MZ-Serie
Relikte des Nazi-Verfolgungswahns

Die deutsche Wehrmacht errichtete ab 1935 eine Bunkerlinie im Oberpfälzer Wald gegen eine angebliche Invasion der Tschechoslowakei in Ostbayern.

21.10.2012 | Stand 16.09.2023, 21:05 Uhr
Reinhold Willfurth

Rupert Schmids Vater war Wächter, als der Bunker auf dem Ahornberg gebaut wurde.Fotos: Gabi Schönberger

Der knapp 800 Meter hohe Ahornberg bei Bärnau (Kreis Tirschenreuth) krönt einen der stillsten Winkel des Oberpfälzer Walds. Niemand rechnet damit, hier auf beklemmende Zeugnisse der jüngeren europäischen Geschichte zu stoßen. Doch plötzlich stolpert der Besucher über festen Beton. Ein Blick nach unten zeigt eine Mulde, die von einem Betonriegel begrenzt wird. Zwei verrostete Eisentüren führen in das Innere des Bunkers. „Vorsicht! Feind hört mit!“ steht in Frakturschrift auf einer feuchten Wand.

Mit dem „Feind“ ist die tschechoslowakische Armee gemeint, die hinter der nur wenige Kilometer entfernten Grenze angeblich darauf lauerte, das Deutsche Reich anzugreifen. Der Grenzbunker auf dem Ahornberg ist einer der wenigen noch existenten Zeugnisse des deutschnationalen Verfolgungswahns von einer Invasion der Tschechoslawakei – wenige Jahre bevor sich das Deutsche Reich seinerseits zunächst das Sudetenland und wenig später die „Resttschechei“ einverleibte.

Heute sind die Bunker ebenso vergessen wie diese Episode deutsch-tschechischer Geschichte am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. In der Familie Schmid, die seit jeher am Fuß des Ahornbergs lebt, ist sie aber noch in guter Erinnerung. Rupert Schmids Vater war als Wächter eingeteilt, als die Wehrmacht Mitte der dreißiger Jahre auf dem Ahornweg ihre militärische Paranoia in Beton goss. Schmid führt den Besucher durch dichten Herbstwald zu dem Bunker, den sein Vater einst mit bauen half.

Zeugnis der jüngeren Geschichte

„Es hat keinerlei Anlass gegeben, zu glauben, dass je ein Tscheche rüberkommt“, sagt Franz Busl. Der einstige Kreisheimatpfleger von Tirschenreuth hat dafür gesorgt, dass der Bunker auf dem Ahornberg auf die Bayerische Denkmalschutzliste kommt – als Erinnerung an ein vergessenes Kapitel deutsch-tschechischer Geschichte. Aber wie kam der Bunker auf den Ahornberg und 98 weitere „Grenzschutzanlagen“ in den Oberpfälzer Wald?

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg machte sich beim deutschen Militär und in rechten Kreisen der Politik die Angst breit, der „Erbfeind“ Frankreich könnte sich mit der neu gegründeten Tschechoslowakei verbünden und das Deutsche Reich an seiner 320 Kilometer breiten „Wespentaille“ zwischen Karlsruhe und der Further Senke angreifen. Doch erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 getraute sich die Heeresleitung unter dem Bruch des Versailler Vertrags, einen Befestigungsgürtel in der bayerisch-tschechischen Grenzzone zu bauen. Der Weidener Historiker Dr. Sebastian Schott hat die Geschichte dieser Grenzbunker in einem Beitrag für die Zeitschrift „Oberpfälzer Heimat“ (Band 52) akribisch nachgezeichnet. Demnach begannen die Bauarbeiten für den ersten Bunker im Herbst 1935. Unter Leitung des 1934 in Regensburg gegründeten „Grenzabschnittskommandos“ machten sich die ersten Zivilarbeiter, unterstützt durch Weidener SA-Männer, in das unwegsame Grenzgebiet auf und gossen die Ängste der Wehrmachtsführung in Beton.

Die Verteidigungslinie war allerdings recht lückenhaft: Auf den insgesamt 130 Kilometern zwischen Furth und Selb lugten nur 124 befestigte Maschinengewehre aus 99 Bunkern in Richtung imaginärer Feind. Die Wehrmacht besserte also nach und ließ sich Blockhäuser aus Stein und Holz zwischen den Bunkerstandorten genehmigen, in denen bewaffnete Zwischenposten unterkommen sollten.

Dass die Tschechoslowaken ihrerseits einen Verteidigungsgürtel gegen eine deutsche Invasion eingerichtet hatten, hielt die Heeresleitung nicht davon ab, ihre Grenze zu befestigen, wenn auch halbherziger als die Nachbarn. Für Dr. Sebastian Schott ein Indiz, „dass die Tschechen viel mehr Angst vor den Deutschen hatten als umgekehrt“. Dass diese Angst nur zu berechtigt war, sollte sich bald zeigen.

Bauarbeiter als „Landesverräter“

Auch sonst zeigten sich beim Bau der Bunkerkette Probleme, mit denen die Militärstrategen nicht gerechnet hatten. So war an eine längere Lagerung von Waffen und Munition in den feuchten Bunkern nicht zu denken. Die Waffen mussten bei „zuverlässigen“ Anwohnern oder in speziellen Behältern untergebracht werden. Mit der „Zuverlässigkeit“ der Zivilarbeiter beim Bunkerbau war es, zumindest aus Sicht der anwesenden Nazis, nicht weit her: Viele Arbeiter, so eine Klage der Weidener SA, stünden immer noch der verbotenen Bayerischen Volkspartei (BVP) nahe. Die Bunkerstandorte seien von diesen „Landesverrätern“ an die tschechischen Nachbarn weitergegeben worden.

1937 war die Bunkerkette im Oberpfälzer Wald fertiggestellt. Ein Jahr später wurden sie schon wieder für den Abbruch freigegeben: Beim berüchtigten Münchener Abkommen einigten sich England, Frankreich, Italien und Deutschland darauf, das Sudetenland gleich hinter der Grenze kampflos dem Deutschen Reich zu überlassen – damit der Friede in Europa gewahrt werde.