Kirche
Westpfahl-Bericht mit Spannung erwartet

Das Missbrauchs-Gutachten soll endlich Klarheit bringen. Was genau wusste der emeritierte Papst Benedikt ?

16.01.2022 | Stand 15.09.2023, 21:50 Uhr
Dem emeritierten Papst Benedikt XVI. (Archivfoto) wird Fehlverhalten vorgeworfen. −Foto: Sven Hoppe/picture alliance/dpa/dpa-Pool

Was steht drin im berüchtigten Westpfahl-Bericht? Diese Frage stellen sich Betroffene und Kirchenkritiker nun seit zwölf Jahren. So lange schon lag der Bericht über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising gut verschlossen bei der Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW).

2010 hatte München als erste deutsche Diözese diesen externen Bericht zu sexuellem Missbrauch und körperlicher Gewalt erstellt – der aber nie veröffentlicht wurde. Warum nicht? Darüber wurde nun jahrelang spekuliert. An diesem Donnerstag soll es Klarheit geben. Denn dann stellt die Kanzlei WSW ein neues Gutachten vor, das auf den Ergebnissen des ersten fußen und dessen Prüfung bis in die Kirchenspitze reichen soll.

Vorwurf: Fehlverhalten

Das ist im Münchner Bistum vor allem deshalb brisant, weil einer der Vorgänger des heutigen Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, von 1977 bis 1982 niemand geringerer war als Kardinal Joseph Ratzinger, der heute emeritierte Papst Benedikt. Kritiker werfen ihm schon seit geraumer Zeit Fehlverhalten vor – konkret beim Umgang mit dem Priester H. aus Nordrhein-Westfalen. Der Mann soll vielfach Jungen missbraucht haben und wurde zur Amtszeit Ratzingers aus NRW nach Bayern versetzt, wo er rückfällig wurde.

Der Fall dieses Priesters H., so wird es erwartet, wird einen wichtigen Teil in dem Gutachten einnehmen. Das Amtsgericht Ebersberg verurteilte den in Grafing bei München tätigen damaligen Kaplan H. im Juni 1986 wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu 18 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 4000 Mark. Die Bewährungszeit wurde auf fünf Jahre festgesetzt.

Mindestens vier mutmaßlich Betroffene

H. wurde angewiesen, sich in eine Psychotherapie zu begeben – und die Kirche machte ihn nur knapp 60 Kilometer entfernt in Garching an der Alz zum Pfarrer. Bislang haben sich vier mutmaßliche Betroffene gemeldet, die angeben, in Garching von H. missbraucht worden zu sein. Als der Fall 2010 bekannt wurde, formulierte Marx‘ Vorgänger im Amt des Münchner Erzbischofs, Kardinal Friedrich Wetter, eine Entschuldigung: „Ich habe die Fähigkeit eines Menschen zu persönlicher Umkehr überschätzt, und ich habe die Schwierigkeiten einer therapeutischen Behandlung von pädophil Veranlagten unterschätzt. Mir ist jetzt schmerzlich bewusst, dass ich damals eine andere Entscheidung hätte treffen müssen.“

Bekannt ist, dass es ein kircheninternes Dekret zum Fall H. aus dem Jahr 2016 gibt, aus dem in den vergangenen Jahren mehrere Medien zitierten. Zuletzt berichtete die „Zeit“, dass darin auch Ratzinger explizit genannt werde: Obwohl er von der Vorgeschichte des mutmaßlichen Missbrauchspriesters Kenntnis gehabt habe, habe er ihn in seinem Bistum aufgenommen und eingesetzt. „Statt kirchenrechtlich widersprüchlicher und damit wenig glaubwürdiger Dementi sollte Joseph Ratzinger beziehungsweise sein Sekretär Erzbischof Georg Gänswein sich nicht vor der damaligen Verantwortung drücken“, fordert Christian Weisner, Sprecher der Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Er sieht „katastrophale Langzeitfolgen für das Ansehen der Kirche“ und „ein trauriges Muster der üblichen Vertuschungen“.

Hätten Taten verhindert werden können?

Passend dazu sagt am Dienstag der Hamburger Erzbischof Stefan Heße als Zeuge in einem Missbrauchsprozess am Landgericht Köln aus. Heße war 2010 als Personalchef des Erzbistums Köln mit dem Fall eines Priesters befasst, der jetzt wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht steht. Bei der Befragung Heßes könnte es auch darum gehen, ob die Kirchenführung weitere Missbrauchstaten des Mannes hätte verhindern können.

Ratzingers Privatsekretär Georg Gänswein hatte die Vorwürfe gegen seinen Chef jüngst der „Zeit“ gegenüber entschieden zurückgewiesen: „Die Behauptung, er (Benedikt) hätte Kenntnis von der Vorgeschichte zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. gehabt, ist falsch“, sagte er. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. „begrüßt die Aufarbeitung in München sowie die Veröffentlichung des Gutachtens“, sagte Gänswein der „Bild“. Der frühere Erzbischof des Bistums München und Freising habe mit einer umfangreichen Stellungnahme zur Aufarbeitung beigetragen.

Kirchenkritiker Weisner hofft, „dass das zweite Münchner Missbrauchsgutachten auch ethische Kriterien miteinbezieht und konkrete Vorschläge macht, um weitere Missbräuche und Vertuschungen bestmöglich auszuschließen“. Er betonte: „Verantwortung kann nicht verjähren.“ (dpa)