauen. Immer wieder haben ihr Frauen und Mädchen schreckliche Erfahrungen anvertraut.

Beim Gespräch mit den Mädchen achtet sie darauf, keine Ängste zu schüren. Sie stellt klar: „Ihr lernt hier, wie ihr Euch wehren könnt, wenn Ihr körperlich angegriffen werdet.“ Die Mädchen nicken. „Aber es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass ihr je in diese Situation kommt“, betont Freymadl. „Das ist der Extremfall. Der absolute Notfall, der vermutlich nie eintreten wird.“ Aber es geht darum, gerüstet zu sein. Das soll den Mädchen helfen, auch im Alltag selbstbewusster, sicherer aufzutreten.

Der Schwerpunkt des Kurses liegt auf den Kampftechniken. Aber Freymadl legt viel Wert darauf, dass sich die Mädchen vorher kennenlernen. Im Sitzkreis stellen sich alle vor. Sie sollen Vertrauen fassen. Ein Mädchen erzählt ganz offen, dass sie oft in der Schule provoziert wird. Sie will lernen, wie sie sich wehren kann. Andere sind zurückhaltender, nennen nur ihren Namen, ihr Alter und ihre Schule

Nichts herumtratschen

Ein Spiel soll beim Lockermachen helfen. Die Mädchen werfen sich einen Ball zu und rufen jeweils den Namen des Mädchens, das ihn fangen soll. Anschließend geht ein Stapel Karten durch die Runde. Nacheinander hebt jedes Mädchen eine Karte ab und liest das Wort vor, das darauf steht. Das sind Wörter wie Papa, Zimmer, Wasser oder Jungs. Die Mädchen sollen in einigen Sätzen erklären, was ihnen spontan zu diesem Stichwort einfällt. Manchmal ist das schwierig. Wie sind die Jungs in der Klasse denn so? – Ein heikles Thema.

Freymadl will, dass sich die Mädchen etwas versprechen: „Wir erzählen nicht rum, was eines der Mädchen hier erzählt.“ Sie stellt aber auch eine andere Sache klar: „Ihr dürft über alles reden – auch über alles, was wir hier im Kurs machen oder was hier gesagt wird.“ Freymadl erklärt den Unterschied zwischen Herumtratschen und sich einer anderen Person Anvertrauen. „Man darf über alles reden“, schärft sie den Mädchen ein. Die Mädchen geben sich die Hand, um sich gegenseitig Vertraulichkeit zuzusichern.

Dann kommt der Kurs in Tritt. Die Mädchen stellen sich auf. Sie bearbeiten den Boxsack, um starke Frauen zu werden.