Interview
Véronique Witzigmann: „Süßes geht immer“

Véronique Witzigmann hat mit selbst gemachten Marmeladen angefangen. Heute betreibt sie eine Dessertcateringfirma.

05.03.2018 | Stand 16.09.2023, 6:17 Uhr
Susanne Wolf

Véronique Witzigmann ist die Tochter von „Jahrhundertkoch“ Eckart Witzigmann. Foto: Volker Debus

Véronique Witzigmann ist auf Food-Events deutschlandweit unterwegs, wo sie die Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten aus dem Dessertbereich verzaubert. Mit ihrem Mann und Food-Fotograf Volker Debus entwickelt sie nicht nur Rezepte und bereitet diese zu, sondern sie kredenzt sie auch in einer überaus ansprechenden Form. Denn das Auge isst ja bekanntlich mit... Ihre Desserts sind gefragter denn je – daher hat das Auge oft nicht lange Zeit, denn diese Gier nach ihren köstlichen Nachspeisen zwingt einen zum baldigen Genuss ihrer Kreationen.

Welche Bedeutung hat das Dessert für Dich?

Ich finde es schade, dass es oft vergessen wird. Das Dessert ist für mich ein besonderer Abschluss eines Menüs. Wenn du das schön machst, geht der Gast mit einem guten Gefühl hinaus. Das ist, wie wenn du aus einem Hotel abreist: Du gehst nach dem Frühstück und denkst darüber nach, wie es war. War es doof, überlegst du beim nächsten Mal, ob du nochmal in dieses Hotel gehst.

Toller Vergleich!

Ja, ähnlich ist es beim Dessert. Du kannst damit auch wieder einige Sachen gutmachen, wenn am Abend etwas blöd gelaufen ist. Lädst du deinen Gast zu einem tollen Dessert ein, kannst du punkten!

Ich esse meist nur eine Hauptspeise – und gegebenenfalls eine Vorspeise –, lasse das Dessert aber immer aus. Das haben viele andere Gäste auch meistens gemacht. Doch in den letzten Jahren beobachte ich da einen Wandel...

Ich glaube, dass Desserts wieder mehr im Kommen sind. Das ist im Grunde ähnlich wie mit diesem Backtrend. Das Backen war eine Weile total verstaubt und jetzt ist es eine Geschichte, die vom jungen Mädl über die Mutti bis zur Großmutti alle gerne machen. Beim Dessert ist es genauso: Es gewinnt wieder mehr Augenmerk beim Essen. Das ist toll!

„Ich glaube, dass Desserts wieder mehr im Kommen sind.“

Du hast in der Aubergine mit Deiner kulinarischen Laufbahn begonnen...

Ich habe dort die Pressearbeit gemacht. Ich wollte eigentlich nie in die Küche. Ich wollte organisieren und am Gast sein. Das war in meinen Gedanken nicht verankert.

Wie bist Du dann dazu gekommen? Die Kulinarik wurde Dir ja praktisch in die Wiege gelegt...

Ja, ich bin damit aufgewachsen. In unserer Familie war das Essen und Gastgebersein etwas Normales. Wir haben das nicht als besonders empfunden – Papa und Mama haben halt da gearbeitet. Recht früh habe ich anfangen, da zu jobben, was mir sehr gut gefallen hat. Das ist wahrscheinlich der Grundstock dafür, dass diese Liebe für die Gastronomie entstanden ist. Wobei meine Mutter das eigentlich nicht wollte, dass ich da eine Ausbildung mache. Aber wie es dann halt immer so ist(lacht)... Das, was verboten ist, ist am reizvollsten. Viele, viele Jahre später hat es mich dann nochmal in eine ganz, ganz andere Richtung verschlagen. Nämlich dahin, wo ich heute bin.

Hast Du eine Ausbildung in diese Richtung gemacht?

Nein, ich bin kompletter Autodidakt.

