Herr Peci, Sie sind erst 26 Jahre alt und haben ein Leben wie aus einem Spionageroman hinter sich. Haben Sie Angst, dass sich Islamisten, die Sie beim Verfassungsschutz verpfiffen haben, an Ihnen rächen könnten?
Die Gefahr besteht durchaus. Ich denke schon, dass es Leute gibt, die sowas gerne machen würden. Ob sie es konkret umsetzen, kann ich schwer beantworten. Meine Rolle wurde ja schon damals durch den Münchner Prozess 2011 gegen Mitglieder der Globalen Islamischen Medienfront offenbart. Danach gab es Morddrohungen im Internet gegen mich. Jetzt durch das Buch ist die Gefahr wieder gestiegen, weil ich ja auch gegen Dschihadisten reden. Ich versuche Risiken zu vermeiden, aber 100 Prozent sicher kann man nie sein.
Sie hätten ja auch die Möglichkeit gehabt, über das Zeugenschutzprogramm auch eine neue Identität zu bekommen. Sie haben sich dagegen entschieden. Mehr noch. Sie gehen bewusst an die Öffentlichkeit. Warum?
Nach dem ganzen Stress mit der Enttarnung und den Prozessen brauchte ich erst einmal längere Zeit Ruhe. Damals habe ich Angebote, an die Öffentlichkeit zu gehen, abgelehnt. Jetzt, nachdem ich einige Jahre darüber nachgedacht habe, sehe ich es als meine persönliche Pflicht, an die Öffentlichkeit zu gehen, aufzuklären und einfach zu erzählen, was alles passiert ist. Ich denke, dass das einen großen Nutzen haben kann, vor allem um Radikalisierung entgegenzuwirken. Wenn andere Jugendliche, die vorhaben einen ähnlichen Weg zu gehen, das lesen und sehen, dass das alles andere als schön ist, lernen sie vielleicht daraus und machen nicht dieselben Fehler. Aber ich halte es auch für wichtig, dass die Öffentlichkeit von den Verfassungsschutzpraktiken erfährt, damit kritisch darüber diskutiert wird.
Sie waren Dschihadist, haben zum bewaffneten Kampf aufgerufen und landeten im Gefängnis. Dann hat Sie der Verfassungsschutz als V-Mann angeworben. Aufgewachsen sind Sie in Weiden. Wie verlief Ihre Kindheit und Jugendzeit?
Wenn ich mich so erinnere, hatte ich eine sehr schöne Kindheit und Jugendzeit. Ich war zwei Jahre alt, als wir aus Serbien nach Deutschland gekommen sind. Wir waren Angehörige einer bosnischen Minderheit und sind vor dem Bürgerkrieg geflohen. In Weiden bin ich in den katholischen Kindergarten gegangen, dann in die Schule. Ich habe den Hauptschulabschluss gemacht. Ich hatte nie großartig Probleme. Klar, ich war jetzt auch nicht ganz unproblematisch, habe oft rebelliert. Aber im Großen und Ganzen verlief alles eigentlich normal. Es gab keinen großen Unterschied zu anderen Jugendlichen. Ich habe mich für dieselben Sachen interessiert, habe Fußball gespielt, habe mit Freunden viel unternommen. So ging das bis zur Pubertät.
Dann haben Sie begonnen, sich für Religion zu interessieren. Zuvor hatte der Islam keine große Rolle in ihrem Leben gespielt. Ihre Mutter hatte Ihnen lediglich eingeschärft, kein Schweinefleisch zu essen.
Ja, ich habe angefangen, mich mit dem Islam zu beschäftigen, bin aber gleich an die falschen Leute mit einer extremen Auslegung geraten.
Sie schreiben, dass Ihre Geschichte die Geschichte einer alltäglichen Radikalisierung ist wie sie sich in vielen Jugendzimmern in Deutschland abspielt. Warum zieht es so viele junge Menschen auch aus Deutschland in den Dschihad?
Ein Grund ist oft das falsche religiöse Verständnis. Der Dschihad wird als religiöse Pflicht gesehen. Es gibt aber Leute, die ihre eigenen Interessen verfolgen und den Islam dafür benutzen, um Leute zu haben, die für sie kämpfen und sterben. Oft spielt die Perspektivlosigkeit eine große Rolle. Bei mir persönlich war es ja auch so, dass ich, nachdem ich religiös wurde und das sehr streng gelebt habe, die Schule abgebrochen habe und keine Ausbildung gefunden habe. Ich hatte keine Perspektive und auch nicht viel zu verlieren. Aus Verzweiflung heraus habe ich mich Ideen zugewandt, bei denen es darum ging, die Welt zu verbessern und zu verändern und nicht um Arbeit oder ein normales, „langweiliges“ Leben. Es ging angeblich darum, die Muslime zu befreien. Das versprechen sich auch viele Leute. Sie sind verblendet und denken wirklich, dass sie etwas Gutes tun.
