Gesundheit
Starkes Team bekämpft Komasaufen

Regensburger Kliniken und Gesundheitsamt begegnen dem Alkoholmissbrauch mit neuen Methoden. Junge Säufer lernen bei Grenzerfahrungen dazu.

13.05.2014 | Stand 16.09.2023, 7:14 Uhr
Peter Themessl

Die Suchtberaterin Christine Brückl (Mitte) demonstriert Standardgläser: in ein 0,3-Bierglas oder einen Sektkelch passen 10 Gramm Alkohol – ab hier wir Trinken riskant. Mit im Bild die Referenten Dr. Hermann Scheuerer-Englisch (links) und Arzt Dr. Christian Dörfler mit Eva Meier (stehend) von der katholischen Familienbildung Foto: Themessl

Nach dem Ausnüchtern in die Kletterhalle? Was wie eine unverdiente Belohnung klingt, ist ein ausgeklügeltes Konzept der KEB-Familienbildung. Kinder und Jugendliche, die nach einer Alkohol-Vergiftung im Krankenhaus landen, werden von Therapeuten des Gesundheitsamts gezielt angesprochen. Zur Nachbearbeitung gehören Gruppengespräche, Zielvereinbarungen mit den Jugendlichen und Freizeitangebote wie Klettern. Dabei sollen die jungen Leute Grenzerfahrung und Verantwortung lernen und umsetzen.

16-Jährige Dauer-Trinker

Hintergrund ist das Projekt „HaLT“ – für „Hart am Limit“. Nach einer bundesweiten Probephase macht auch der Freistaat Bayern mit. In Regensburg ist „Hart am Limit“ beim Gesundheitsamt angesiedelt, das mit der Hedwigsklinik und der Kinderstation der Uni-Klinik zusammenarbeitet. Die Krankenhäuser verständigen Berater, wenn minderjährige „Alkoholleichen“ bei ihnen landen. Das Projekt „HaLT“ wurde jetzt bei einer Abendveranstaltung der Katholischen Familienbildung M.E.H.R. vorgestellt.

Unter dem Motto „Trinken bis zum Koma“ erläuterten ein Erziehungsberater, ein Arzt und die Suchtberaterin das Thema der stark gestiegenen Alkoholexzesse bei Jugendlichen.

Psychologe Hermann Scheuerer-Englisch und die Suchtberaterin Christine Brückl waren sich einig, warum sich der Alkohol-Konsum in den vergangenen zehn Jahren vervielfacht hat. „Alkohol ist leicht verfügbar, eine Flasche Schnaps ist schon für unter fünf Euro zu haben und Jugendliche haben mehr Geld als früher“, fasst Scheuerer-Englisch seine Erfahrungen zusammen. Hinzu komme, das Alkohol als gesellschaftsfähig gilt („ein Bürgermeister glänzt durch schnelles Anzapfen“), und das Risikoverhalten dieser Altersgruppe. „Im Schnitt kommen Jugendliche mit 13 Jahren das erste Mal mit Alkohol in Berührung. Dann dauert es nur ein paar Monate, und sie haben den ersten Vollrausch“, zitiert Christine Brückl Studien der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen.

Dr. Christian Dörfler ist Oberarzt im Kinder-Notfall-Zentrum des Uni-Klinikums. Inzwischen werden jährlich knapp 100 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren mit Verdacht auf Alkohol-Vergiftung eingeliefert. Dr. Dörfler erläuterte die Wirkungen des Zellengifts Alkohol: „Er schädigt Magen, Darm, die Leber, Bauchspeicheldrüse und das Gehirn. Das ist schon bei Erwachsenen schlimm. Bei Jugendlichen ist der Schaden insofern größer, als viele Organe sich noch entwickeln und Schäden noch langfristiger sind.“ Dörfler unterschied zwischen den Dauer-Trinkern und Koma-Patienten. Letztere kommen in der Regel einmalig, wenn sie zu viel Hochprozentiges in zu kurzer Zeit zu sich nehmen. „Wir können nicht entgiften, wir können nur abwarten und überwachen.“ Anders ist es mit Dauer-Trinkern. „Wir haben 16-Jährige, die sind schon so auf Alkohol konditioniert, dass sie auch eine Flasche Wodka wegstecken. Die sind dann oft noch ansprechbar und reaktionsfähig.“

Das Personal habe eher mit Aggressionen zu tun. „Da randaliert ein Teenager auf Station, zerschmeißt Geschirr und zerstört medizinische Geräte. Wir können ihn nur mühsam bändigen und haben schon die Polizei gerufen. Nach der Ausnüchterung ist vielen das furchtbar peinlich“, erzählt der Arzt.

Auf die abschreckende Situation eines Klinik-Aufenthalts setzt auch Hermann Scheuerer-Englisch. Morgens im Hemdchen und mit Windel aufzuwachen, schrecke viele ab.

Das Krankenhaus verständigt nicht nur die Eltern, sondern auch das Gesundheitsamt und die Jugendberatung. Wenn Eltern und Jugendliche es wünschen, können sie anschließend an einem „Risiko Check“ teilnehmen.

Freunde stehen oft hilflos dabei

Solche Seminare sind mehrmals im Jahr, erläutert Christine Brückl. In Gruppengesprächen schildern Jugendliche ihre Erinnerungen an ihren Alkoholrausch und benennen Ziele. Mit Fragen wie „willst Du das künftig wieder erleben?“ beziehen die Berater die Jugendlichen mit ein. „Freunde dürfen mitkommen. Wenn die dann in der Runde erzählen, wie sie den Alkoholrausch des Freundes erlebt haben und wie hilflos sie mitunter waren, gibt es große Augen.

Zum Freizeitprogramm gehören auch ein paar Stunden in der Kletterhalle. „Am Seil kapieren die Jugendlichen sofort, was Verantwortung für sich und den anderen heißt. Nicht zu weit gehen, sich nicht überschätzen, von anderen gehalten oder begleitet werden. Das können sie auch beim künftigen Umgang mit Alkohol umsetzen.“