Warum Lenin Beethoven nicht mehr hören wollte

Gespräch mit Florian Henckel von Donnersmarck am Tag des Deutschland-Starts seines Films ?Das Leben der anderen?

24.03.2006 | Stand 24.03.2006, 17:36 Uhr

Von Helmut Hein, MZ

REGENSBURG. Es ist kein Donnerstag wie jeder andere. Ausgerechnet vor dem Regensburger Regina-Kino steht die schwarze Mercedes-Limousine, drinnen nimmt sich der 32-jährige Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck am Tag des Deutschland-Starts seines Films „Das Leben der anderen“ Zeit für ein ausführliches MZ-Gespräch, während sein aufgeregtes Team die Nominierungen für den deutschen Filmpreis nachzählt. Sieg auf der ganzen Linie, insgesamt elf „Kandidaturen“, selbst der härteste, nein: der einzig ernst zu nehmende Rivale, Hans Christian Schmids „Requiem“, bringt es nur auf zehn.

Ablehnung von Gefühlen

Am Ende eines langen, ereignisreichen Tages, der in Tübingen begann, steht dann der Zwei-Meter-Mann mit dem einschüchternden Adelsnamen entspannt und souverän vor „seinem“ Regensburger Publikum und erzählt noch einmal wie alles begann: Mit einer Lenin-Anekdote in einem Buch von Maxim Gorki nämlich, die ihn nicht mehr los ließ, seit er als Jugendlicher zum ersten Mal von ihr gehört hatte. Lenin spricht davon, dass er irgendwann Beethovens „Appassionata“ nicht mehr hören konnte, weil ihn diese Klaviersonate daran hinderte, sein revolutionäres Werk zu vollenden. Florian Henckel: „Wer Beethoven hört, kann keine Schädel mehr einschlagen, sondern will über Köpfe streicheln. Das ist doch unglaublich: Da hat einer menschliche Gefühle, aber er will sie nicht haben.“

Eine gute Stunde früher isst Florian Henckel von Donnersmarck Kaiserschmarrn, den die Regina-Chefin Doris Lerchl-Goldermann, keine Mühe scheuend, herbeigeschafft hat, studiert mit zustimmendem Brummen die MZ-Filmkritik und macht sich auf diese Weise fit für das anstehende Gespräch.

Wird wirklich gut, was lange währt? Hat er tatsächlich acht Jahre an dem Film gearbeitet oder ist das nur eine wunderbare Medienlegende? „Die Idee kam mir 1997. Aber wirklich hart gearbeitet habe ich nur fünf Jahre an dem Film.“ Nur! Und dann erzählt er vom langen Weg zu „Das Leben der anderen“, das Berlinale-Chef Kosslick noch verschmäht hatte. Mittlerweile aber ist es der Film, auf den sich alle einigen können – nicht nur, wenn es um Preise geht. Henckel: „Ich habe viel recherchiert. Bücher gelesen, Daten gesichtet, O-Ton-Dokumente gehört. Aber das war nur der Einstieg. Ich habe vor allem mit vielen Menschen gesprochen.“ Mit Prominenten oder mit Namenlosen? „Beides. Ich habe zum Beispiel mit Christoph Hein geredet, aber auch mit Schabowski.“ Schabowski, das Politbüromitglied, das mit einer längst legendären, entgleisenden Pressekonferenz dafür sorgte, dass die Mauer fiel und das Reich des realen Sozialismus sich in kürzester Zeit in Nichts auflöste. Später, als es um die Figur des Kulturministers Bruno Hempf geht, wird Florian Henckel sagen: „Das ist keine Karikatur. Genau so habe ich Schabowski und andere erlebt.“

