Sport
Skateboarding als Lebenseinstellung

Skateboarding soll olympisch werden. Für Titus Dittmann, Vater der Sportart, aber ist Skaten kein Leistungssport.

09.08.2018 | Stand 16.09.2023, 5:56 Uhr

Skaten wird olympisch, wie cool ist das denn? Tatsächlich stellt man sich in der Szene aber die Frage, wie cool oder sinnvoll eine Teilnahme bei der größten Sportveranstaltung der Welt eigentlich wirklich ist. Foto: Onigiri-AdobeStock

Skaten ist eine Mischung aus Sport und lässiger Freizeitbetätigung, eine Lebenskultur, die sich seit jeher mit Musik und Mode mischt und Jugendlichen lange Zeit dazu diente, sich vom Mainstream abzugrenzen. Dabei ist die Geschichte des Rollbretts keineswegs als einheitlich oder zielorientiert zu betrachten. Die ersten Skateboards wurden Anfang der 1950er-Jahre von US-amerikanischen Surfern gebaut, die Rollen unter ihre kleinen Boards schraubten, um auch an Tagen mit schlechten Wellen auf einem Brett stehen zu können. Der „Asphaltsurfer“ war geboren und erlebte bereits Anfang der 1960er-Jahre einen ersten Boom. 1962 erschien das erste industriell gefertigte Skateboard, 1963 widmete sich das Magazin „Surf-Guide“ erstmals dem neuen Phänomen und 1966 wurde in Kalifornien die Schuhmarke „Vans“ gegründet, deren Fokus ganz auf der Herstellung von Schuhen für die stetig wachsende Gruppe der Skateboarder lag.

Da die Bretter zu dieser Zeit tatsächlich eher noch kleinen Surfboards glichen, wurde auf ihnen vorwiegend gemütlich über die Promenaden gerollt. Mit den ersten akrobatischen Tricks auf den Boards wuchs der Wunsch, dieses Können auch anderen zu zeigen. Auf den daraufhin ins Leben gerufenen ersten Contest traten die Skater in den Kategorien Slalom und Freestyle, später auch im Downhill, Hoch- und Weitsprung an. Weiteentwicklungen bei der Form der Bretter und den Rollen ermöglichten in der Folge immer stylischeres Fahren, was die Popularität des jungen Sports weiter förderte und bis heute ein überaus wichtiger Punkt der Skatebewegung geblieben ist. Die Idee, mit dem Skateboard in alten Swimmingpools mit abgerundeten Seitenrändern zu fahren, brachte dem Sport eine neue Dimension: das vertikale Fahren. Daraus entwickelten sich in den 1970er-Jahren die ersten Skateparks, die sich mit ihren speziell gebauten Skatingpools besser zum Fahren eigneten.

Achterbahnfahrt: Das Skateboarding musste sich seine Popularität erkämpfen

Mitte der 70er-Jahre erreichte die Begeisterung fürs Skateboarden auch Deutschland, wo Titus Dittmann als Pionier des Sports gilt. Auch wenn Skateboarden zu jener Zeit eigentlich noch nicht als Sport, sondern als Modeerscheinung gehandelt wurde. Dittmann produzierte als Erster eigene Bretter in Deutschland und rief später Europas größtes Skateevent, das Münster Monster Master- ship ins Leben. Doch auch er konnte nicht verhindern, dass die Popularität des Skatens Anfang der 1980er-Jahre rapide einbrach. Neue Sportarten wie Inlineskaten und BMX-Fahren liefen dem Skaten den Rang ab und viele Anlagen und Parks schlossen als Folge ihre Tore. Dass das Skaten trotzdem überlebte, verdankt es vermutlich einer Kombination aus seinen treuesten Anhängern, den Core-Skatern, und der Erfindung des „Ollies“. Der „greatest Skateboard trick ever invented“, wie ihn Skater selber nennen, ermöglichte es, mit dem Board aus der Ebene hinaus zu springen, und somit völlig neue Trickvariationen.

