Nachruf
Trauer um den Macher aus Regensburg

Rudolf Schels hat Netto erfunden. Geschäftlich war er ein harter Verhandler – privat zeigte er eine außergewöhnliche Gabe.

31.10.2019 | Stand 16.09.2023, 5:12 Uhr

Rudolf Schels im Büro, an der Wand: eine Ansicht von Steinerner Brücke und Dom: Der Unternehmer nannte Regensburg „Heimat im Sinn des Wortes“. Foto: Tino Lex

Die Regensburger rücken in diesen Tagen ein bisschen näher zusammen. Einer aus ihrer Mitte ist gestorben, ein geradezu leidenschaftlicher Regensburger, ein außergewöhnlicher Mensch und Macher, eine große deutsche Unternehmerpersönlichkeit. Rudolf Schels wurde 70 Jahre alt.

„Regensburg ist die Stadt, in der ich geboren wurde, in der ich meine Frau geheiratet habe, in der unsere vier Kinder groß wurden, in der ich mein Unternehmen habe. Und es ist die Stadt, in die ich immer wieder gern zurückfahre. Heimat im Sinn des Wortes. Es ist für mich gar nicht vorstellbar, woanders zu leben.“ Rudolf Schels bekannte sich bei vielen Gelegenheiten zu seiner Heimat, wie 2015, im Gespräch mit dem Wirtschaftsexperten Gerd Otto für TVA. Zu Beginn fragte der Journalist: „Rudolf? Rudi? Wie spreche ich Sie an?“ – Schels’ Antwort war: „Jeder sagt Rudi zu mir.“

Die entscheidende Idee

Ratisbona: So nannte Rudi Schels sein Unternehmen für Handelsimmobilien, das er 1987 gründete, um die Expansion von Netto zu begleiten. Netto, das war früher Sudi, bis 1983. Schels traf damals seine wichtigste unternehmerische Entscheidung, wie er später sagte. Er strukturierte Sudi mit 25 Filialen neu und erfand den Netto-Markendiscounter. Sudi war in einer Nische unterwegs. Schels war klar: „Wenn die Firma wachsen soll, brauchen wir ein Konzept, das unverwechselbar ist und beim Verbraucher ankommt.“ Aldi und Norma, die zwei Großen der Branche, konzentrierten sich auf markenlose Ware, Netto setzte dagegen auf günstige Markenartikel, hohe Qualität zum kleinen Preis, verkauft in schlichten, straff durchorganisierten Filialen. Der erste Netto in der Brandlberger Straße lief bald sehr gut. Die Vision vom Marken-Discount wurde zur Erfolgsstory.

Netto: Anfänge:
Der Konzern wurde 2005 in den Edeka-Verbund eingegliedert. Zu Netto gehören aktuell 4200 Filialen – in Deutschland, Spanien, Portugal – und 75 000 Mitarbeiter. 21 Millionen Menschen kaufen pro Woche bei Netto ein. Bis heute hat die Netto AG & Co. KG ihren Sitz vor den Toren Regensburgs: in Ponholz bei Maxhütte-Haidhof.Die Basis für das Unternehmen hatte der Großvater von Rudi Schels 1928 mit einem Lebensmittel-Großhandel gelegt. Der Enkel formte daraus einen florierenden Einzelhandelsriesen. Erster Schritt in den Einzelhandel war 1971 die Eröffnung eigener Discountläden mit dem Namen Sudi.

Vorreiter Netto zählt heute mit Aldi und Lidl zu den deutschen Branchenriesen. 2005 wurde der Konzern in den Edeka-Verbund eingegliedert. Rudi Schels hatte sich da schon längst erst aus dem operativen Geschäft bei Netto zurückgezogen, dann auch aus dem Aufsichtsrat. Er nannte gesundheitliche Gründe. Er war Anfang 50 und aus der ersten Filiale waren 500 geworden. „Irgendwo hat es doch etwas mehr, als ich wahrhaben wollte, an meiner Gesundheit gezehrt. Ich dachte, es ist besser, einen Punkt zu setzen, innezuhalten.“

