Kreiswehrersatzamt
„Nichtstun kann die Hölle sein“

Nach 56 Jahren wurde am Freitag das Kreiswehrersatzamt in der Bajuwarenstraße in Regensburg geschlossen. Zu Arbeiten gab es in den letzten Monaten wenig.

03.12.2012 | Stand 16.09.2023, 21:03 Uhr

Das Kreiswehrersatzamt in der Bajuwarenstraße schloss am Freitag für immer seine Pforten – in der Diskussion bleibt es dennoch. Foto: Scharf

1956 öffnete das Kreiswehrersatzamt in Regensburg seine Türen. Von anfänglich zehn wuchs das Amt auf bis zu 170 Mitarbeiter. Mehrere hunderttausend junge Männer wurden dort für den Wehrdienst gemustert. Dieser wurde vor eineinhalb Jahren ausgesetzt. Am vergangenen Freitag schloss die Behörde in der Bajuwarenstraße endgültig ihre Pforten. In der Diskussion bleibt sie. Eine leitende Mitarbeiterin erzählte der MZ, dass die letzten Monate „furchtbar“ waren. Die Bundeswehr habe für die Übergangszeit ein mangelhaftes Konzept gehabt: „Viele hatten quasi nichts zu tun. Das ist die Hölle.“

Am letzten Tag der Behörde empfängt die stellvertretende Amtsleiterin Maria Kobler die MZ in ihrem Büro. Das Kreiswehrersatzamt sei wie ein Spiegel der Zeit gewesen, erzählt sie. Mit Gruppenbeschauungen junger Männer in Unterhosen, wie es sie in den Anfangstagen gegeben haben soll, habe eine Musterung zum Schluss nichts mehr zu tun gehabt. Vielmehr sei das Amt am Ende ein hochmoderner Apparat gewesen. Im Team hätten vier Ärzte und ein Psychologe mitgearbeitet. Immer wieder gab es auch prominente „Gäste“. Der bekannteste war wohl Fürst Albert von Thurn und Taxis, der zu Beginn des Jahrtausends gemustert wurde.

Musterungen waren auch beliebte Stammtischgespräche. Mancher erzählte dann, wie er es mit seinem „Super-Anwalt“ geschafft habe, dem Wehrdienst zu entgehen. Kobler kennt viele dieser Geschichten. „95 Prozent davon sind erdichtet“, meint sie. Und den Anwalt hätten sich die meisten auch sparen können, „wenn sie uns gleich die erforderlichen Unterlagen geschickt hätten.“

„Es sind alle in ein Loch gefallen“

Für die knapp eineinhalb Jahre seit der Aussetzung des Pflichtwehrdienstes zieht Kobler eine bittere Bilanz. Dafür habe es so gut wie keine Planung vom Dienstherrn gegeben. „Da sind alle in ein gewaltiges Loch gefallen“, erzählt sie. Das Amt habe zuvor „auf Anschlag“ gearbeitet. Jede Hand sei gebraucht worden, um die viele Arbeit erledigen zu können: „Das war Druck ohne Ende.“ Von heute auf morgen sei dann ein brutaler Schnitt erfolgt. „Zwei, drei Tage nichts zu tun zu haben kann mal schön sein. Zwei, drei Wochen kriegt man rum. Aber eineinhalb Jahre nichts zu tun zu haben, das ist die Hölle, es war furchtbar“, sagt sie. Man habe sich dann eben beschäftigt, so gut es ging. Vor allem habe man Akten sortiert. Wirklich ausgelastet sei dadurch keiner ihrer Mitarbeiter gewesen. Aus der Not gab es aus dem eigenen Kreis die Anregung, anzufragen, ob man bei anderen Behörden mitarbeiten könnte.

Der Leiter des Kreiswehrersatzamtes, Günther Völkl, bestätigt, dass die Situation in den letzten Monaten „sicher belastend für viele unserer Mitarbeiter war“. Zum unbefriedigenden Aufgabenspektrum sei schließlich die Ungewissheit gekommen: „Viele wussten nicht, wo sie hinversetzt werden.“ Er will das aber nicht dramatisieren. Im neu geschaffenen „Karriere-Center“ der Bundeswehr hätten einige Mitarbeiter bereits neue Aufgaben gefunden. Zudem gebe es Völkl zufolge eben Dinge, die nicht zu ändern sind. „Da kann auch die Wehrbereichsverwaltung wenig machen, wenn es immer weniger Einsatzfelder für Mitarbeiter der Bundeswehr gibt. Das waren in erster Linie politische Entscheidungen.“ Wenigstens hätten seine Mitarbeiter gewusst, dass sie – anders als in der Privatwirtschaft – nicht gekündigt werden können.