Für mich ist eines ganz klar: Skateboarding braucht kein Olympia, aber Olympia braucht Skateboarding.Titus Dittmann, „Vater der deutschen Skateboard-Szene“

Den Core-Skatern ging es außerdem nicht darum, in Wettbewerben über künstliche Hindernisse zu fahren, sondern sie brachten das Skaten wieder auf die Straße. Innerstädtische Plätze, Stufen, Bänke und Geländer, nichts war vor ihnen sicher. Das Streetskating war geboren und wurde mit seiner Einstellung, ohne Rücksicht auf Fahrverbote im öffentlichen Raum überall zu skaten, besonders bei der jungen Generation von Fahrern immer beliebter. Das 1981 gegründete „Thrasher-Magazin“ richtete sich speziell an diese Streetskater und trug mit seinen Bildern und den Berichten über Bands und Musikstile mit Verbindungen zum Skaten entscheidend zur erneut anwachsenden Popularität bei. Kappen, übergroße Baggy-Pants und coole Skaterschuhe – die Mode der Skater war deutlich durch die Hip-Hop-Kultur geprägt und das Aussehen ein wichtiger Bestandteil der Jugendkultur. Bereits Mitte der 80er war Skaten sowohl in den USA als auch in Deutschland wieder absolut angesagt. Marken wie Vans, Converse oder Vision wurden auch unter Nicht-Skatern immer beliebter und ebneten den Weg in die Mitte der Gesellschaft.

Besonders in den USA wurden erfolgreiche Fahrer zu absoluten Stars, die es durch Sponsoring und Preisgelder schafften, aus ihrem Hobby einen Beruf zu machen. Nach einem weiteren Popularitätsrückgang Anfang der 1990er-Jahre setzte Mitte des Jahrzehnts eine Hochphase ein, die bis heute anhält. Riesige Ereignisse, wie die Skateboarding X-Games, zogen nicht nur Tausende Besucher direkt an, sondern wurden erstmals auch von großen Fernsehanstalten übertragen. Superstars der Szene, wie beispielsweise Tony Hawk, Pionier des Vert-Style, elfmaliger Weltmeister, Erfinder von über 80 Skateboardtricks und Gründer der Skateboardmarke Birdhouse, wurden zu Multimillionären. Bei großen Events wie der Street-League, einem Contest für die besten Profifahrer, erhält der Gewinner mittlerweile Preisgelder um die 200000 Dollar.

Die größte bewegungsorientierte Jugendkultur aller ZeitenWie also kommt es, dass eine Sportart, die an ihrer Leistungsspitze Millionäre hervorbringt, noch immer Ressentiments gegen eine weitere Professionalisierung und Kommerzialisierung hat? Einer der Bedenkenträger ist eben jener Titus Dittmann, der das Skaten ab Ende der 70er Jahre aus dem Entstehungsland Amerika nach Deutschland brachte. Für ihn ist Skateboarden kein Leistungssport, sondern eine Lebenseinstellung, vor allem von jungen Menschen. „Skaten ist für mich unbestritten die größte, bewegungsorientierte Jugendkultur aller Zeiten“‘, sagt der 1948 geborene Skateboard-Pionier. „Für mich ist eines ganz klar: Skateboarding braucht kein Olympia, aber Olympia braucht Skateboarding. Olympia ist eine Riesenshow, die ein neues, junges Publikum braucht. So wie Snowboarden den Winterspielen ein neues, junges Publikum gebracht hat.“ Dabei steht Dittmann dem Wettkampfprinzip nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Allerdings misst er dem Skateboarden weitaus mehr Bedeutung zu, als sich nur unter der Prämisse des Höher, Schneller und Weiter zu messen. Er schreibt dem Skateboarden eine pädagogische Wirkung zu, die mit dem professionellen Wettkampfgedanken nicht zu vereinbaren ist. „Ich habe lange versucht, dem IOC klarzumachen, dass man Skateboarden nicht wie Hammerwerfen betrachten und behandeln kann. Aber das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Heute setze ich meine ganze Kraft lieber dafür ein, dass die pädagogische Kraft des Skateboardings möglichst lange erhalten bleibt und möglichst viele Lehrer verstehen, wie positiv sich Skaten auf die Entwicklung von Kindern auswirkt.“

