Interview
„Putin verklärt das Stalin-Regime“

Der künftige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: Russlands Präsident sucht Grund für einen Einmarsch in die Ukraine.

27.12.2021 | Stand 15.09.2023, 22:06 Uhr
Christoph Heusgen
−Foto: Tim Brakemeier/dpa

Welche Schwerpunkte hat die Münchner Sicherheitskonferenz?

Zunächst ist es die erste Konferenz mit der neuen Bundesregierung. Das wird für sie eine Gelegenheit sein, ihr außenpolitisches Konzept darzustellen und die internationalen Akteure näher kennenzulernen. Und natürlich zeichnet sich die Konferenz immer durch Tagesaktualität aus. Ich erinnere mich, wie wir 2015 direkt nach der russischen Besetzung eines Teils der Ukraine von den Minsker Friedensverhandlungen nach München geflogen sind, um dort darüber zu berichten. Leider müssen wir davon ausgehen, dass auch in 2022 die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine einen der Schwerpunkte bilden wird.

Ist Wladimir Putins Militäroperation an der Grenze zur Ukraine die ernste Gefahr, dass Russland nach der Krim weitere Teile des Landes annektiert?

Putin sucht einen Anlass, in die Ukraine einzumarschieren. Er sieht die USA und auch Europa im Übergang von Regierungswechseln und nach dem unrühmlichen Ende des Afghanistan-Einsatzes als geschwächt an. Er ärgert sich auch darüber, dass sich die USA auf China konzentrieren. Das entspricht nicht seinem Bild von Russland als Großmacht. Er will zeigen, dass Russland noch da ist.

Sie glauben, dass er die Ukraine angreift?

Das ist nicht ausgeschlossen - er hat es ja schon mal gemacht. Er behauptet, die Ukraine sei Teil Russlands. Das ist Geschichtsklitterung. Stalin hatte die Ukraine nur ausgebeutet und deren Freiheitswillen in den 1930er Jahren durch eine bewusst provozierte Hungersnot unterdrückt. Der „Holodomor“ wird als Völkermord charakterisiert mit mehreren Millionen Todesopfern. 1945 war Stalin einverstanden damit, dass die Ukraine Mitglied der Vereinten Nationen wurde. Das ist sie seither. Und 1994 hat Russland im Budapester Memorandum die territoriale Integrität der Ukrainer anerkannt – als Gegenleistung dafür, dass die Ukraine ihre Nuklearwaffen aufgegeben hat. Außenminister Lawrow hat das damals feierlich dem UN-Sicherheitsrat übermittelt. Es ist der gleiche Außenminister, der heute die Souveränität der Ukraine infrage stellt.

Die neue Bundesregierung warnt Moskau vor einem Einmarsch. Sonst werde es die „ganze Härte“ zu spüren bekommen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Deutschland, Europa und die USA müssen gemeinsam eine klare Haltung gegen Russland einnehmen, wie es schon nach der letzten russischen Invasion erfolgt ist. In die Überlegungen zu möglichen Sanktionen sollte auch die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 und der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT einbezogen werden. Es bedarf einer harten Antwort. Eine weiche Reaktion würde Putin als Schwäche interpretieren und seine Expansionsgelüste nur stimulieren. Man muss das klar benennen. Er lebt in seiner eigenen, nostalgischen Welt, in der internationales Recht kein Maßstab ist. Er verklärt die UdSSR und sogar das Stalin-Regime. Er strebt eine Wiederherstellung eines russischen Reiches an, das an die Sowjetunion erinnert. (rnd)