1000 zusätzliche Stellen
Oberpfälzer Metall- und Elektroindustrie: „Wir brauchen viel mehr Zuwanderer“

09.01.2023 | Stand 15.09.2023, 2:10 Uhr |
Zuwanderer wie dieser Mann aus Somalia sind der Industrie hoch willkommen. − Foto: Patrick Pleul/dpa

Wir haben uns das alles viel schlimmer vorgestellt als es nun kommt. So könnte man zusammenfassen, wie die Oberpfälzer Metall- und Elektro-Industrie die nahe Zukunft sieht. Vorsichtige Entwarnung nach der großen Unsicherheit. Nur die Arbeitskräfte fehlen.



Der Vorstandsvorsitzende der Arbeitgeberverbände bayme vbm in der Region Oberpfalz-Nord, Stefan Klumpp, kondensierte die Daten und Stimmungen gestern bei einer Online-Pressekonferenz auf folgenden Nenner: Die Auftragsbücher sind voll, es steht eine Schwächephase bevor, ehe im Herbst die Konjunktur wieder anzieht.

Mehr als 1700 Stellen geschaffen

Energie, Lieferketten, Inflation – das bereitet nach wie vor Sorgen, zum Teil große. Aber noch viel anhaltendere Probleme sehen die Arbeitgeber der Leitbranche im Bereich Arbeitskräfte. Im vergangenen Jahr haben die Unternehmen den Zahlen zufolge mehr als 1700 Stellen geschaffen auf rund 97.000. „Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Beschäftigten in der Oberpfälzer Metall- und Elektroindustrie im Verlauf des kommenden Jahres um 1000 zunehmen wird – wenn wir sie denn bekommen“, schränkte der Vorstand des Tirschenreuther Walzenherstellers Hamm sogleich ein.

Er mag schon nicht mehr von einem Fachkräfte-, sondern von einem Arbeitskräftemangel sprechen. Dieser mache sich in fast allen Lebensbereichen bemerkbar. Und „für die Unternehmen ist es das zentrale Thema der nächsten zehn Jahre“, so Klumpp. In diesem Zeitraum werde die Zahl der Arbeitskräfte, aktuell 45 Millionen, um sechs Millionen zurückgehen, vorausgesetzt es wandern jährlich 200.000 Menschen zu. Ein Sechstel weniger Arbeitende, das sei für das Sozialsystem und die Wirtschaft eine immense Bedrohung. Was tun? Der Arbeitgeberverband plädiert für ein späteres Renteneintrittsalter, für mehr Frauen in Beschäftigung, für die Qualifizierung Ungelernter. Vorwürfe, die Unternehmen lehnten ältere Beschäftigte ab, wies Klumpp zurück: „Den Jugendwahn gibt es in der Industrie nicht mehr, den können wir uns nicht mehr leisten.“

Deutschland brauche eine Willkommenskultur

Die Lücke sei nur durch Zuwanderung zu lösen, und dabei dürfe Deutschland nicht wählerisch sein. Menschen nur aus Europa zu akzeptieren, sei ein Irrglaube. Denn in ganz Europa fehlten Arbeitskräfte. Klumpp brach bei diesem Thema eine Lanze für die Vorhaben der Bundesregierung: erleichterte Zuwanderung, leichterer Zugang zur Staatsbürgerschaft – unbedingt. Die Wirtschaft würde sich noch weitergehende Schritte wünschen. Deutschland brauche eine Willkommenskultur. Politisch müsse man den Rechtspopulisten das Wasser abgraben. Hart ging Klumpp deshalb mit den führenden Unionspolitikern ins Gericht. Deren Äußerungen zu Zuwanderung und Staatsbürgerschaft „kommen von einem anderen Planeten“. Verbandsgeschäftsführer Hermann Brandl ergänzte, die vielfach so kritisch gesehene Immigrationswelle im Jahr 2015 wirke sich positiv aus. Die meisten Einwanderer hätten entweder das Land wieder verlassen oder arbeiteten. Ohne sie hätten wir in Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung größere Probleme, so Brandl.

Zur wirtschaftlichen Lage erklärte Klumpp, die corona-bedingten Lieferengpässe seien noch virulent, Energiekrise und Inflation belasteten durch höhere Kosten und „weil die Menschen das Geld zusammenhalten“. Immerhin sinke die Inflation bereits, man sehe das am besten an der Tankstelle. Die Industrie lebe von den noch vollen Auftragsbüchern. Aber die Auftragslage schwäche sich ab.

Kernproblem bleibt laut Umfrage der Mangel an Rohstoffen, Material und Vorprodukten. Knapp die Hälfte der Unternehmen leidet unter mittelmäßigen bis starken Beeinträchtigungen durch den Materialmangel. Neun von zehn haben mit verspäteten Lieferungen zu kämpfen. Für die kommenden Monate hoffen die Verbände, dass die Gas- und Strompreisbremsen ihre entlastende Wirkung für die Unternehmen entfalten. Andernfalls würde dies zu einer konjunkturellen Talfahrt führen, so das Statement.

Info: Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen der Oberpfälzer Metall- und Elektroindustrie

Lage/Aussicht:Die Lage wird von fast 40 Prozent der Unternehmen als gut bewertet, weniger als in der Umfrage davor. Die Erwartungen für 2023 bleiben im negativen Bereich – mehr Unternehmen erwarten eine Verschlechterung.

Produktion:Die Produktionspläne sind stabil. Erwartet wird eine Erholung ab dem Frühjahr 2023, die sich im Herbst verlangsamen wird. Im Jahresdurchschnitt wird die Produktion auf dem Niveau von 2022 liegen, prognostiziert Klumpp.

Erträge:Die Ertragslage der Unternehmen ist gut, aber differenziert. Über die Hälfte der Betriebe rechnet im laufenden Jahr mit einer Nettoumsatzrendite von über vier Prozent. Gleichzeitig befindet sich jedes dritte Unternehmen in einem kritischen Bereich: Fast 13 Prozent befürchten Verluste und weitere knapp 20 Prozent müssen mit einer Rendite von unter zwei Prozent auskommen. Die Ertragslage sei damit etwas besser als noch im Sommer.

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