Seit dem Jahr 2011 gibt Dittmann sein Wissen über das Skaten an der Westfälischen Wilhelms-Universität im Rahmen eines Lehrauftrags am Institut für Sportwissenschaften an Studenten weiter. „Ich möchte den Studenten ein Verständnis für die Jugendkultur geben, ich möchte ihnen die soziologisch-pädagogischen Hintergründe verständlich machen, sprich, wie das Skateboarden auf die Persönlichkeitsbildung wirkt und möchte sie dadurch motivieren, mal das Gegenteil von dem zu machen, was sie sonst beigebracht bekommen haben. Nämlich keine durchgetaktete Stunde zu halten, sondern den Kindern ein Skateboard zu geben und sie machen zu lassen. Das fördert die intrinsische Motivation.“

Diese intrinsische und damit aus sich selbst heraus entstehende Motivation besagt, dass man bestimmte Tätigkeiten einfach gern macht, weil sie Spaß machen, sinnvoll oder herausfordernd sind oder einen schlicht interessieren. Sie werden laut Definition um ihrer selbst Willen durchgeführt und nicht, um eine Belohnung zu erlangen oder eine Bestrafung zu vermeiden. „Jugendliche haben immer gerne geskatet, weil ihre Eltern das Skateboarden für schwachsinnig oder gefährlich gehalten haben. Etwas zu tun, was Erwachsene nicht kapieren, ist identitätsstiftend, selbtbewusstseinsfördernd und erhöht das Selbstwertgefühl.“

Auch oder gerade wenn Kinder und Jugendliche dabei die Regeln des Erlaubten strapazieren oder gelegentlich sogar übertreten, sieht der Ur-Skater darin etwas Positives. „Ziviler Ungehorsam kann auch persönlichkeitsbildend wirken. Es ist nachgewiesen, das Skaten nicht nur Dinge wie die körperliche Koordination und Mobilität fördert, sondern sich durch die intrinsische Motivation Leidenschaft entwickelt und der Mensch willensstark wird. Es gibt schließlich keine andere Sportart, wo der Aktive so oft scheitert und stürzt, aber auch jedes Mal sofort wieder aufsteht, sich den Dreck und das Blut abwischt und es gleich wieder versucht. Diese Hartnäckigkeit und Leidenschaft, etwas schaffen zu wollen, dieses Durchhaltevermögen ist es doch eigentlich, was Arbeitgeber heute von ihren Angestellten sehen wollen. Hinfallen und wieder aufstehen – das Straßenabitur – ist in mancher Hinsicht wichtiger als das richtige Abi.“

Der TSV Adlersberg trainiert in einer eigenen SkateabteilungVerbänden und Vereinen, die nötig sind, wenn man als Nation Teilnehmer zu den Olympischen Spielen schicken möchte, steht Dittmann deshalb so skeptisch gegenüber, weil sie die Jugendkultur des Skatens in ein Korsett aus Regeln und Verboten stecken. Die Befürchtung, in einem Skateverein wie in einem Fußballverein Anweisungen von einem Trainer zu bekommen und nicht mehr wie auf der Straße selbst entscheiden zu können, wann man was fahren und welchen Trick probieren möchte, sind ihm ein Graus. „Ich sehe meine Aufgabe darin, den Studenten die Scheuklappen abzunehmen, dass durch fremdbestimmtes Lernen immer Kriterien wie höher, schneller, weiter zu erfüllen sind.“

Das Skaten hat sich weiterentwickelt und es gibt eine junge Generation von Fahrern, die ihren Sport gerne professionell betreiben möchten. Patricia Hajak, Mitgründerin des Vereins Spot e. V.

Weniger Rebellion, aber doch jede Menge Spaß und Gemeinschaftsgefühl findet man heute beispielsweise am Skatepark in Pettendorf, wo vergangene Woche nach 2016 und 2017 der dritte Skatecontest auf der vor zwei Jahren fertiggestellten Anlage stattgefunden hat. Der 36-jährige Markus Plobner ist Gründer und Leiter der Skateabteilung des TSV Adlersberg und Organisator des Events. 23 Fahrer, vom sechsjährigen Anfänger bis zum 35-jährigen Veteranen, konnte er am vergangenen Sonntag auf der Anlage begrüßen. Viele von ihnen kamen aus der näheren Umgebung, einige aber auch von weiter weg. Wie der 15-jährige Jonathan aus der Nähe von Passau. Er skatet seit rund vier Jahren und hat sein erstes Board von seinen Eltern geschenkt bekommen. Die haben ihn und seine Freunde an diesem Tag auch zum Contest nach Pettendorf gefahren.

