Regisseur Marcus H. Rosenmüller erzählt von seinen ersten Animationsfilm, neuen „Pumuckl“-Folgen und seinen Plänen für Frankenstein.
Sie haben es sogar in den Duden geschafft – die Deixfiguren. Sie stehen für die „ins Lächerliche verzerrte karikierte Darstellung eines Menschen“. Dralle, durchtriebene, pickelige, bösartig grinsende, gewaltbereite Kleinbürger – allesamt geschaffen von dem österreichischen Karikaturisten Manfred Deix (1949–2016). Gnadenlos war dessen Blick auf die Welt und die Menschen. Bigotterie, Egoismus, Klerikalismus, Rechtsextremismus, Rassismus waren seine Themen – und er zeichnete mit drastischem Witz dagegen an.
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„Willkommen in Siegheilkirchen“ heißt der Animationsfilm, der mit Deix-Bildern über Deix erzählt. Denn dessen Biografie gibt die Folie für diese Coming-of-age-Story eines Jungen in den 60er Jahren, für den die Kunst zum Widerstandsakt gegen die Verlogenheit der österreichischen Gesellschaft wird.
Regie führte Marcus H. Rosenmüller, der sich mit „Wer früher stirbt, ist länger tot“, der „Beste Zeit“-Trilogie oder auch mit „Trautmann“ einen Namen gemacht hat. Beim Kino-Open-Air Donauflimmern im Innenhof des Neuen Schlosses stellte er am Donnerstagabend seinen neuen Film vor.
„Ganz kurz“, sagt er, bevor es zum Interview geht. Man müsse sich unbedingt noch die Anfangsszene ansehen. In der ein Baby zum Donau-Walzer im Fruchtwasser schwebt. Plötzlich platzt die Fruchtblase, das Baby stürzt einen Abgrund hinter und obwohl es sich mit aller Kraft wehrt, wird es hinausgepresst ins Leben. Sieht als erstes – kopfüber – die furchterregende Hebamme. Der „Rotzbub“ ist da. Was für ein Empfang in dieser Welt! Marcus H. Rosenmüller lacht. Es ist eine seine Lieblingsszenen. Immer noch. Obwohl er seinen Film bestimmt schon 30 Mal gesehen hat. Vor der Kinotour war „Willkommen in Siegheilkirchen“ auf vielen Festivals zu Gast – etwa beim französischen Annecy International Animation Film Festival. „Da gab es Standing Ovations“, erzählt Rosenmüller. „Gänsehaut!“ Oder zuletzt beim Filmfest München.
Wobei er schon festgestellt hat: Das deutsche Publikum fremdelt ein bisschen mit diesem Animationsfilm für Erwachsene. Der Humor ist so durch und durch schwarz, abgründig, schonungslos und österreichisch – wie man ihn auch von Filmemachern wie Uli Seidl, Autoren wie Wolf Haas oder Kabarettisten wie Josef Hader kennt. „Das hat schon immer auch wehgetan. Die sagen: Wir gehen bei uns in den Keller und machen das Licht an. Hierzulande gibt es da eher die Einstellung: Wir lassen das Licht lieber aus, weil wir das gar nicht sehen wollen.“ Im Nachbarland gab’s dafür den Österreichischem Filmpreis.
Für den bayerischen Regisseur (49) ist der Ausflug in das Genre Animation auf jeden Fall neu. Er selbst wäre nie auf die Idee gekommen, einen Animationsfilm zu machen. „Aber ich liebe die Herausforderung. Wenn ich gefragt werde, dann habe ich auch keine Angst zu versagen. Die anderen wissen ja, dass ich noch keine Erfahrung auf diesem Gebiet habe. Das gibt mir die Freiheit, Fehler zu machen oder dumme Fragen zu stellen“, verrät er.
