Leben
Sex: Wie man im Altenheim damit umgeht

Der Ruf nach sexueller Assistenz in Pflegeheimen schlägt Wellen. Doch Sex im Alter ist Tabuthema. Manche reden doch darüber.

12.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:29 Uhr
Heinz Klein
Der Kinofilm „Wolke 9“ von Andreas Dresen zeigt eine Dreiecksgeschichte mit Kontrollverlust und Liebe im Alter als Tabubruch. −Foto: Senator/dpa-Archiv

„Mit 66 Jahren ist noch lange nicht Schluss“, sang Udo Jürgens. Das stimmt ganz sicher auch beim Thema Sexualität, sagt der Regensburger Professor Dr. Cornel Sieber, Geriater von internationalem Ruf und Chefarzt im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Der Wunsch nach Sexualität sei auch im Alter legitim, individuell aber ganz unterschiedlich. Zudem sei Sex für alte Menschen oft nicht das, was er für Junge bedeute, nicht Geschlechtsverkehr, sondern Berührung, Nähe, Wärme. Leider sei dieses hochsensible Thema stark tabuisiert. Trotzdem müsse man dafür Lösungen finden und Angebote machen.Doch „Sex im Alter“ bleibt ein eher heikles Thema. Da sorgt der Vorschlag der Grünen im Bundestag, mit Hilfe von Sexualassistenten beiderlei Geschlechts die Wünsche von pflegebedürftiger Senoren/innen in Altenheimen zu erfüllen, für Wirbel. Die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, nennt als Vorbild die Niederlande, wo speziell ausgebildete Prostituierte helfen, die sexuellen Wünsche pflegebedürftiger Menschen zu erfüllen, wenn sie das selbst nicht mehr können.

Sexuelle Erfüllung kein Politthema

Ein Vorschlag, für den ein Regensburger Grüner wenig Sympathie aufbringen kann. Jürgen Mistol, Stadtrat, Mitglied im Bayerischen Landtag und ausgebildeter Krankenpfleger, möchte das Thema Sex im Alter nicht auf der politischen Agenda sehen. „Da gehört es nicht hin“. Der Staat müsse sich nicht um alles kümmern. Auch nicht um die sexuelle Erfüllung seiner Bürger.

Seine Berliner Parteifreundin geht noch einen Schritt weiter: Eine Finanzierung für Sexualassistenz ist für mich vorstellbar“, sagte Scharfenberg der „Welt am Sonntag“ Die Kommune oder andere Kostenträger sollten über entsprechende Angebote vor Ort beraten und bei Bedarf auch Zuschüsse gewähren.

Die Kommune vor Ort in Person der Regensburger Sozialbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer kann dies nur in Ausnahmefällen befürworten. „Von unseren Fachleuten weiß ich, dass einige Patienten, die an bestimmten Formen der Demenz leiden, den starken Wunsch nach sexuellem Kontakt äußern. In diesen sehr wenigen Fällen könnte es aus therapeutischen Gründen hilfreich sein, wenn es eine seriöse, professionelle Unterstützung gäbe.“ Ansonsten aber sei die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen im Bürgerheim noch kein Thema gewesen.

Dort wird aber sehr darauf geachtet, dass die Bewohner selbstbestimmt, in Würde und unter Wahrung ihrer Privatsphäre leben können, versichert die Bürgermeisterin. Selbstverständlich stehe es den Bewohnern frei, sich gegenseitig zu besuchen. „Wenn ein Paar in einem Doppelzimmer zusammenleben will, dann entspricht die Heimleitung gerne diesem Wunsch, wenn die entsprechenden Räumlichkeiten frei sind.“

Sexualität im Alter und auch bei pflegebedürftigen Menschen ist noch weitgehend ein Tabuthema, sagt Maltz-Schwarzfischer. Ganz persönlich sei sie aber der Meinung, „dass wir die Diskussion darüber ohne Scheu weiter führen müssen.“

Sex im Seniorenheim bleibt in der Tat ein Tabuthema. Das ließ auch Kursana, einer der führenden privaten Dienstleister im Bereich der professionellen Seniorenpflege, wissen. „Die Bewohner würden es möglicherweise nicht goutieren, wenn wir uns dazu äußern. Darauf nehmen wir Rücksicht“, schrieb Pressesprecherin Michaela Mehls aus der Berliner Zentrale nach Rücksprache mit Regensburger Heimleitern.

Caritas: Entspannt damit umgehen

Ganz offen packt dagegen die Caritas, kirchlicher Träger von 18 Alten- und Pflegeheimen in der Diözese, das kniffelige Thema an. Sexualität sei bei der aktuellen Bewohnerstruktur (Durchschnittsalter 85 Jahre) zwar ein Thema, aber ein eher unbedeutendes. Dennoch seien sexuelle Gefühle bei älteren Menschen ebenso natürlich wie bei jüngeren. Sie äußerten sich vor allem im Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Körperkontakt. Ganz selten führe sexuelles Verlangen im Pflegeheim zu besitzergreifendem Verhalten bis hin zu Gewalt. Hier setzten Mitarbeiter bei Bedarf klare Grenzen.

„Unsere Bewohner können weitgehend frei, selbstbestimmt und selbstverantwortlich ihr Leben gestalten“, schreibt Caritas-Sprecher Marcus Weigl. In Heimen der Caritas würden sich immer wieder Liebespaare finden. Intimer sexueller Kontakt sei für sie, wenn er gewünscht werde, im geschützten Bereich (Wahrung der Privatsphäre) natürlich möglich.Probleme bei Bewohnern mit Demenz gebe es äußerst selten. Oft zeigten demente Paare ihre Zuneigung offener, zärtlicher und vielleicht auch herzlicher.

Die Caritas warnt aber davor, Prostitution im Pflegeheim auf dem Rücken Pflegebedürftiger hoffähig machen zu wollen. „Alten- und Pflegeheime sind nach unserer Auffassung nicht Orte der freien Liebe, sondern Orte, wo sich Liebe, Zuneigung und Menschlichkeit auf Augenhöhe begegnen. Das Thema Sexualität im Pflegeheim ist ein Thema, weil dort auch das ’ganz normale Leben‘ wohnt.“ Es gelte deshalb, „dort offen, entspannt und wertschätzend damit umzugehen.“