Menschen
Totgesagte Bestatter leben länger

Der Weggang des Baggerfahrers macht „Totengraberin“ Regina Reiner aus Cham das Leben schwer. Die Nachfolge ist aber geregelt.

19.06.2018 | Stand 16.09.2023, 6:06 Uhr

Tochter Selina (27) ist bei Mutter Regina Reiner in den Familienbetrieb eingestiegen und arbeitet als Bestatterin. Dass die Geschmäcker dabei durchaus verschieden sind, zeigt die spontane Auswahl einer „Lieblingsurne“. Foto: Schiedermeier

Totgesagte leben länger! Das gilt ganz offensichtlich auch für Bestatter. Die „Totengraberin“ Regina Reiner hat in den letzten Wochen erfahren müssen, dass Gerüchte auch einer Bestattungsfirma das Leben schwermachen können. Begonnen hat alles damit, dass der betriebseigene Baggerfahrer den Beruf gewechselt hat. Weil die Konjunktur auf dem Bausektor total überhitzt, gibt es keinen Nachfolger. Genau gesagt: Es gäbe schon ein paar. Aber die wollen mehr Geld als die Chefin. Also kein Baggerfahrer.

Die Alternative: Gräber graben mit der Schaufel! Regina Reiner tippt sich an die Stirn und lacht: „Das habe ich früher gemacht. Nie wieder!“ Also hat sie versucht, aus den Grabungsverträgen herauszukommen. Zack – da war es geboren, das Gerücht vom Tod des Bestattungsbetriebes: Die Reiner Regina hört auf, hieß es.

Bestatterin? – Echt jetzt?

Und Regina Reiner (52) präsentiert öffentlich ihre Tochter Selina (27). Berufswunsch: Bestatterin! Echt jetzt? Mit 27? „Ja, echt“, sagt Selina Reiner. Die gebürtige Chamerin hat einen Bachelor in Betriebswirtschaft und macht gerade ihren Master. An zwei Tagen in der Woche sitzt sie aber schon an dem gediegenen Schreibtisch zwischen den Urnen und Särgen am Spitalplatz 9. Und das mit Studium? „Das ist Blödsinn. Das kann man wirklich gut brauchen, wenn man selbstständig ist“, wischt Selina den Einwand mancher Bekannter zur Seite.

Vorerst arbeitet sie vorwiegend am Schreibtisch. Mit den unangenehmen Seiten des Berufes hatte sie bisher nur am Rande zu tun. „Es hat sich mal einer aufgehängt“, sagt sie. Doch den Rest erledigt immer noch die Mutter mit der professionellen Mischung aus Mitgefühl und Routine. Sie erinnert sich noch gut an die Zeiten, als es auf dem Friedhof noch keine Bagger gab. „Da wurde alles mit der Hand geschaufelt – eine üble Schufterei. Das könnte ich heute nicht mehr“, sagt sie.

Ihrer Tochter wurde das zupackende Wesen ganz offensichtlich vererbt. Manche Dinge, bei denen andere Kinder wahrscheinlich große Augen bekämen, waren für sie selbstverständlich: „Selina hat schon mit zehn Jahren begeistert die Erde aus den Gräbern mit der Schubkarre über den Friedhof gefahren“, erinnert sich die Mutter.

Die verschiedenen Geschmäcker

Mutter und Tochter haben auch schon überlegt, selbst das Baggern zu lernen. Das ist auf einem Friedhof oft ein wenig komplizierter als auf der Baustelle. Den Gedanken haben sie bald aufgegeben. „Wir haben die Zeit dafür nicht und es rentiert sich nicht für uns“, sagt Regina Reiner. Die Zeiten im Bestattungsgeschäft haben sich verändert. „Heute ruft keiner mehr hinter dir her. Es wird erwartet, dass du im Geschäft sitzt“, sagt sie. Insofern ist die Arbeitsteilung mit der Tochter heute schon eine gute Sache.

Was sagen eigentlich die Freunde der 27-Jährigen, wenn sie ins Geschäft kommen? „Zunächst haben alle Berührungsängste. Und dann kommen ganz viele Fragen“, sagt Selina. Hat sie selber noch Berührungsängste? – Das Abholen der Toten an Unfallstellen ist nicht so ihr Ding. „Da fahre ich momentan nur mit. Manchmal steige ich nicht aus.“ Die Mutter hat Verständnis: „Das machen wir langsam. Das muss noch nicht sein.“ Sie kennt das Geschäft lange genug und ist unwillkürlich davon geprägt: „Motorradfahrern sage ich immer: Mach langsam!“

Zwischen all den Urnen und Särgen stellt sich die Frage, wer dann anschafft, was angeschafft wird. Beide lachen. „Wir machen das gemeinsam“, erzählt Selina Reiner. Und die Geschmäcker sind durchaus verschieden. Als die beiden sich eine Urne aussuchen sollen, greift die Mutter nach der hölzernen mit dem bayerischen Rautenwappen. Die Tochter kommt mit einer stylisch geformten weißen Urne mit silberner Rose um die Ecke. Beide lachen und verraten, dass schon darauf schauen, ob sich bestimmt Stücke verkaufen, die der jeweils andere unbedingt bestellen wollte: „ ...das steht ja da noch immer.“ – Keine Frage, wenn man die beiden so sieht, dann steht fest: Die Totengraberin hat alle Gerüchte überlebt.