Und so sagte er zu, als ihm Produzent Ernst Geyer den Vorschlag machte. Er kannte die Deix-Karikaturen von früher aus dem „Stern“, hatte sie immer als sehr provokativ empfunden. Das Drehbuch gefiel ihm – und die Idee, einen Film über Manfred Deix zu machen und dafür die Figuren aus seinem Œuvre zu nutzen. Den Künstler selbst hatte er nicht mehr getroffen. Er starb 2016. „Aber er war mir sympathisch, durch seinen Schabernack, durch seine kindische Art. Wie er sich gefreut hat. Wie er geredet hat.“ Rosenmüller ahmt den österreichischen Dialekt nach: „Ihr seid ja so fad. So mittelmäßig – es Deutschen.“
Gemeinsam mit dem Trickfilmer Santiago López Jover und seinem Kreativteam hat Rosenmüller das Personal für seinen Film „gecastet“, hat aus dem Deix-Universum Karikaturen gewählt, die in dem Film Verwendungen finden könnten. Nur wenige wie der Rotzbub oder Mariolina wurden neu erschaffen.
Beim Animationsfilm ist der Prozess des Machens ein ganz anderer, erklärt der Regisseur. „Im Animationsfilm hat man eine Vision – und das kann man einfach zeichnen lassen und umsetzen. Man kann innere Emotionen nach außen kehren, subtil andere Botschaften verstecken. Ich kann den Rotzbub schweben lassen, wenn er verliebt ist. Das hat mich übrigens inspiriert für den Realfilm. Aber da ist es halt schwieriger umzusetzen. Bei der Animation muss man jeden Background, jede Location kreieren. Dazu habe ich lange gebraucht und mir Berater aus dem Realfilm gesucht. Das war mich alles zu clean. Ich wollte einen authentischen Deix-Stil, der ja ein bisschen aquarellig ist. Trotzdem sollten die Dörfer dreckiger sein.“
Schon die Suche nach Geldgebern gestaltete sich schwieriger. Aber auch die Arbeit dauerte länger. „In meinen bisherigen Filmen entstand vieles im Schneideraum. Hier musste alles schon vorher festgelegt werden. Erst wenn die Geschichte 100-prozentig steht, die richtige Länge und einen Rhythmus hat, kommt die große Transformation von 2D in 3D. Und das ist teuer.“
Entstanden ist jetzt ein Film, der sich an Deix' Biografie entlanghangelt, aber mit seinem Panoptikum provinzieller Dumpfheit viel über die Gesellschaft damals und heute erzählt. Deix wuchs in Böheimkirchen auf, wo seine Eltern ein Wirtshaus betrieben. Der Vater war Kriegsinvalide. Und auch die Liebesgeschichte mit dem Roma-Mädchen ist wahr. Deix provozierte, schockierte und rüttelte an gesellschaftlichen Tabus. „Ich mochte es auch, dass er sich selbst reingezeichnet hat. Denn man wird ja immer schnell moralisch und vergisst leicht, dass man auch so ein Mitläufer ist“, sagt Rosenmüller.
Der Ausflug in das Genre Animation wird kein Einzelfall bleiben. Gerade hat Rosenmüllerneue „Pumuckl“-Folgen abgedreht, in denen der kleine Kobold bei Meister Eders Neffen (Florian Brückner) klabautert.Nächstes Jahr wird man sie sehen. „Ich bin ein ganz großer Fan vom alten Pumuckl. Deshalb war ich zunächst skeptisch, die Regie zu übernehmen. Aber irgendwie war ich auch stolz, dass ich dabei sein durfte, ihn wieder zum Leben zu erwecken.“ Nächstes Jahr wird er dann den Kinderklassiker „Nils Holgersson“ angehen – mit realen Schauspielern und animierten Tieren.
Und weil er schon mal in Ingolstadt ist, fällt ihm ein, dass er schon immer mal einen Frankenstein-Film machen wollte. „Da geht es schließlich um große Themen wie die Sehnsucht nach Unsterblichkeit – oder darum, den Tod zu akzeptieren. Auch die Entstehungsgeschichte im Jahr 1816, das als Jahr ohne Sommer in die Geschichte einging, interessiert mich, Depression, Weltuntergangsstimmung, das sind spannende Themen.“ Noch ist er in der Sammelphase. Aber klar ist: Falls der Film realisiert wird, kommt er damit auf jeden Fall wieder nach Ingolstadt.
− DK
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