Der „Konsens“-Vorwurf

Woher nimmt man die Energie, wenn man nicht persönlich betroffen ist, wie Leander Haußmann, Brusigk und andere. „Es stimmt, ich bin im Westen aufgewachsen. Aber meine Mutter kam aus Magdeburg. Da gab es Verbindungen. Ich war als Kind oft drüben. Da hat sich vieles eingeprägt.“ Und woher kommt der breite Konsens über diesen Film. Dieses eine Mal wirkt der sehr ruhige, aufmerksame, auch neugierige und wissensdurstige Florian Henckel von Donnersmarck ein wenig aufgebracht. „Konsens“, das war ja der Vorwurf, den ihm Peter Körte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gemacht hat, als sei das ein Makel. „Vielleicht liegt es ja an der Qualität.“

Und dann kommen Beispiele, die zuerst einmal doch überraschen. „Konsens gibt es doch auch bei ‚Doktor Schiwago‘. Oder bei ‚Vom Winde verweht‘. Filme, die einfach gut sind. Da ist keiner anderer Meinung. Oder Tolstoi. Wirft man ihm denn vor, dass er ein Konsens-Autor sei.“

Später, nach dem ersten Zorn, findet er noch andere Gründe. „Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht urteile. Oder gar verurteile. Ich nehme jede Figur ernst. Sogar den Hempf. Man sollte nie zu sicher sein, dass man auf der richtigen Seite ist. In der Kunst sowieso nicht.“

Ein Kunstwerk, das urteilt, ist keines mehr. Was überrascht, ist freilich der Vergleich mit dem großen Gefühlskino. Ist „Das Leben der anderen“ nicht eher streng, lakonisch, stilsicher. Es folgt ein Bekenntnis zu einem Kino, das etwas wagt, das nicht nur analytisch funktioniert, sondern ganz bewusst große Emotionen freisetzt. Henckel: „Ich möchte immer sehen, wie weit ich gehen kann. Ich habe nicht einmal vor dem Kitschvorwurf Angst. Davor hat man nur Angst, wenn man sich seines Geschmacks nicht sicher ist. Ich bin einer, der im Kino oft heult. Leider oft auch, wie ich feststellen musste, unter meinem Niveau. Das will ich als Regisseur nicht. Tränen ja, aber so, dass man sich nicht dafür schämen muss.“

Florian Henckel ist ein kluger Filmemacher. Er hat in Leningrad im Sommer des Putsches gegen Gorbatschow Russisch studiert, später in Oxford Philosophie, ehe er an der Münchner Filmhochschule das Kinohandwerk erlernte. Er hat selbst das Drehbuch geschrieben, „fünf Fassungen, jede anders“, er hat Regie geführt und am liebsten würde er sogar, wie manche große Regiekollegen von James Cameron bis David Lynch, auch seine eigene Filmmusik schreiben. Er versteht sich durchaus als „auteur“, aber eben nicht nur für wenige. „Es soll ein Kino für alle sein. Möglichst für alle.“

Kino für Herz und Seele

Der Verstand soll nicht schweigen, aber er ist nicht der erste Adressat. Sondern? „Herz. Seele.“ Vielleicht wächst ja in Florian Henckel von Donnersmarck ein großer Wagnerianer des Kinos heran. Einer, der das „Kraftwerk der Gefühle“, wie Alexander Kluge die Oper des 19. Jahrhundert beschrieb, als rede er schon vom Kino der Zukunft. „Ich habe Wagner so oft gehört, schon als Kind, dass ich ihn beinahe nicht mehr hören kann. Aber er war ein wichtiger Einfluss. Er ist mir nur in manchem zu hart. Vor allem der späte Wagner.“

Und Hollywood? Natürlich, so kann man Florian Henckels umwegige Reaktionen zusammenfassen, geht da der Weg hin, ist das der Traum. Aber er will sich Zeit lassen, nicht seine künstlerische Freiheit aufs Spiel setzen. Erfahrungen mit Hollywood hat er schon gemacht. Nachdem einer seiner Kurzfilme einen Preis gewann, durfte er monatelang in die Welt der „Universal“-Studios hineinschnuppern.