Gesundheit
WG wider die Fresssucht gegründet

Der Verein „GEWISS“ bietet in Bruckdorf ein einmaliges Konzept für Übergewichtige an. Die Idee dazu stammt von Abnehm-Ikone Jack Handl.

16.12.2012 | Stand 16.09.2023, 21:03 Uhr

Stehen für „GEWISS“: Professor Dr. Thomas Loew, Leiter der Abteilung für Psychosomatik des Universitätsklinikums Regensburg, Sozialpädagogin Beate Leinberger und „The Biggest Looser“-Gewinner und Abnehm-Motivator Jack Handl im Therapiezimmer der Wohngemeinschaft für Schwergewichtige in Bruckdorf. Foto: Seidl

Man kann Sendungen wie „The Biggest Looser“ für gut oder schlecht halten. Für den Landkreis Regensburg hat die jüngste Staffel auf jeden Fall Folgen gehabt – positive Folgen. Denn der Sieger heißt Jack Handl und stammt aus Thalmassing. Er hat es nicht nur geschafft, einen Weg zu vernünftiger Ernährung und Lebensweise zu finden, er macht das Thema auch zu seiner eigenen Berufung. Handl ist dabei, sich als Abnehm-Motivator eine Zukunft aufzubauen.

Der Thalmassinger hatte auch die Idee einer Wohngruppe für Übergewichtige, die aus dem Fress-Teufelskreislauf herauskommen wollen. Bei Prof. Dr. Thomas Loew, Leiter der Abteilung für Psychosomatik des Universitätsklinikums Regensburg, hat er damit offene Türen eingerannt. Loew und sein Team betreuen auch das ambulante Therapiekonzept Optifast, das in Deutschland an 30 Kliniken angeboten wird.

„Gemeinsam tust du dich leichter“

Handl will mit der Wohngruppe die guten Erfahrungen, die er gemacht hat, auch anderen Menschen ermöglichen, die mit ihrem Übergewicht kämpfen. „Gemeinsam tust du dich viel leichter, kannst dich gegenseitig unterstützen.“

Der Abnehm-Spezialist und der Professor bewältigten in den vergangenen Monaten die entscheidenden Knackpunkte: passende Räume und ein funktionierendes Trägermodell. Denn eine Abteilung einer Uni-Klinik kann schließlich nicht einfach ein Gebäude mieten und eine Wohngruppe gründen. Handl fand in Bruckdorf das passende Gebäude. „Ich hab’ im Internet gesucht und bin zufällig fündig geworden.“ Und das sogar im doppelten Sinne: Denn der Vermieter heißt Lars Schmidt und ist Inhaber der Firma „deko + ART“. Er war von der Wohngruppen-Idee von Anfang an begeistert und richtete die Schlafräume und Bäder des früheren Wirtshauses neu ein – mit Gegenständen aus seinem Deko-Fundus.

Vereinsgründung bereitet den Weg

Nun ist alles für den Start bereit. Das Haus ist – zum Teil höchst originell – eingerichtet, die Trägerschaft über nimmt ein Verein, der sich „Verein Gegen den Inneren Schweinehund Sinzing“, kurz: „GEWISS“, nennt. Die Mitglieder rekrutieren sich aus „sehr engagierten Mitarbeitern der Abteilung“, wie sich Loew ausdrückt. Er selbst hat den Vorsitz übernommen.

Was Loew und Handl wichtig ist: Die Wohngruppe ist keine medizinische Einrichtung und wird auch nicht aus dem Gesundheitswesen (Kassen, Krankenversicherungen) finanziert.

Es handle sich um ein in Deutschland bisher einmaliges Angebot, das eine Lücke zwischen medizinischen Angeboten und dem freien, eigenverantwortlichen Leben von Menschen mit Gewichtsproblemen schließen soll, eine Art Selbsthilfegemeinschaft von Gleichgesinnten. Man wohnt, lebt und kocht gemeinsam mit Schicksalsgenossen, werkelt im Fitness-Studio, hält sich gemeinsam unter Kontrolle und schaut, dass man die Kurve kriegt, sagt Loew. „Wir stellen nur einen gewissen Rahmen.“

Der etwas abgelegene Standort in Bruckdorf passt zu diesem Prinzip. Zum einen biete sie einen gewissen Schutz vor Öffentlichkeit, zum anderen seien die nächsten Geschäfte doch ein gutes Stück entfernt. „Wer dann zu Fuß bis Sinzing oder zur nächsten Tankstelle marschiert, hat sich den Schokoriegel auch verdient“, erklärt der Psychiater schmunzelnd.

Die Finanzierung der Vorbereitungs- und Startphase verdankt „GEWISS“ einem Sponsor, der selbst Teilnehmer an Optifast war und dem Verein 10000 Euro zur Verfügung gestellt hat. Trotzdem suchen Loew und seine Mitstreiter nach Spendern, die die Arbeit von „GEWISS“ unterstützen. Auch Sachspenden seien willkommen, vor allem Fitnessgeräte („gerne gebraucht, aber bitte keinen Müll“) oder auch Walkingstecken – und massive Stühle, denn die künftigen Bewohner stellen zwangsläufig hohe Ansprüche an die Stabilität des Mobiliars.

Der Gemeinschaftsraum ist die ehemalige Wirtshausstube mitsamt der originalen Einrichtung. Auch das sehen die Initiatoren als Vorteil. „Die Leute lernen hier, praktisch am Wirtshaustisch zu sitzen und nichts zu trinken“, erklärt Loew – zumindest nichts kalorienreiches. Zum Bereich Ernährung wird der etwa 2000 Quadratmeter große Garten gehören. Loew stellt sich vor, dass die WG dort Gemüse anbaut, Holz für die Ofenheizung hackt und auch Gymnastik betreibt.

Die Interessenten werden sich zumindest in der Anfangsphase vor allem aus den rund 400 bisherigen Teilnehmern am Optifast-Programm re-krutieren. Das 300 Quadratmeter große Haus bietet Platz für acht Personen, auch Eltern mit Kindern („da gibt es ja oft gleich gelagerte Probleme“) können hier wohnen. Grundsätzlich wendet sich das Angebot an Erwachsene.

Die Startphase ist gesichert

Eine dauernde Betreuung wie etwa in einer Reha-Einrichtung wird es in der Wohngruppe nicht geben. Allerdings werden die Mitarbeiter im Rahmen des Optifast-Programms nach Bruckdorf kommen. Und für die Startphase hat Loew sogar einen Arzt aus Lettland aufgetan, der hier ein Praktikum absolviert und zwei Monate lang in der WG wohnen wird. Und auch Jack Handl, der mittlerweile eine entsprechende Ausbildung absolviert hat, wird mit der WG arbeiten. Anregungen, was man alles machen kann, hat er ja bei „The Biggest Looser“ zu Genüge gesammelt. Das Haus in Bruckdorf steht ab diesem Wochenende zur Verfügung und dann sollen möglichst die ersten Bewohner einziehen.