Für Kobler ist das nur ein schwacher Trost. Die verheiratete Frau wohnt in Straubing. Nach wochenlangem Briefwechsel habe sie endgültig erst am vergangenen Freitag erfahren, wie es weitergeht: „Erst da habe ich schriftlich mitgeteilt bekommen, dass ich an diesem Montag in München anfangen soll.“ Sie kann das nicht verstehen, weil es für sie nach ihrer Einschätzung weitaus näher gelegene Einsatzorte gegeben hätte.

Über die Vorwürfe der fehlenden Planung für die Übergangszeit und die späte Information der Mitarbeiter über ihre zukünftigen Dienstorte informierte die MZ am Montag die zuständige Wehrbereichsverwaltung Süd in Stuttgart. Pressesprecherin Silke Brand-Schoder sagte der MZ, dass die Angelegenheit nun von den zuständigen Fachbereichen geprüft wird. Vorher könne sie dazu keine Stellung beziehen.

„Titanic“-Motto zum Abschied

Im Kreiswehrersatzamt herrscht am Freitag derweil Abschieds- und Auflösungsstimmung. Ins Büro von Kobler kommen Mitarbeiter herein, „um noch kurz ‚Auf Wiedersehen‘ zu sagen“. Überall stehen die Umzugskisten. Bleiben wird nur eine Handvoll Mitarbeiter, die im „Karriere-Center“ der Bundeswehr eingesetzt werden.

Am Vorabend der Schließung des Amtes gab es eine interne Abschiedsfeier. Die hatte ein bezeichnendes Motto: „Titanic“. Auf einem großen Plakat hatten Mitarbeiter ein Schiff aufgezeichnet, das in den Fluten versinkt und das Kreiswehrersatzamt symbolisierte. Die Botschaft ist eindeutig: Die Behörde wurde nicht bloß aufgelöst – sie ging unter.

Am Kreiswehrersatzamt waren nur zivile Mitarbeiter beschäftigt, also Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst. In Regensburg hatte das Amt ab 1956 seinen ersten Dienstsitz in der Adolf-Schmetzer-Straße. Weil die Räume für das Kreiswehrersatzamt bald nicht mehr ausreichten, zog es 1958 in die Roten-Hahnen-Gasse um und 1962 ging es weiter in die Straße An der Brunnleite. Anfang der 90er Jahre bezog es dann das Domizil in der Bajuwarenkaserne, wo es bis zur Auflösung am 30. November 2012 blieb. Wie Amtsleiter Völkl der MZ sagte, gebe es keine zuverlässige Statistik, wie viele Männer genau seit 1956 in Regensburg gemustert wurden. Eine Zahl habe er allerdings: Allein von 1998 bis 2011 seien 83627 Musterungen durchgeführt worden. Die zu Spitzenzeiten 170 Mitarbeiter des Amtes waren auf sieben Dienstorte verteilt: Regensburg, Deggendorf, Kümmersbruck, Roding, Feldkirchen, Regen und Manching. Das Einzugsgebiet der zu musternden Männer war ganz Niederbayern und die südliche Oberpfalz. Das Ende der Behörde war eingeleitet worden, als das Bundeskabinett im Frühjahr 2010 beschloss, dass alle Ministerien Einsparvorschläge zur Sanierung des Bundeshaushaltes machen mussten. Der Haushalt des Verteidigungsressorts sollte dabei um 8,3 Milliarden Euro reduziert werden. Am 22.Oktober wurde dann bekannt gegeben, dass die Bundesregierung beabsichtigt, die Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 auszusetzen. Die Nachfolgeorganisationen der Kreiswehrersatzämter sind die „Karriere-Center“ der Bundeswehr. In der Bajuwarenstraße wird nun eine Außenstelle des Karriere-Centers Nürnberg eingerichtet. Dort werden auch einige Mitarbeiter des Kreiswehrersatzamtes Völkl zufolge weiter beschäftigt. Vielen wurden aber auch andere Standorte zugewiesen, manche wechselten auch, etwa zur Zollverwaltung.