Revolution geht zwar anders, aber praktisch sind die Eltern eben doch. Und auch Mandy, Mutter eines neunjährigen Jungskaters, glaubt nicht, dass ihr Zutun der Entwicklung ihres Sohnes schadet. „Wir haben auf dem Land nicht viele Möglichkeiten, wo er fahren könnte. Da kommt uns der Verein sehr recht, wo er vom Trainer Tipps bekommt, wenn er welche möchte. Da bringen wir ihn gerne jede Woche hin. Und gegen seine Eltern aufbegehren kann und wird er später bestimmt auch noch. Dazu braucht er das Skaten nicht.“

Auch Trainer Markus Plobner sieht die Sache ganz gelassen. Zwar brennt in ihm das ursprüngliche Feuer fürs Skaten wie eh und je, aber auch er weiß die Vorteile einer Struktur hinter den Kulissen sehr zu schätzen. „Wir spüren eine ganz tolle Unterstützung von den Regensburger Skateshops und von Spot e. V., so dass sich hier eine echte Szene entwickelt hat.“ Spot e. V., das ist vor allem das Werk von Patricia Hajak. Nachdem die letzte privat organisierte Regensburger Skatehalle 2008 schließen musste, gründete sie gemeinsam mit Jochen Bauer, dem langjährigen Regensburger Skater und Herausgeber des Playboard Magazine, 2009 den Verein Spot e. V., aus dessen harter und engagierter Arbeit nach sieben Jahren die neue BMX- und Skatehalle Regensburg hervorging. Ziel war es, den etwa 2000 Regensburger Skatern und 1000 BMXern einen ganzjährig zu nutzenden, witterungs- und tageslichtunabhängigen Ort zum Üben bereitzustellen. Etwa 200 aktive Mitglieder hat der Verein mittlerweile, zwei Drittel von ihnen Skater, ein Drittel BMXer.

Ehrenamt braucht Unterstützung durch VerbändeIn der Aufnahme des Skatens ins olympische Programm sieht Hajak trotz aller noch zu lösenden Probleme eine echte Chance zur Weiterentwicklung. Vor allem die Zusammenarbeit vom Bayerischen Landessportverband (BLSV) und dem zugehörigen Fachverband, dem Bayerischen Rollsport- und Inline-Verband (BRIV) muss dafür intensiviert und verbessert werden. „Wenn es um die professionelle Ausbildung von Sportlern geht, kommt die ehrenamtliche Vereinsarbeit einfach an ihre Grenzen. Die Zeit ist reif für die Verbände, um in die Lücke zu stoßen und Barrieren abzubauen, um bestehende Strukturen zu übernehmen und Sportler gezielt auszubilden.“

Das dies eine andere, neue Art ist, an das Thema Skateboarding heranzugehen, ist Hajak durchaus bewusst. „Ich möchte die Leute, für die Skaten ohne Vereinswesen und Wettkämpfe eine Lebenseinstellung ist, mit Sicherheit nicht verteufeln. Aber das Skaten hat sich weiterentwickelt und es gibt eine junge Generation von Fahrern, die ihren Sport gerne professionell betreiben möchten. Es ist eine andere Jugendkultur, aber sicher keine schlechtere. Wichtig ist, dass sich beide Seiten respektieren und weiter viel Spaß am Skaten haben.“

Das sieht selbstverständlich auch Titus Dittmann so. „Skatboarding hat sich schon immer entwickelt. Die sportliche Wettkampfkomponente wird ausgeweitet werden, allerdings hat das in meinen Augen dann nichts mehr mit der Jugendkultur zu tun. Skateboard wird den Weg in den Mainstream gehen, einfach weil es für Millionen eine begeisternde Sportart ist. Die rebellische Kraft der Jugendkultur lässt dadurch nach, aber ich bin mir sicher, dass die Jugend dann wieder etwas Neues finden wird, was die Erwachsenen für Schwachsinn halten und worüber sie sich abgrenzen können.“

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.