Bayerische Bezirke warnen
Ukraine-Krieg, Inflation, Fachkräftemangel: Löffler sieht Sozialsysteme unter Druck

09.07.2022 | Stand 15.09.2023, 4:28 Uhr
Franz Löffler ist Präsident der bayerischen Bezirke. Der Oberpfälzer warnt davor, bei Sozialem zu kürzen. −Foto: Simon Tschannerl

Die Folgen des Ukraine-Krieges und die Furcht vor einer womöglich neuen, heftigen Corona-Welle im Herbst haben bei den bayerischen Bezirkstagspräsidenten die Hoffnung zunichte gemacht dass rasch wieder Normalität und Alltag einkehren könnte. Die Probleme sind auch ohne Dauer-Krisen groß, sagt der Chef des Bezirke-Verbandes, Franz Löffler. Stichwort: Fachkräftemangel.



Die bayerischen Bezirke haben diese Woche als Fürsprecher der sozial Schwachen und kranker Menschen Alarm geschlagen: Wie ernst ist die Lage?

Franz Löffler:Ukraine-Krieg, Gasknappheit und ein Stück weit auch die Folgen der Corona-Pandemie werden mehr oder weniger tief greifende wirtschaftliche Folgen haben. Dann kann sich ganz schnell die Frage stellen: Was ist in unserem Land an sozialen Leistungen noch finanzierbar, wenn die Kassen der sozialen Sicherheitssysteme durch die Rezession nicht mehr gut gefüllt sind. Die Bezirke als Anwalt der Pflegebedürftigen sowie der Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen werden ein wachsames Auge darauf haben, dass die soziale Ausgewogenheit auch in schwierigeren Situationen eingehalten wird. Das ist unser Auftrag.

Sie beklagen, dass neben Ukraine-Krieg und Corona-Krise andere drängende Probleme der Bezirke wie der eklatante Fachkräftemangel auf der Strecke bleiben. Wie viele zusätzliche Fachkräfte hätte ad hoc allein der Bezirk Oberpfalz nötig?

Wenn ich nur den Bereich der Psychiatrischen Kliniken nehme, könnte ich sofort 40 oder 50 Vollkräfte in der Pflege einstellen. Das Problem gibt es auch in anderen Bereiche: bei der stationären Pflege in den Seniorenheimen oder in den Behinderteneinrichtungen. Als Verbandspräsident habe ich zu den Standards in der Pflege einen ganz konkreten Wunsch: Es wäre gut, wenn wir die Fachkraftquote, die derzeit 50 Prozent beträgt, etwas flexibler gestalten könnten, so dass zum Beispiel in der Nacht nicht zwingend auf jeder Station eine Fachkraft da sein muss, sondern in bestimmten Fällen auch eine Hilfskraft eingesetzt werden kann. Wir müssen innovativ sein, sonst werden wir das Problem nicht lösen.

Für Sie ist auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht in dieser Lage ein Hemmnis.

Wenn die allgemeine Impflicht nicht kommt, können wir es uns nicht leisten, durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht Fachkräfte zu verlieren. Das ist bereits passiert. Pflegekräfte fühlen sich ein Stück weit diskriminiert. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren Maximales geleistet und müssen jetzt ohne Impfung mit einem Betretungsverbot rechnen. Dieses Thema muss gelöst werden.

Zeichnet sich nicht nur in der Pflege, sondern auch bein den Ärzten ein Mangel ab?

Wir haben insgesamt vor allem in den Ballungsräumen bei Ärzten noch ein gutes Bewerberfeld. In den peripheren Bereichen ist es allerdings schwieriger.

In der Pflege wollen sie Druck aus dem Kessel nehmen, in dem etwa Senioren so lange wie möglich zu Hause versorgt und betreut werden.

Die Gruppe der über 80-Jährigen ist diejenige, die in unserer Gesellschaft am stärksten wächst. Wir als Bezirke sind der Überzeugung, dass der weitere Zuwachs in den nächsten Jahren mit dem bestehenden System nicht zu bewältigen ist: So viele stationäre Heime werden nicht möglich sein, so viele Pflegekräfte bringen wir gar nicht her. Wir brauchen deshalb auch strukturelle Veränderungen. Die Angebot zur häuslichen Pflege müssen so verbessert werden, dass Menschen länger zu Hause bleiben können – und zwar auf Top-Niveau, mit passgenauen Lösungen. Stichwort: Gemeindeschwestern oder Quartierslösungen. Professionelle Strukturen müssen durch ehrenamtliche unterstützt werden. In der Oberpfalz sind 48 Prozent der Senioren, die Hilfe zur Pflege erhalten, vier Jahre und länger in Pflegeheimen untergebracht. Das zeigt das Potenzial. Mit dem Pflegeministerium wird dazu jetzt ein bayernweites Konzept entwickelt.

Die Bezirke sind auch deshalb in Habachtstellung, weil sie finanzielle Hilfe leisten, wenn Menschen sich die stationäre Pflege nicht leisten können.

Wir sind der Kostenträger im stationären Bereich. Wenn das eigene Geld nicht mehr reicht, müssen wir als Bezirke einspringen.

Ohne zusätzliche Fachkräfte wird es trotz Gegensteuern nicht gehen. Wie lässt sich mehr Personal finanzieren?

Nehmen wir das Gesundheitswesen: Kostenträger sind hier die Krankenkassen. Die Kosten sind aber gedeckelt. Schon aktuell wird das Personal in vielen Fällen nicht vollständig finanziert. Was uns jetzt schwer betrifft, ist der fehlende Inflationsausgleich für steigende Preise auch im Energiebereich. An den bayerischen Kliniken insgesamt – also nicht nur den Bezirkskliniken – summiert er sich dieses Jahr auf rund 500 Millionen Euro. 2023 könnten es nach Schätzungen eine Milliarde Euro sein. Da ist richtig Feuer auf dem Dach. Wir brauchen eine vernünftige Antwort, um die Gesundheitsversorgung nicht zu gefährden.

Wie wirkt sich die Kostenspirale auf Baumaßnahmen aus?

25 Prozent Mehrkosten müssen wir im Minimum kalkulieren. Der Bezirk Oberpfalz plant in den nächsten fünf Jahren Investitionen in Höhe von 100 bis 150 Millionen Euro. Das kostet uns dann bis zu rund 35 Millionen Euro mehr.

Zur Info: Daten und Fakten

Zur Person:Der Chamer Landrat Franz Löffler ist seit 2008 Oberpfälzer Bezirkstagspräsident. 2018 rückte er auch noch als Präsident an die Spitze des Bayerischen Bezirketags. Der CSU-Politiker ist 60 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Die politische Karriere startete er als Bürgermeister von Waldmünchen (2002 bis 2010).

Bezirk Oberpfalz:Der Bezirk ist einer von sieben in Bayern. Er ist „dritte kommunale Ebene“ und übernimmt Aufgaben der Daseinsvorsorge im Bereich Soziales, Gesundheit, Kultur, Natur und Umwelt, die über die Zuständigkeit und das Leistungsvermögen der Landkreise und kreisfreien Städte hinausgehen.

Einrichtungen:In der Oberpfalz ist der Bezirk unter anderem Träger der Bezirkskliniken Medbo mit Schwerpunkt auf Neurologie und Psychiatrie, der Berufsfachschule für Krankenpflege und Krankenpflegehilfe, des Freilandmuseums Oberpfalz, der Berufsfachschule für Musik, des Sudetendeutschen Musikinstituts oder der Fachberatung für Fischerei mit Teichwirtschaftliche Beispielbetrieb in Wöllershof.