Spurensuche
Olof Palme: War sein Mörder ein Agent vom Balkan?

Die Hintermänner des Mordes an dem schwedischen Ministerpräsidenten 1986 sollen aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen.

20.01.2011 | Stand 16.09.2023, 21:09 Uhr
Norbert Mappes-Niedieck

Graz.Hat ein jugoslawischer Spion den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme erschossen? Von einer „heißen Spur“ schreibt das Magazin Focus. Bei näherem Hinsehen aber führt die Spur in ein Dickicht von Verdächtigungen, mit dem frühere Agenten sich seit Jahren gegenseitig überziehen. Und wird dort allmählich kälter. Eine Reise durch die Welt der Agenten des ehemaligen Jugoslawien.

Quelle für den Verdacht ist Vinko Sindicic, ein früherer Agent des jugoslawischen Staatssicherheitsdienstes Udba. Sindicic dient der deutschen Bundesanwaltschaft als Zeuge für die Operationen der Udba in den Achtzigerjahren. Seine Aussage führte im Juli 2008 zur Verurteilung eines anderen Agenten: Der Kroate Krunoslav Prates wurde des Mordes an einem nach Deutschland geflüchteten Direktor der kroatischen Erdölgesellschaft INA überführt.

Prates, der zur Tatzeit schon lange in Deutschland lebte, war 1983 einer von sechs Männern, die ihrem Opfer vor seiner Wohnung im bayrischen Wolfratshausen aufgelauert hatten. Im Oktober 2009 wurde, ebenfalls aufgrund einer Aussage von Sindicic, ein weiterer mutmaßlicher Wolfratshausener Mörder verhaftet.

Der „rote James Bond“

Sindicic ist in Kroatien eine prominente Figur. Der 65-Jährige mit der 007-Fliege als Markenzeichen, der neuerdings sogar als Tourismus-Investor auftritt, lässt sich in der Öffentlichkeit als „roter James Bond“ feiern und unterhält sogar einen eigenen Blog. Prominenz errang der „Gentleman-Spion“, als er 1999 in Zagreb vom Vorwurf des Mordes an dem prominenten Dissidenten Bruno Busic freigesprochen wurde. Sowohl in Kroatien als auch in Serbien genießen Agenten, gerade auch die des untergegangenen Jugoslawien, seit jeher Prestige. Schon die kommunistische Führung prahlte gern mit der Unerschrockenheit ihrer Spione und vermittelte Dissidenten damit den Eindruck, sie seien nirgends auf der Welt vor ihnen sicher. Im Land selbst erregten die Taten eine schaurige Bewunderung. Den erfolgreichen Mord von Wolfratshausen versuchte der damalige Innenminister Stane Dolanc kaum zu vertuschen. Mindestens so prominent wie Sindicic in Kroatien wurde einer der sechs Mörder von 1983 später in Serbien als Freischärlerführer.

Lohnendes Ziel für Desinformation

Auch nach 28 Jahren hat der Mord von Wolfratshausen noch immer eine erhebliche politische Brisanz und ist damit auch ein lohnendes Ziel für Desinformationen. Zu den Auftraggebern für den Mord gehörte laut Sindicic nämlich auch der frühere Geheimdienstchef des kommunistischen Kroatien, Josip Perkovic, der seit dem Urteil im Juli 2008 denn auch vom Bundeskriminalamt steckbrieflich gesucht wird. Dessen Sohn Sasa aber ist Sicherheitsberater des amtierenden kroatischen Präsidenten Ivo Josipovic.

Der familiäre Zusammenhang ist kein zufälliger. Das Geheimdienstmilieu ist in Kroatien wie einst in Jugoslawien von politischer Kontrolle weitgehend unabhängig. Organisationswissen wird privatisiert: Wenn sie abgelöst wurden, haben Chefs und Top-Agenten ihre Kenntnisse und ihre Informanten mit ins Privatleben genommen. Die Folge ist, dass verschiedene Agenten-Generationen sich gegenseitig bekämpfen. Politiker tun gut daran, sich in deren Kreisen breiter Loyalität zu versichern. Sicherheitsberater Perkovic bekam seinen einflussreichen Job schon unter Josipovic-Vorgänger Stipe Mesic, der aus seinen langen Dissidentenjahren selbst eng mit dem Milieu der Schlapphüte verbunden war.

Mord in die Schuhe geschoben?

Opfer der Udba-Morde wurden in der langen Nachkriegszeit bevorzugt nationale Emigranten, meist aus Kroatien, die den brüchigen Vielvölkerstaat im Exil diskreditierten. Zur Strategie des Geheimdiensts gehörte gelegentlich auch, den radikalen Emigranten Taten unterzuschieben, die sie gar nicht begangen hatten – wie einen Mehrfachmord in Düsseldorf 1965. In dieses Muster soll laut der Aussage von Vinko Sindicic auch der Mord an Olof Palme 1986 gehören.

Als sozialistischer Regierungschef eines blockfreien Staates war Palme für eine jugoslawische Mordaktion alles andere als ein naheliegendes Ziel. Hätte Belgrad die Tat aber kroatischen Emigranten unterschieben wollen, so wäre der Verdacht damals wenigstens eine Weile in der Öffentlichkeit kursiert. Das war jedoch nie der Fall. Entsprechend unklar ist, warum Belgrad Palme hätte ermorden lassen sollen.

Noch heute macht das Milieu mit rätselhaften Anschlägen von sich reden. Erst am vergangenen Montag wurde bei der kroatischen Botschaft in Berlin eine per Post eingegangene Paketbombe entdeckt – nur zwei Tage, bevor Präsident Josipovic zum Staatsbesuch in der deutschen Hauptstadt eintraf. Ohne Anhaltspunkte für seine Vermutung zu nennen, machte er noch in Zagreb „Extremisten“ für den Anschlag verantwortlich, die den EU-Beitritt des Landes gefährden wollten.