Portrait
Powerpaar mit ambitionierten Zielen

Winfried und Gertrud Freisleben gehören zu den legendärsten Paaren Regensburgs. Sie haben alles gemeinsam gemacht.

01.08.2017 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Doppelportrait Traudl und Winnie Freisleben Inhaber Restaurant Leerer Beutel Regensburg Foto: altrofoto.de

Was macht eine Beziehung, gar eine Ehe aus? Da unterscheiden sich die Antworten, man könnte auch sagen: die Konzepte. Für die Romantiker war sie die Institutionalisierung eines großen Gefühls. In Kants Rechtslehre ist sie schlicht ein Vertrag, der alles Entscheidende regelt. Und wie verhält es sich mit Winnie und Traudl Freisleben, diesem Paar seit vielen, vielen Jahrzehnten? „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, hieß es in der wilden 1968er-Zeit, in der sie sozialisiert wurden. Das haben sich die beiden, bei aller sonstigen Bereitschaft zur Revolte, offenbar nicht zu eigen gemacht. Warum hielt diese Ehe, in guten wie in schlechten Zeiten? Vielleicht, weil bei ihnen stets etwas dazukam, was man gemeinhin gern unterschätzt: das gemeinsame Engagement, der Kampf für eine Sache, die einem wichtig ist.

„Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“Sprichwort aus der 1968er-Zeit

Dieses Engagement galt zunächst der Politik, dann – zeitgleich und im Grunde bis heute – dem Jazz und der Gastronomie. „Winnie saß ja im letzten legalen ASTA“, verrät Traudl Freisleben. Eine solche Formulierung versteht vermutlich nur, wer damals dabei war. Der ASTA war das Selbstverwaltungsorgan der Studenten, er hatte aber auch oder beanspruchte zumindest „ein allgemeines politisches Mandat“, also das Recht, sich zu allen erdenklichen Fragen frei, aber mit der Autorität des gewählten Vertreters zu äußern. Eine solche alternative „Regierung“ war vor allem für die bayerische CSU ein schmerzender Dorn im Auge. Sie beschloss irgendwann, ihn herauszureißen und die Studentenschaft gründlich zu kastrieren. Der ASTA, der es regelmäßig auf die Titelseiten der Zeitungen schaffte, was immer auch gerade anstand, wurde abgeschafft und durch einen „Sprecherrat“ ersetzt, eine Art Schülermitverwaltung für höhere Semester.

Ich spreche Winnie Freisleben auf seinen ASTA-„Job“ an. „Ja“, bestätigt er. „Ich war damals der außenpolitische Referent.“ Das klingt doch gut. Ständige Reisen nach Kuba oder Angola oder wo sonst gerade die Genossen in Not sind? „Genauso“, bestätigt er mit sanftem, hintergründigem Humor, „war es.“ Tatsächlich saß er in seinem Büro und erlebte die weite Welt zwar nicht mit dem sprichwörtlichen Finger auf der Landkarte, aber eben doch „medial“, also sehr vermittelt. Aber zumindest im Nahbereich gibt es ja auch noch die Praxis. Und die war damals, wenn auch nicht „revolutionär“, wie manche wähnten, so doch vom Geist der Revolte bestimmt. Winnie Freisleben etwa saß für die „DF“, also die „Demokratische Front“ im ASTA. Daraus macht er auch heute, nach fast einem halben Jahrhundert, kein Geheimnis. Nur dass die „DF“ eine Art Tarnorganisation des berühmt-berüchtigten KHB, also des Kommunistischen Hochschulbunds war, bestreitet er vehement. „Wir waren nie Mitglied des KHB“, sagen er und seine Frau unisono. Und warum nicht? „Die waren uns zu humorlos. Sie verstanden keinen Scherz und saßen oft schon zum Frühstück mit Anzug und Krawatte in der Küche“. Winnie Freisleben: „Das war nichts für uns.“

Der „Leere Beutel“ war das Sorgenkind des Eigentümers, also der Stadt Regensburg.

Namhafte Jazz-Musiker

Aber zumindest das Gerücht war schon damals hartnäckig. Und so geriet Freislebens große Wohngemeinschaft in einem alten Bauernhaus in der Reinhausener Uferstraße – „wir waren zu zehnt, eine der ersten WGs in Regensburg“ – schon bald ins Visier des Verfassungsschutzes: Da saßen dann wechselnde Männer, die stets mit demselben alten Renault anreisten und – „schau, was wir machen!“ – eine Leine ins Wasser hängen ließen, so unauffällig, dass es allen auffiel, nur der konspirativ-„kommunistischen“ WG nicht. „Das sind nie und nimmer Angler“, sagte etwa der freundliche Mann vom Edeka-Laden. Sie sollten besser ein Auge auf die haben. Traudl Freisleben: „Ich habe die Männer dann zum Kaffee eingeladen. Da fuhren sie panisch und aufgeregt weg.“

