Wettbewerb
Neue Weltordnung: Macht ersetzt Moral

Die Kräfteverhältnisse verschieben sich hin zu China. Der Westen ist gezwungen, die eigenen Interessen stärker durchzusetzen.

17.11.2021 | Stand 15.09.2023, 23:04 Uhr
China, der neue Riese. Hier wird Macht klar nach eigenen Interessen ausgeübt. −Foto: Andy Wong/picture alliance/dpa

Ein fairer Welthandel, in dem Staaten und Unternehmen Menschenrechte achten, die Umwelt um ihrer selbst willen pfleglich behandeln, (westliche) ethische Werte hochhalten und dafür Nachteile in Kauf nehmen – so stellen wir uns das idealerweise vor. So ist es aber nicht und wird es in Zukunft noch viel weniger sein. Vielmehr geht es nun darum, sich durchsetzen zu können. Weniger Moral, mehr Macht. „Wir werden in Zukunft stärker die eigenen Interessen im Blick haben müssen.“ So lautet die Botschaft des Politikwissenschaftlers Professor Herfried Münkler, die er am Dienstagabend in Regensburg verbreitete.

Im Lichte des Machtkampfs zwischen den USA und China um die globale Vorherrschaft zerschmetterte der Wissenschaftler jegliche Hoffnungen, dass sich Idealismus und selbstlose Wohlgesonnenheit auszahlen. Münkler sprach beim Herbstgespräch des Metall- und Elektro-Arbeitergeberverbands vbw Oberpfalz. Dort tauschte man sich aus, was die Veränderung der globalen Machtbalance für die Wirtschaft in Bayern bedeutet.

Exporte Bayerns: China nah an USA

Johannes Helmberger, Vorstandsvorsitzender der vbw-Bezirksgruppe, erklärte das große Interesse am Thema: Beide Länder seien zentrale Absatzmärkte für den Freistaat. Im vergangenen Jahr habe Bayern Waren im Wert von rund 17 Milliarden Euro in die USA exportiert. Mit einem Anteil von mehr als zehn Prozent am gesamten bayerischen Exportvolumen seien die USA wichtigster Exportmarkt für den Freistaat. Gleich dahinter folge China mit einem Exportvolumen von 16 Milliarden Euro. „In diesem Jahr erweist sich die starke Nachfrage aus China, wo die Konjunktur nach dem Corona-Einbruch viel schneller wieder an Fahrt aufgenommen hat, als wichtige Stütze für die bayerische Exportwirtschaft“, so Helmberger.

Die Bedeutung Chinas für die Unternehmen nimmt rasant zu, während die der USA eher stagniert. Zumal China besser durch die Pandemie gekommen sei als der Westen, so Münkler. China sei in den vergangenen zwei Jahren näher gerückt und auch bedrohlicher geworden. Andererseits sei das Projekt Weltordnung, gestützt auf Recht und Werte, gescheitert. Als ikonisches Geschichtszeichen dafür nennt Münkler den eiligen Abzug des Westens aus Afghanistan. Damit habe der Westen sichtlich dieses Projekt aufgegeben, „es ist ihm zu teuer geworden“. Die USA hätten sich von ihrer Rolle als Hüter dieser Ordnung basierend auf den genannten Werten verabschiedet.

China übernehme nicht diese Rolle, sondern verfolge eine andere große Strategie. Diese basiere auf Abhängigkeiten. Über die große südliche asiatische Landbrücke baue China dieses Netz aus, das mittlerweile bis tief nach Afrika und bis nach Griechenland (Übernahme des Hafens Piräus) reiche.

Professor: Berater:
Professor Dr. Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler und hatte bis 2018 die Professur für „Theorie der Politik“ an der Humboldt Universität Berlin inne. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft und Mitglied im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit berät er die aktive Politik, auch das Auswärtige Amt.

Das bedeute: Die Akteure müssten in Zukunft stärker ihre eigenen Interessen im Blick haben. Auch der neue US-Präsident Joe Biden werde an mehr „America first“ nicht vorbeikommen. Weniger Moral und Werte, mehr eigener Vorteil, laute die notwendige Devise. Und um dabei mitspielen und eine wichtige Rolle übernehmen zu können, müsse man Handlungsmacht aufbauen. Wer seine Interessen nicht durchsetzen könne, der werde verlieren.

„Der Dumme ist derjenige, der am längsten daran glaubt.“Prof Herfried Münkler

Das stark werteorientierte Europa müsse sich umstellen, lautet Münklers so nüchternes wie ernüchterndes Fazit. Die Vereinten Nationen könnten diese Werte nicht mehr durchsetzen. Deswegen „werden wir uns von dieser Form der Orientierung an Werten verabschieden müssen“. Normen und Werte sollten zwar weiterhin eine Rolle spielen, Europa sei darauf begründet. Aber „der Dumme ist derjenige, der am längsten daran glaubt“. Die Alternative: Zu anderen Staaten ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens und Verlässlichkeit aufbauen, sagt Münkler. Und digitale Souveränität erlangen. Europas Staaten bräuchten eine eigene digitale Infrastruktur. Heute seien all die europäischen Daten in den Clouds von US-Unternehmen gespeichert. Ein großer Fehler, meint der Professor.