Theater am Haidplatz
Morgenröte der Hoffnungslosigkeit: Ein Premierenabend, der auch verstört

05.02.2023 | Stand 15.09.2023, 1:44 Uhr
Peter Geiger
Düstere Szenarien bestimmen „Kein Weg zurück“ −Foto: Tom Lether

Der Weg zurück“ von Dennis Kelly führt nicht nur die Figuren in die Irre, sondern auch das Publikum an der Nase herum.

Wäre der Premierenabend von „Der Weg zurück“ im Theater am Haidplatz schon nach einer halben Stunde zu Ende gewesen, es bliebe einem nichts anderes übrig, als euphorisch zu urteilen! Denn: Wie Guido Wachter in die Rolle jenes Vaters schlüpft, dem ein hiobsartiges Schicksal widerfährt, weil er bei der Geburt seiner Tochter Dawn (was sich mit „Morgenröte“ übersetzen ließe) die Gattin verliert, das ist von Regisseur Philipp Becker als Monolog eines auf ganzer Linie transzendental Verzweifelnden so eindringlich und intensiv in Szene gesetzt, dass man gar nicht anders kann, als rückhaltlos begeistert und beeindruckt zu sein.

Rückwärtsgewandte Terrortruppe

Gleichzeitig liefert diese Eröffnungssequenz den bitteren Nukleus für alles Nachfolgende. Und damit den entscheidenden Impuls für das, was fortan als rückwärtsgewandte Terrortruppe auf der Bühne agieren wird: Verantwortlich für den jähen Tod macht er nämlich jenes Befruchtungsverfahren, das die Schwangerschaft erst ermöglicht hat. So wird aus ihm, der mit den Abgründen des technischen Fortschritts höchstpersönlich konfrontiert ist, ein Gegner jeder Wissenschaft. Und er vererbt diese Grundskepsis weiter, an das Neugeborene, wodurch dessen bedeutungsschwangerer Taufname zur Farce verkommt.

Im zweiten Bild wird sich für die längst erwachsene Dawn (vielleicht steckt ja in dieser trüben Buchstabensuppe auch ein bisschen „Darwin“ drin?) aus ödipal anmutender Verstrickung jenes Neugeborenenschicksal wiederholen, das ihr einst selbst widerfuhr: Sie ist inzwischen Anführerin einer gewalttätigen (und auch: brillant zusammen spielenden!) Terrorbewegung, die sich der „Regression“ verschrieben hat – also jenem Akt, der sich als Reaktion auf den in Frage stehenden Fortschritt versteht. Dawn verliert beim Kampf für die richtige Sache nicht nur ihren Gatten Jonathan, sondern streift nunmehr, schwanger mit Zwillingen, letzte Skrupel ab, um Labore zerstörend und Wissenschaftler mordend auf die Verwirklichung ihrer eigenen Agenda hinzuwirken.

Reich an schalen Parolen

Weshalb dieser Kulturpessimisten-Club in den nachfolgenden drei Bildern nicht schon viel eher gestoppt wird, das weiß allein der Autor dieses an beliebigen Setzungen und in unseren Ohren auch schalen Parolen so reichen Stücks. Stattdessen spiegelt sich der durchschlagende Erfolg der Ewiggestrigen in der chorischen Inszenierung des A-ha-Klassikers „Take on me“ sowie im permanent steigenden Wasserpegel auf der Bühne.

In einer Adaption von Orwell’schem „Neusprech“ beginnen die auf Errungenschaften vorsintflutlicher Zeiten vertrauenden Akteure sämtliche längeren Wörter aus ihrem Sprachschatz zu verbannen. So dass Kommunikation bald im Stammeln der kunstvoll inszenierten Einsilbigkeit erstickt. Demgegenüber steht der somnambul vorgetragene Schlussakkord von Hölderlin-Zitaten, worin Freiheit und Aufbruch gefeiert werden.

Am Ende fragt man sich als Zuschauer aber: Wozu das Ganze? Ist das nicht – bei allem Wissen um die Gefahren, die etwa von Impfgegnern und Untergangspropheten ausgehen können – zu viel der Ehre, was den hier behaupteten durchschlagenden Erfolg derjenigen anbelangt, die solche Szenarien herbeisehnen?

Freilich: Theater muss eine Bühne bieten, auch für dystopische Experimente. Dennoch, als Publikum fühlt man sich nach diesen spröden 110 Minuten ein bisschen genasführt. Die im Stück thematisierte, angeblich so rar gewordene Ressource der Hoffnung – sie schwindet, je länger dieser Retrofantasie dauert.