Eine große Rolle haben bei Ihrer Radikalisierung Enthauptungsvideos gespielt. Warum haben Sie die so gefesselt?
Die Videos hatten eine ganz andere Wirkung, als wenn man theoretisch redet. Man sieht tote Kinder und tote, unschuldige Zivilisten, die von einer Bombe getroffen wurden. Dadurch, dass man die Opfer zeigt, wird großer Hass erzeugt. Wenn man dann schon die Ideologie in sich trägt, dass man sagt, ja alle Andersgläubigen hassen den Islam und haben sich gegen die Muslime verschworen, dann legt man das so aus, dass die ganzen Leute nur gestorben sind, weil sie Muslime waren. Im Gegenzug werden einem dann in den Videos Al-Kaida und Co. als die einzigen präsentiert, die sich noch dagegen wehren und die Muslime beschützen. Sie werden zu Helden gemacht und verherrlicht. Die Opfer von Kriegen wie im Irak oder in Afghanistan werden von den Terroristen benutzt, um ihren eigenen Terror zu legitimieren.
Sie haben Irak genannt. Warum richtet sich der Hass denn nicht gegen die Diktatoren in solchen Ländern? Warum wird der Hass auf die Nichtmuslime projiziert?
Das ist ja nicht nur auf die Nichtmuslime bezogen. Wenn man sich die Opfer des IS betrachtet, dann sind das ja auch zum Großteil Muslime. Oder wenn man sich den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten betrachtet. Man erklärt durchaus auch die eigenen Leute schnell zu Verrätern. Bei Al-Kaida gab es immer die Unterscheidung zwischen dem nahen Feind und dem entfernten Feind. Der Westen wird so gesehen, dass von dort das Ganze gesteuert und finanziert wird. In den eigenen Ländern gibt es demnach dann Marionetten, die für die Interessen von Nichtmuslimen arbeiten.
Bei Ihnen verfing die Propaganda nicht nur. Sie machten auch selbst welche und stiegen ziemlich schnell zum Deutschland-Chef der Globalen Islamistischen Medienfront (GIMF) , dem Propagana-Arm von Al-Kaida– auf. In einem Video haben Sie mit Anschlägen in Deutschland und Österreich gedroht. Wie ernst war es Ihnen damit?
Sie haben trainiert, um sich für den Dschihad fit zu machen und sogar ein paramilitärisches Training in der Nähe von Weiden organisiert. Was genau haben Sie da geübt?
Es ging darum, die Zeit zu überbrücken, bis zu der man ausreisen kann. Die Überlegung war, die Zeit zur Vorbereitung für den Tag X zu nutzen, wenn man wirklich was machen kann. Wir haben körperliches Training gemacht und versucht, schießen zu lernen. Einige meiner Bekannten sind dann auch ausgereist
Ihre Ausreise wurde sozusagen vereitelt, weil Sie wegen eines anderen Vorfalls Ärger mit Polizei und Justiz bekamen. Sie waren an einem Überfall auf einen Handyladen in Weiden beteiligt und haben einen Verkäufer brutal zusammengeschlagen, der Sie vorher beleidigt haben soll. In der Untersuchungshaft bekamen Sie Besuch und ein Angebot...
Zuerst war ich normaler Häftling. Nach zwei Monaten kam das Bundeskriminalamt zu mir ins Gefängnis, weil wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bereits länger gegen mich ermittelt wurde. Ich wurde dann nach Nürnberg in die JVA verlegt. Ab da galt eine Isolationshaft, in der der Prozess begann, dass ich zweifelte und anfing meiner bisherigen Überzeugung abzuschwören. Mit meinem Anwalt habe ich besprochen, wie ich die Haftzeit verkürzen könnte. Dann kam der Verfassungsschutz ins Spiel. Es hieß, eine Kooperation könnte sich positiv auswirken. So kam ich dann raus aus dem Gefängnis, weil ich fmit dem Bundesverfassungsschutz kooperierte.