Wann hat es dann „geschnackelt“ bei Dir?

Es gibt Lebensumstände, die dich zwingen, dein Leben zu überdenken. Ich war mit einem Veranstaltungsservice unterwegs, hatte geheiratet und dann kam meine Tochter Marietta. Es folgte die Trennung, als sie fünf war. Wir sind dann zurück nach München und ich habe mir überlegt: Was machen wir jetzt(lacht)? Da ist dieser Manufakturgedanke entstanden. Daraus hat sich alles entwickelt. Das mit den Marmeladen war mir damals schon zu klein. Im Kopf war immer: Da kann man noch mehr machen – noch ein Gebäck, einen Kuchen oder etwas anderes, was dazu passt. Damals wäre ich aber nie so weit gegangen, das zu machen, was wir heute machen. Dafür braucht man mehrere Entwicklungsphasen.

Du hast also mit Marmeladen für Marietta angefangen?

Was machst Du noch alles?

Hauptsächlich das Eventcatering. Dann schreibe ich Bücher und wir entwickeln neue Rezepte. Das nimmt alles sehr viel Zeit in Anspruch. Meine Person hat sich von der Marmeladengeschichte mehr in den Dessertbereich verlagert.

Ist der Gedanke dazu mit der Zeit gereift?

Ich fand Desserts schon von klein auf super! Das kam daheim immer viel zu kurz(lacht). Angefangen hat das, so wie wir es heute machen, mit der Bekanntschaft von Christoph Brand und Lucki Maurer vor circa vier Jahren. Sie hatten eine Veranstaltung und haben gefragt: „Kannst du da irgendwas machen?“ Vorher haben wir viel, viel kleinere Sachen gemacht. Da entwickeln sich mit der Zeit die Geschichten. Mittlerweile sind das oft Veranstaltungen mit über tausend Leuten. Der Geschmack ist das eine, die Logistik ist aber mindestens genauso wichtig.

Du machst das mittlerweile nicht mehr alleine?

Nein, das würde ich in dieser Größenordnung nicht mehr schaffen. Ich mache das mit meinem Mann Volker. Wir haben ein Super-Konstrukt(lacht): Volker ist eigentlich Fotograf, hat aber eine unglaubliche Affinität zu diesem Bereich. Er hat mich von Anfang an unterstützt. Wir sind ein Super-Team!

Die Genusswelt ist ja eher doch eine Männerdomäne. Wie kann man sich da als Frau behaupten?

Es ist wirklich eine Männerdomäne. Ich habe das Gefühl: Steter Tropfen höhlt den Stein. Frauen haben es im Gastrobereich eher schwer. Klar, es ist ein harter Job, aber es gibt auch viele gute Frauen in der Branche wie Meta Hiltebrand. Jeder muss seinen Stil finden, mit dem er sich identifiziert. Wie man sich reinfindet, weiß ich nicht, aber es ist mit viel Fleiß und Arbeit verbunden. Wie in allen Bereichen hat es auch sehr viel mit Chemie und Sympathie zu tun.

Hier finden Sie ein Dessert-Rezept von Véronique Witzigmann!

Hat Dir Dein Name gewisse Türen geöffnet?

Das ist so eine Sache. Das kann beides sein: Vor- oder Nachteil. Oft ist es so, dass Leute das hören und meinen, dass du das gleiche Standing hast, was kompletter Blödsinn ist. Mein Vater hatte ein Restaurant mit drei Sternen für 40 Sitzplätze. Wenn ich heute auf eine Veranstaltung gehe und einen Nachtisch für tausend Leute mache, dann werden wir nicht zehn Handgriffe auf einem Teller machen können, weil die Veranstaltung sonst sehr lange nach hinten raus dauert(lacht). Es ist schön, dass manchmal Interesse da ist, aber es ist nicht so, dass dadurch alles geregelt ist und ich nur noch durchlaufen muss.

