Ski Alpin
Nach dem Olympiasieg floss der Obstler

Markus Wasmeier prägte den Wintersport jahrzehntelang, als Sportler und als Kommentator. In Lillehammer kam er groß raus.

07.02.2015 | Stand 16.09.2023, 7:03 Uhr
Johannes Gerl
Goldener Moment: Markus Wasmeier im Kreise seiner Familie nach dem Sieg im Super G. −Foto: Stein Olsen

Olympiasieger, Sympathieträger, Museumsbesitzer, ARD-Experte – den Kühen in Kvitfjell ist das scheißegal. Der „weiße Hügel“ war 1994 Schauplatz olympischer Wettkämpfe. Aber der Glamour eines Olympia-Rennens, er könnte kaum weiter weg sein als hier. Ein rostiges Geländer, auf dem einst die Anzeigentafel montiert war, ist alles, was noch an die legendären Winterspiele im Süden Norwegens erinnert.

Und doch: Für Markus Wasmeier bliebe es selbst an diesem Tag jener besondere Hang, der, wie er selbst sagt, den „Wendepunkt in meinem Leben darstellt“. Der aus einem guten Skifahrer einen Star und aus einem sympathischen Sportler eine schillernde Figur machte. Ein Hang, der auch seine spätere Karriere als TV-Experte ebnete, die er vor der laufenden Saison, zwei Jahrzehnte später, beendet hat.

Noch heute vermag Kvitfjell, der „weiße Hang“, auf dem 1994 der Super G ausgetragen wurde, keine Antwort darauf zu geben, weshalb es ausgerechnet hier zu den grandiosen Erfolgen Markus Wasmeiers kommen konnte. Wie es hier, 50 Kilometer nördlich von Lillehammer geschehen konnte, dass Wasmeier mit einem Mal alle und alles überstrahlte, es noch einmal allen zeigte, Freunden, aber vor allem Gegnern und Kritikern.

Zusätzliche Motivation

Vier Tage zuvor hatte Wasmeier Platz 36 in der Abfahrt belegt, seine Enttäuschung war groß. Hinzu kam die harsche Kritik. „Wie ein Verbrecher“ sei er sich vorgekommen, sagt Wasmeier. Viele knicken an so einem Punkt ein. Wasmeier zog daraus zusätzliche Motivation. Zu den Gefühlen nach dem Triumph sagt er: „Ich würde es nicht Genugtuung nennen. Da war einfach nur tiefe innere Zufriedenheit“.

Nächster Hang, nächster Halt. Im Norden des 25 000-Einwohner-Städtchens Lillehammer steht ein türkisfarbenes Haus. Von der Farbwahl abgesehen typisch norwegisch. Wie auch Hausbesitzerin Hilde, die neugierige Störenfriede mit einem Händedruck der Marke „Wikinger“ empfängt. Zunächst misstrauisch, überwiegt schließlich der Stolz. Sie bittet zum Tee. Natürlich weiß sie, dass in ihrem Haus die Familie von Markus Wasmeier gewohnt hat, jeder in der Gegend weiß das. Aber viel mehr mag sie dann doch nicht mehr sagen, ihre elf Katzen müssen ja versorgt werden.

Ein wesentlicher Grund, warum Lillehammer damals so tolle Spiele auf die Beine gestellt hat, sei die Gastfreundschaft der Norweger gewesen, erzählt Markus Wasmeier. „Meine Familie hat sich hier sehr wohl, ja heimisch gefühlt.“ Kaum ein Norweger hat mehr dazu beigetragen als Stein Olsen. Der damalige Lokaljournalist hatte das türkisfarbene Haus während der Spiele an die Wasmeiers vermietet. 14 Personen, darunter Ehefrau Brigitte, Vater, Mutter und Sohn sowie enge Freunde waren Gäste in Olsens Haus.

Mit einem Mal viele Feunde

Als der überraschende Goldgewinn Wasmeiers im Super G feststand, gab es in Olsens Haus kein Halten mehr – auch nach zwei Jahrzehnten schwärmen die Nachbarn noch davon. Vater Wasmeier spielte Trompete, Champagner und Obstler flossen in Strömen. Stein Olsen erzählt von Kamerateams, die das Haus belagerten. Die gesamte Nachbarschaft war auf den Beinen. In diesen Erinnerungen schwelgend, wirkt auch Olsen, sonst eher ein brummiger Typ, wie ausgewechselt.

Kräftig gefeiert wurde der Erfolg auch im deutschen Olympia-Haus. Das heute morbide wirkende Anwesen liegt in einer schönen Bucht am Mjøsa-See, der damals bei Temperaturen um minus 30 Grad zugefroren war. Direkt nach der Verleihung der Medaillen ging es für Wasmeier zum Treffen mit Funktionären, Politikern und Sponsoren. Als Olympiasieger hat man mit einem Mal viele neue Freunde. Die Menschen, die Markus Wasmeier schon vorher mochten, schätzten sein bescheidenes Auftreten. Sogar seine Konkurrenten taten dies. Nach seiner zweiten Goldmedaille im Riesenslalom, einer noch größeren Sensation als dem Sieg im Super G, wurde Wasmeier vom Mitfavoriten Alberto Tomba auf Schultern getragen. Der Norweger Jan Einar Thorsen verpasste die Medaillen knapp. Ein Freund Thorsens erzählt von der Enttäuschung im norwegischen Team. Dann aber sagt er: „Markus? Ein toller Mensch. Jeder hat ihm den Sieg gegönnt“.

Markus Wasmeier ist in Lillehammer unvergessen, nur die Orte des Geschehens verlieren langsam ihren Bezug zu Olympia – kaum verwunderlich nach so vielen Jahren. Umso mehr hatte Lillehammer auf eine Wiederholung des Märchens im Jahr 2022 gehofft, bis der Traum platze. Die Regierung in Oslo zog die Bewerbung zurück. Als Trostpreis blieben die Olympischen Jugendspiele im Februar 2016.

Was außer den Erinnerungen überlebt hat, sind Infrastruktur und Sportstätten. In konzentrierter Form finden sich diese im Olympiamuseum von Lillehammer, das sich zusammen mit einer Schulsportanlage eingenistet hat in der ehemaligen Eishockeyhalle. Es ist dies die letzte Station der Wasmeier-Pilgerfahrt. „Typisch norwegisch und authentisch“, sagt Wasmeier.

Foto in einer düsteren Ecke

Zuletzt war Wasmeier vor ein paar Jahren hier, aufgetischt wurden Kartoffeln, Knäckebrot, Lachs. „Ich mag so etwas“, sagt Wasmeier. Im Museum selbst musste er aber lange suchen, bis er den Ort fand, der an seine Erfolge erinnert. Dem Norweger Kjetil André Aamodt, der 1994 ohne Gold blieb, wird mit Pokalen und Trophäen in einem riesigen Glaskasten gehuldigt. Wasmeier musste hinaufsteigen hinter den Block C der Håkons Halle. In einer düsteren Ecke strahlt er von einem quadratischen Schwarzweiß-Foto.

Der Museumsführer Sebastian Kühn sagt: „Der Herr Wasmeier hat sich das Bild angeschaut und war zufrieden. Er sagte, von dort aus hätte er es wenigstens nicht weit zum Klo.“