Was war Ihr Auftrag? Welche Informationen sollten Sie sammeln?
Nach einem Umzug nach Berlin gab allgemein einen Auftrag, Informationen aus der Szene zu sammeln, egal was. Daneben gab es spezielle Aufträge, wo der Verfassungsschutz gezielt gewisse Sachen von gewissen Leuten wissen wollte.
Das waren Mitglieder einer Gruppe, die unter dem Namen „Berliner Gruppe“ Schlagzeilen gemacht hat.
Genau, das war das Hauptziel. Das war eine größere Gruppe von Dschihadisten, die Kontakt hatten zu mehreren größeren terroristischen Vereinigungen wie Al-Kaida oder den Deutschen Taliban Mudschaheddin, die sie finanziell oder mit neuen Rekruten unterstützt haben, die eingeschleust wurden.
Sie bekamen vom Verfassungsschutz sogar Geld, um tiefer in die Szene einzutauchen. Wie lief das konkret ab?
Um das nochmals klar zu machen. Das war Steuergeld?
Ich denke schon, klar. Mein Kontaktmann hat auch immer erklärt, dass wir sehr gewissenhaft damit umgehen müssen, weil es Steuergeld ist. Aber dann wiederum, als es um Informationen ging oder einen besseren Zugang zu Informationen, war der Verfassungsschutz einverstanden.
Es gibt noch einen Fall, der einen ratlos hinterlässt. Sie waren mit Bekannten aus der Szene in Berlin unterwegs. In einer S-Bahn-Station fühlten sie sich provoziert von einem US-Soldaten. Daraufhin haben sie den Mann zusammen mit zwei Bekannten zusammengeschlagen. Alles wurde gefilmt, aber Sie wurden nie für den Vorfall zur Rechenschaft gezogen.
Stimmt. Es gab auch eine Menge Zeugen, die geschrien und die Polizei gerufen haben. Als wir die Sirenen hörten, sind wir geflüchtet und die Polizei hat uns auch nicht erwischt. Ich habe dann etwas später meinen Kontakt beim Verfassungsschutz angerufen, weil ich selbst unsicher war. Ich habe das schon so ein bisschen vermutet, dass sie mich aus der Sache rausholen, weil sie es sich nicht leisten können, mich einfach so fallen zu lassen. Wir haben uns dann am nächsten Tag getroffen. Ich wollte ihm alles schildern, aber er wusste schon Bescheid. Er hat gesagt, dass er Videoaufnahmen gesehen hat. Es hat ihm natürlich nicht gefallen. Er hat mich deswegen kritisiert, aber nur vor dem Hintergrund, dass es die Zusammenarbeit gefährdet. Dann hat er aber auch gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll. Das sei schon mit der Polizei geklärt und der Mann sei nicht lebensgefährlich verletzt. Dann habe ich nie mehr etwas davon gehört.
Ihre Arbeit als V-Mann ging dann spektakulär zu Ende. Sie wurden offenbar wegen eines Aktenvermerks in dem schon angesprochenen Prozess in München enttarnt, also wenn man so will wegen einer Schlamperei der Behörden. Seitdem gehen Sie auf Abstand zu den Sicherheitsbehörden. Wollen Sie nichts mehr mit denen zu tun haben?
Für den Verfassungsschutz bin ich jetzt wahrscheinlich ein Hochverräter. Aber ich habe allgemein nichts gegen Sicherheitsbehörden. Im Gegenteil. Die machen eine gute und wichtige Arbeit, was zu wenig wertgeschätzt wird. Aber das heißt ja nicht, dass für die keine Gesetze gelten. Ich habe ja selbst erlebt, was da gemacht wird. Und es sollte darüber diskutiert werden, ob das richtig ist. Klar, ich war schon enttäuscht und sauer, weil meine Enttarnung als V-Mann gegen jede Abmachung war. Die Abmachung war, dass ich niemals auffliegen werde. Um für die zu arbeiten, braucht man schon ein tiefes Vertrauensverhältnis, schließlich habe ich denen mein Leben anvertraut. Von sich haben sie das Bild eines allmächtigen Geheimdiensts gezeichnet, dem keine Fehler passieren. Und dann passiert sowas.
Weiden taucht seit Jahren im Verfassungsschutzbericht auf, weil dort radikale Islamisten beobachtet werden. Kritisch erwähnt werden Infostände, an denen salafistische Publikationen verteilt werden. Für wie gefährlich halten Sie diese Infostände?
