Gesundheit
Regensburger Ambulanz hilft Pädophilen

Drei Jahren gibt es die Ambulanz für pädophile Männer an der Uni Regensburg. Wer noch nicht straffällig geworden ist, kann sich hier Hilfe holen.

23.09.2013 | Stand 16.09.2023, 7:25 Uhr

Die Therapeutinnen der Sexualtherapeutischen Ambulanz am Bezirksklinikum Regensburg , Petya Schuhmann (l) und Jessica Diener besprechen ein Therapieprotokoll. Foto: dpa

Martin ist 27 Jahre alt und pädophil. Seinen richtigen Namen will der Student nicht nennen, denn er weiß, dass etwas anders ist bei ihm: Er wird älter, aber die Mädchen, die er anziehend findet, bleiben immer gleich jung – um die zehn Jahre alt. Seine sexuellen Vorstellung mit so Kleinen auszuleben, das kommt für ihn nicht infrage. Und so schaut er sich Bilder von nackten Mädchen im Internet an. Seinen Eltern würde er gerne von seinen sexuellen Neigungen erzählen, aber wie? Weil er sich nicht mehr zu helfen weiß, nimmt er in seiner Not Kontakt auf mit der Anlaufstelle für Pädophile am Bezirksklinikum in Regensburg. Das ist jetzt zwei Jahre her.

„Bei uns können Männer wie Martin lernen, mit ihren sexuellen Neigungen umzugehen und sie in den Griff zu bekommen“, sagt Prof. Michael Osterheider, Leiter des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“. Das wichtigste Ziel: Dass sich die Betroffenen niemals an Kindern vergehen. „Wir wollen aber auch, dass die Männer ihre Krankheit akzeptieren und soweit wie möglich ein normales Leben führen können“, betont der 57-Jährige. Anlass für die Einrichtung der Ambulanz waren die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche.

Die Teilnahme ist freiwillig und streng anonym. Fast 400 Männer haben sich in den vergangenen drei Jahren bei der Stelle gemeldet, bei circa 140 von ihnen wurde tatsächlich die Diagnose „pädophil“ gestellt. 15 Männer haben die Therapie schon abgeschlossen, 38 weitere werden gerade behandelt.

Einmal in der Woche kommen die Betroffenen zu Gruppen-, Einzel- oder Paartherapien an das Bezirksklinikum. Die Therapie dauert neun Monaten bis eineinhalb Jahre. „Eine Therapiesitzung läuft so ab, dass die Patienten zusammensitzen und ihre Erfahrungen zu verschiedenen Themen austauschen. Zum Beispiel zur Frage: Wie hast du es deiner Freundin gesagt?“, erläutert Petya Schuhmann, eine der vier Therapeutinnen, die in den Sitzungen nur moderieren. Daneben gibt es Rollenspiele, in denen die Patienten besonders sensible Situationen nachspielen. Etwa, wenn sie in Kontakt mit Kindern kommen.

Die Therapeutinnen haben gute Erfahrungen gemacht. „Bisher hat keiner, der die Therapie abgeschlossen hat, sich an Kinder vergangen oder wieder Kinderpornografie konsumiert“, betont Schuhmann. Auch die Lebensqualität der Patienten habe sich verbessert.

Das Bayerische Justizministerium fördert das Projekt mit 200 000 Euro im Jahr und hat es um weitere drei Jahre verlängert. „Diese hohe Resonanz ist ein Beleg dafür, dass die Sexualwissenschaftliche Ambulanz in Regensburg gebraucht wird“, sagt Justizministerin Beate Merk (CSU). „Der beste Schutz für unsere Kinder besteht darin, einen potenziellen Täter dazu zu bringen, seine Fantasien erst gar nicht umzusetzen.“

Die Patienten kommen aus allen Schichten, vom Hartz IV-Empfänger bis hin zum Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft. „Der Jüngste, den wir therapiert haben, war 16 Jahre alt. Da haben die Eltern gemerkt, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt“, erzählt Osterheider. Der Älteste sei über 70. Die Pädophilie ist eine in der Pubertät erworbene Störung der sexuellen Präferenz. „Etwa ein bis zwei Prozent der Männer sind pädophil“, berichtet der Experte auf dem Gebiet der Pädokriminalität. Damit komme die Pädophilie genauso häufig vor, wie Depression, Schizophrenie oder Prostatakarzinome.

„Die Vorstellung, dass jeder Pädophile ein Kinderschänder ist, ist absoluter Quatsch. Pädophilie ist nicht gleich sexueller Missbrauch, kann aber dazu führen, wenn der Betroffene nicht lernt, mit seinen Trieben umzugehen“, erklärt Osterheider. In 30 Prozent aller Missbrauchstaten an Kindern in Deutschland seien Pädophile die Täter. Der Rest werde von Männern ausgeführt, die ihre Gewaltfantasien an Kindern auslebten, weil die weniger wehrhaft als Frauen sind.

Mittlerweile gibt es bundesweit sieben Pädophilie-Anlaufstellen, die künftig im Verbund forschen wollen und sich in jedem Bundesland so eine Ambulanz wünschen. In Bayern will Osterheider jetzt in die Fläche zu gehen: „Wir entwickeln gerade mit dem Justizministerium Ideen, wie wir Ambulanzen auch auf dem Land anbieten können“, erklärt er.

Martin hat sich übrigens nach der Therapie am Bezirksklinikum seinen Eltern anvertraut. Seine Mutter und sein Vater haben die Nachricht mit Fassung aufgenommen und halten zu ihrem Sohn. Demnächst will Martin seiner Freundin von seinem Problem erzählen. (dpa/lby)