Dein Steckenpferd sind Desserts. Du kombinierst sie auch gerne mal mit Gemüse...

Das sind kreative Geschichten, die wir uns anhand dessen überlegen, was sonst auf der Karte steht. Gemüse muss nicht immer sein. In deinem Fall war das ein kreativer Prozess, da dieser Hibiskusblütensirup dabei war. Wir haben dann mit Roten Beten rumprobiert und gedacht: „Das ist es!“ Ich habe eine Idee im Kopf und man muss schauen, mit welcher Extremität man das machen kann.

Ihr probiert hier schon immer alles vorher einmal aus?

All diese Sachen werden erst mal im Kleinen probiert. Dahinter steckt auch eine Entwicklungsarbeit. Wenn wir heute auf einem Großevent ankommen, muss alles so vorbereitet sein – das machen wir in unserer Produktionsküche –, dass man nur noch die Kisten auspackt und anrichtet. Da kann man dann nicht mehr großartig überlegen!

„Dann probieren wir aus. Wir bieten im Endeffekt einen Baukasten an. Wichtig ist, zu wissen, was ein Dessert braucht: etwas Knuspriges, etwas Cremiges, etwas Geliges, etwas Kühles.“

Woher holst Du Dir Deine Inspirationen? Hast Du Dir etwas von Deinem Papa abgeschaut?

Nein, gar nicht. Das kommt mit der Zeit. In der Produktionsküche steht momentan ein Dörrautomat. Ich finde das total spannend! Da haben wir ein Dessert mit getrockneten und marinierten Karotten gemacht. Irgendwo gibt es einen Faden, den du in der Hand hast, und daraus entwickelt sich so eine kulinarische Geschichte. Ich mag am liebsten Sachen, die mir selbst schmecken. Ich tu mich schwer mit Produkten, die ich nicht mag(lacht).

Ihr arbeitet mit verschiedenen Texturen. Wie kommt Ihr darauf?

Wir überlegen erst, was wir machen wollen und was dazu passen könnte. Dann probieren wir aus. Wir bieten im Endeffekt einen Baukasten an. Wichtig ist, zu wissen, was ein Dessert braucht: etwas Knuspriges, etwas Cremiges, etwas Geliges, etwas Kühles. Dann versuchst du, mit diesen Komponenten ein Gericht aufzubauen. Es darf nicht zu viel und nicht zu wenig sein. Wir brainstormen gerne(lacht). Dann muss man sich aus diesem Körbchen, das man sich zusammengestellt hat, aussuchen, was man nimmt. Wie schaut es am besten aus? Mit welchen Komponenten und Texturen schmeckt es am besten? Du nimmst einen zentralen Punkt in der Mitte, der Träger ist, und baust dazu deine Komponenten auf.

Desserts gehen oft in eine sehr neue, andere, gar über-kreative Richtung...

Ich finde, es bringt nichts, wenn du deine Desserts am Gast vorbei machst. Damit meine ich, in einem „normalen“ Lokal sehr verrückte Geschmäcker und gewagte Kombinationen zusammenzubringen. Oftmals, so habe ich die Erfahrung gemacht, hat der Gast mit einem Dessert, das er vielleicht kennt, wie zum Beispiel eine Bayerische Creme oder einen Strudel, und dies neu interpretiert wird, einen besseren Zugang als zu dem oben genannten. Anders ist dies natürlich im gehobenen Restaurantbereich: Hier hat der Gast auch Muse und Interesse, sich vom Patissier verführen zu lassen. Für mich macht es eine bunte Mischung aus, etwas Ungewöhnliches bei einer kleinen, exquisiten Veranstaltung zu präsentieren und bei einer großen Veranstaltung einen Klassiker zu servieren mit einem ungewöhnlichen Geschmackspunkt. Wenn der Gast so ein Dessert probiert und es als Bereicherung empfindet, dann habe ich damit die größte Freude.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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