In dieser Richtung wird ein bisschen zu wenig differenziert. Es gibt gewaltbereite Salafisten. Es gibt aber auch Salafisten, die gegen Gewalt sind. Da muss man schon klar unterscheiden. Es ist eher nachteilig, wenn man Leute, mit denen man eigentlich gegen Radikalisierung zusammenarbeiten könnte, alle in eine Schublade steckt und alle als gefährlich hinstellt. Es gibt unter Salafisten natürlich problematische Auffassungen, aber man kann sie nicht mit dem IS gleichsetzen. Ich kenne die Entwicklung in Weiden ganz gut. Es gab vereinzelt Leute, die nach Syrien gegangen sind, aber der Großteil, der da ist, ist meiner Einschätzung nach relativ harmlos. Und bei Infoständen kommt es darauf an, was dort verteilt wird. Wenn dort etwas verteilt wird, dass verfassungsfeindlich ist, dann hätte die Polizei schon längst reagieren können. Auch unter Salafisten gibt es Unterschiede. Lieber sollte man Gemeinsamkeiten aufgreifen und gemeinsam in die richtige Richtung arbeiten.
Wie kann die Gesellschaft verhindern, dass sich Jugendliche radikalisieren?
Wie gesagt, es ist viel Differenzierung notwendig. Nicht jeder, der einen langen Bart hat, ist gefährlich. Aber das denken jetzt auch viele. Was immer gut ist für eine Gesellschaft, ist Offenheit und Toleranz. Wenn man intolerant ist, dann liefert das immer den Dschihadisten Argumente. Oder auch die Islamophobie, die in letzter Zeit stärker wurde. Das benutzen die Dschihadisten als Argument um zu sagen: „Du gehörst da nicht dazu. Die wollen Dich nicht. Die hassen Dich.“ Da kann man entgegenwirken, indem man genau das Gegenteil macht – gegenüber der Religion, nicht gegenüber Terrorismus. Da darf man null Toleranz zeigen und die Behörden müssen reagieren. Aber, was ich als Problem sehe, ist, dass in Sachen Prävention viel zu wenig gemacht wird. Der Staat stellt zu wenig Mittel zur Verfügung und es gibt zu wenig Stellen. Es ist wichtig, die Muslime einzubeziehen. Ein moderater Imam, der einen vernünftigen Islam predigt, hat viel mehr Einfluss auf Jugendliche als irgendein Islamwissenschaftler, der vielleicht selbst gar kein Muslim ist. Dann fallen die Jugendlichen auch nicht auf Scheinargumente aus dem Internet rein. Das war auch das Problem bei mir. Es gab keinen Wissenden, der mich aufgeklärt hätte. Wenn man einen ungebildeten Jugendlichen allein lässt, radikalisiert er sich selbst. Dem möchte ich auch selbst mehr entgegensetzen, speziell auch in Weiden.
Sie schildern in Ihrem Buch auch den Fall eines Jugendfreundes von Ihnen aus Weiden. Er hat zusammen mit Ihnen die radikal-islamistische Propaganda entdeckt. Später ist er dann nach Syrien ausgereist und inzwischen dort ums Leben ist. Haben Sie keine Schuldgefühle?
Das ist schwierig. Ich will mir jetzt auch nicht einreden, dass ich der alleinige Schuldige bin oder ihn da hingeschickt habe. Es gab eine Zeit, wo er ziemlich vernünftig war und ich diese extremen Ideen hatte und ihn damit beeinflusst habe. Inwieweit das konkret bei seinem Tod und seiner Ausreise eine Rolle gespielt hat? Da bin ich mir nicht sicher. Aber bei solchen Fällen sieht man wieder den Ernst der Lage. Nämlich dass es da nicht nur ein paar Probleme gibt, sondern dass da Leute umkommen. Er zum Beispiel hatte sehr gute Aussichten, Profifußballer zu werden. Es ist immer extrem schade, wenn intelligente und talentierte junge Leute ihr Leben opfern für irgendeine Sache, die am Ende nichts gebracht hat. Geht es jetzt irgendjemandem besser? Hat es irgendjemandem geholfen? Im Gegenteil. Seine Familie leidet jetzt darunter und alle, denen er wichtig war und positiv hat’s nichts gebracht.
Irfan Peci, Johannes Gunst und Oliver Schrömm: Der Dschihadist. Terror made in Germany – Bericht aus einer dunklen Welt, 19,99 Euro, 400 Seiten, Heyne Verlag.
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