Medizin
Preis für Regensburger Chirurgen

Silke Härteis und Thiha Aung haben ein zukunftsweisendes Modell entwickelt – um den Umgang mit Kinderhänden zu trainieren.

20.08.2020 | Stand 16.09.2023, 4:45 Uhr
Dr. Thiha Aung entwickelte gemeinsam mit seiner Regensburger Kollegin Dr. Silke Härteis die Trainingsmethode. −Foto: Julia Dragan/Universität Regensburg

Nadel und Faden sind mit bloßem Auge nur als flüchtiger Schimmer wahrnehmbar. Erst unter dem Mikroskop nehmen sie Gestalt an und lassen erahnen, wie ruhig die Hände sein müssen, die die Gefäße mit einem Durchmesser von einem halben Millimeter zusammennähen können. Wer mit den hauchzarten Materialen arbeitet, benötigt teuerstes Mikroinstrumentarium aus Stahl, absolute Konzentration, Ausdauer und viel Übung.

Dr. Silke Härteis, Professorin für Molekulare und Zelluläre Anatomie an der Universität Regensburg, und Plastischer Chirurg Dr. Thiha Aung vom Hochschulzentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) haben für das Trainieren von mikrochirurgischen Eingriffen ein innovatives Modell entwickelt, das jetzt die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie auszeichnete.

Corona: Mehr Kinderhände operiert

Das Team um Professor Dr. Dr. Lukas Prantl, Leiter des Hochschulzentrums für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) und Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), „trainierte“ viel in den vergangenen Monaten: Er hatmehr verletzte Kinderhände operiertals sonst. Ein Corona-Nebeneffekt gewissermaßen.

Studenten übten bislang an toten Ratten

„Die Behandlung mikrochirurgischer Traumen im OP braucht extrem viel Übung, die fängt bereits beim Präparierkurs in der Anatomie im Medizinstudium an“, erklärt Silke Härteis. Nur präzise ausgeführte Eingriffe garantieren, dass es nicht zu Komplikationen kommt. Die junge Professorin vermittelt zusammen mit dem Plastischen Chirurgen Aung das Wissen und die entsprechenden Fähigkeiten an Studierende der Medizin. Aber woran möglichst realistisch üben? Die Möglichkeiten waren bislang begrenzt: Angehende Ärzte lernten bislang an Silikonschläuchen und toten Ratten.

Der Realität entspricht das nur sehr begrenzt, denn beide Übungsmöglichkeiten bergen keinerlei tatsächlichen physiologischen Kreislauf. „Aber wer winzige Kinderhände in bis zu sechsstündigen Operationen reparieren und Fingerchen retten will, kann nicht erst bei der Operation mit dem Üben beginnen“, sagt Thiha Aung. Dann muss jeder Handgriff sitzen, sonst können mehrfache Operationen notwendig werden, schlichtweg droht auch der Verlust von Gliedmaßen, sofern der erste Anlauf scheitert.

Training an Bio-Eiern entwickelt

Thiha Aung und Silke Härteis haben in eineinhalbjähriger Zusammenarbeit daher ein Modell entwickelt, das weltweit einzigartig sein dürfte: Sie trainieren die Studierenden und angehende Chirurgen an der Membran von Bio-Eiern. Den Startschuss für die Zusammenarbeit gab ein gemeinsamer Antrag bei der Regensburger Universitätsstiftung Helga und Erwin Hartl zur Finanzierung eines speziellen Inkubationsschranks für die Bio-Eier.

Wer ein Ei aufschlägt, sieht oft den kleinen roten Punkt im Dotter: Ein bereits funktionierender physiologischer Kreislauf ohne Nervensystem, eine Membran mit zwei bis drei Millimeter großen Gefäßen, die denen eines Kleinkindes entsprechen. Die Studierenden und junge Ärzte trainieren mit Nadel und Faden an den Gefäßen dieser wabernden Membran mikrochirurgische Eingriffe.

Ursprünglich war das „Aung-Härteis-Mikrochirurgie-Modell“ für sogenannte Angiogeneseuntersuchungen vorhergesehen: Deren Ziel ist es, zu erforschen, wie sich Gefäße neu- bzw. ausbilden und verändern. Als Thiha Aung mit dem Auge des Plastischen Chirurgen die unterschiedlichen Gefäßdurchmesser und deren Konsistenzen im Ei sah, war auch die Idee für mikrochirurgische Aus- und Fortbildungen geboren. Zu denen, die das Modell als einmalig und zukunftsweisend bewerten, gehört Professor Dr. Thomas Schmitz-Rixen, Direktor der Klinik für Gefäß- und Endovaskularchirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.

Der nächste Schritt ist die klinische Anwendung im Bereich der Lymphchirurgie, die die Plastischen Chirurgen Lukas Prantl und Thiha Aung in Regensburg etabliert haben: So kann Krebspatienten, insbesondere nach Brustoperationen, die an Lymphstau und damit Verdickungen an Armen leiden, geholfen werden. Das Hochschulzentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKR ist eine der wenigen Einrichtungen bundesweit, die sich auf die Lymphchirurgie und Brustwiederherstellung mit Eigengewebe spezialisiert hat.

Forscher aus mehreren Ländern arbeiten zusammen

Dass die in Ausbildung befindlichen Medizinstudierenden auch in diesem Bereich so gut und so früh wie möglich ausgebildet werden können, dafür engagiert sich Spitzenforscherin Härteis an der Fakultät für Biologie und Vorklinische Medizin der Universität Regensburg. Sie arbeitet mit Kollegen an den Universitäten Zürich, Cambridge, Melbourne und Yale zusammen und erhielt für ihre Forschung bereits mehrfach Auszeichnungen. Silke Härteis und Thiha Aung konnten im April 2019 ihr Modell am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York und in der Mayo Clinic in Florida präsentieren.

In Myanmar bauen Silke Härteis und Thiha Aung mit ihrem Team das Comprehensive Cancer Center (CCC) Upper Myanmar mit Schwerpunkt Tumororthopädie und Rekonstruktionschirurgie im Rahmen eines universitären Kooperationsprojektes zwischen der Universität Regensburg, dem UKR und der University Medicine Mandalay in Myanmar auf. Für ihr mikro- und gefäßchirurgisches Ei-Übungsmodell wurden die beiden jungen Wissenschaftler nun mit einem Preis der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ausgezeichnet.

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