Das einzige dauerhafte Resultat dieser frühen Zeit war ein Berufsverbot für die langjährigen Englisch- und Geschichtsstudenten. „Radikalenerlass!“ nannte sich das damals. Das Aus für den Traum vom schönen Lehrerjob. Und dann? Wer nichts wird, wird Wirt? Die beiden lachen. Nein, so könne man das nicht sehen, „das war schon eine Passion.“ 1983 gründeten Winnie und Traudl das „Einhorn“. Das kleine Lokal wurde zum Treff und zur Jazz-Kneipe, in der sie einer weiteren Passion frönen konnten, der für die freie, improvisierte Musik. Namhafteste Musiker spielten dort. Traudl Freisleben beginnt aufzuzählen: „Phil Minton, Schlippenbach, Brötzmann ... .“ Mangelsdorff, der Meister der Zirkularatmung und des Obertons auch? „Der auch.“ „Und Steve Lacy spielte für 800 Mark und zahlte auch noch sein Hotelzimmer selbst.“ Der große Steve Lacy wusste einfach, für wen er spielte, und es war ihm eine Ehre.

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Im „Einhorn“ gab es damals auch Lesungen. Eine ist besonders legendär und bis heute in bester Erinnerung: die von Bommi Baumann. Baumann, der einzige echte Arbeiter unter lauter Künstlern und Studenten bei der RAF-Konkurrenz „Bewegung 2. Juni“ (an diesem Tag wurde 1967 Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen) und deshalb fürs „Praktische“ zuständig. Das Praktische hieß: Banken überfallen als Geldbeschaffungsmaßnahme und Bomben basteln. Eine Lesung wurde es dann nicht. Der mitveranstaltende junge Buchhändler suchte spätestens das Weite, als Bommie sein Publikum aufforderte, das Buch, das er geschrieben hatte, einfach zu klauen und überließ ihn den Freislebens zur weiteren Betreuung. Das „Einhorn“ war überfüllt, „die Leute stiegen durch die offenen Fenster herein“, Bommie Baumann, der einen grundsympathischen Eindruck machte, las zwar nicht, aber erzählte so aus seinem ereignisreichen Leben, dass alle an seinen Lippen hingen. Später „kümmerten“ sich dann die Freislebens bis zum Morgengrauen um ihn.

Und wie kamen sie in den „Leeren Beutel“? Die beiden wieder unisono: „Weil es den Nachbarn in der Werftstraße zu laut wurde. Wir durften dort keine Konzerte mehr veranstalten und suchten eigentlich kein neues Lokal, sondern einen Saal für Konzerte. Den bekamen wir dann auch, aber nur unter der Bedingung, dass wir das Restaurant mit übernehmen.“

„Es gibt eine Faustregel unter Wirten, dass der Wareneinsatz die 30 Prozent nicht übersteigen darf. Bei uns sind es 50.“Winnie Freisleben

Mit Herzblut im Restaurant und Jazzclub

Der „Leere Beutel“ war das Sorgenkind des Eigentümers, also der Stadt Regensburg. Die Pächter gaben sich die Klinke in die Hand. Das Mobiliar war edel, aber alles war so dunkel und eng, dass kein Gast ein zweites Mal kam. Und daraus wurde dann die helle, weitläufige Goldgrube von heute? Das hören die Freislebens nicht so gern. „Im Sommer zahlen wir hunderttausend Euro drauf. Das müssen wir dann im Winter hereinholen, mit Betriebsfeiern und Ähnlichem. Für uns wäre es am besten, der Monat bestünde nur aus Freitagen und zwar vorzugsweise in der Vorweihnachtszeit.“ Restaurant und Jazz-Club sind für die Freislebens eine Herzensangelegenheit, die einen manchmal viel kostet: Geld, Zeit, Nerven. Vor allem, weil es den beiden immer und überall um Qualität geht. Die Freislebens sind ja „Slow Food“-Pioniere, sie verwenden nur allerbeste Rohstoffe. Winnie Freisleben: „Es gibt eine Faustregel unter Wirten, dass der Wareneinsatz die 30 Prozent nicht übersteigen darf. Bei uns sind es 50.“

Und der Jazzclub, mittlerweile einer der größten in Deutschland? Der ist sowohl Herzensangelegenheit als auch Zuschussgeschäft. Winnie Freisleben: „Wir haben schon ein Einfamilienhaus verballert.“ Der Club begann ganz klein, „mit sieben Mitgliedern, dann wurden es vor allem durch den heroischen Einsatz von Traudl, die das gut kann, 30, mittlerweile sind es rund 800.“ Der Jazzclub hat in den letzten Jahrzehnten fast zweitausend Konzerte veranstaltet. Unglaublich. Winnie Freisleben: „Wenn du nicht verrückt bist, machst du so etwas nicht.“ Das gemeinsame Resümee des legendären Paares: „Wir fühlen uns privilegiert, hier arbeiten zu dürfen.“

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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