Unternehmer wollte Schels aber bleiben. Er kniete sich in die Ratisbona, seine Holding für Handelsimmobilien. So erfolgreich, wie er Netto führte, so erfolgreich leitete er die Ratisbona. Der Projektentwickler mit rund 100 Mitarbeitern ist auf Lebensmittelmärkte spezialisiert und behauptet sich glänzend auf einem umkämpften Terrain. Bis heute setzte die Gesellschaft 1262 Projekte um, 2018 schaffte sie eines der besten Jahre ihrer Geschichte. Auch die Ratisbona ist als Pionier unterwegs. 2019 wurde mit Netto in Kareth (Lk. Regensburg) der bundesweit erste Markt nachhaltig und vollständig in Holz errichtet – ein Konzept, das Nachahmer finden wird.

Rudi Schels analysierte scharf und er wog die Worte genau. Von Billigmarkt zum Beispiel mochte er nicht sprechen. „Billig ist negativ besetzt. Das ist für Lebensmittel nicht angemessen.“ Und er sprach von Menschen, nicht von Leuten. Seine humanistische Haltung schimmerte durch, wenn er vom Hohen Kreuz erzählte, wo er aufgewachsen war. „Es war spannend. Man kam mit unterschiedlichen Menschen zusammen. Man musste sich auch behaupten.“ Schels nahm aus der Jugend im Brennpunktviertel die Erfahrung mit: „Vor Integration muss man sich nicht fürchten.“ 2015, auf dem Höhepunkt des Zuwanderungsdrucks, sagte er im Gespräch mit Gerd Otto: „Wir sollten den Menschen die Angst nehmen. Davon erzählen, dass es gar nicht so schwierig ist. Wir sollten Menschen, die ja nicht freiwillig gekommen sind, sondern aus Not, die Chance geben, sich zu integrieren. Das ist nicht nur Aufgabe der Politik, sondern von uns allen. Auch wenn es im Moment schwierig ist aufgrund der großen Anzahl.“

Geschäftlich konnte Schels ein unangenehm harter Verhandler sein. Privat traf man einen zurückhaltenden und zugewandten Menschen, der Fürsorge ausstrahlte und eine Gabe hatte: Er konnte so gut zuhören. Wenn ihm jemand eine Ansicht oder ein Problem schilderte, blieb er lange ruhig, nahm die Sätze konzentriert auf und hatte dann oft einen klugen Rat.

Seine soziale Einstellung und seine Bindung an Regensburg zeigte sich im Engagement für den Regensburger Verein „Nothing is forever e.V.“, der sich dem Kampf gegen die tückische Nervenkrankheit Neurofibromatose (NF) verschrieben hat, und für „Brücken für Regensburg“, die Sozialprojekte des SSV Jahn, die Ratisbona ebenfalls fördert.

Fußball begleitete Rudi Schels durch sein ganzes Leben. Als Bub kickte er am Hohen Kreuz, als Unternehmer war er ab 2014 beim FC Bayern München unter anderem für Finanzen zuständig. Dass Schels als 1. Vizepräsident und Aufsichtsrat Verantwortung übernahm, entwickelte sich auch aus der Freundschaft zu Uli Hoeneß. „Das war’s noch nicht“, hatte der FCB-Boss 2014, vor Antritt seiner Haftstrafe, versprochen. Als Hoeneß 2016 als Präsident zurückkam, trat Schels ab und sagte: „Das war’s für mich.“

Der Regensburger wandte sich dem SSV Jahn zu und schenkte den Weiß-Roten als Aufsichtsrat seine Zeit und seine Kompetenz. Mit dem Rückzug vom FC Bayern rückte er auch aus dem grellen Rampenlicht. Der Macher scheute die Öffentlichkeit nicht, aber er suchte sie auch nicht. Bling-Bling und Show überließ er anderen.

Wenn das Wetter passte und er Zeit hatte, setzte sich Rudi Schels auf sein Rad, um den schreibtischgewohnten Körper fit zu halten. „Man muss was tun“, war seine Überzeugung. Am Sonntag, an einem der letzten schönen Tage im Oktober, startete er zu einer kleinen Tour, bei der er zusammenbrach. Sein Herz hörte auf zu schlagen.

Weitere Nachrichten aus Regensburg lesen Sie hier.

Hier geht es zur Wirtschaft.

Hier geht es zum Bayern-Teil.