Kunst
Winfried Tonner: Der vergessene Meister

Maler Tonner wäre heuer 80 Jahre alt geworden. Kaum einer erinnert sich an ihn. Auch, weil sein wichtigstes Werk fehlt.

26.07.2017 | Stand 16.09.2023, 6:23 Uhr
Harald Raab

Tonners Gemälde „Großes Regensburger Familienbild“ Foto: MZ-Archiv

Das Publikum war begeistert, Akademie-Professoren nicht minder. Die ebenso kraftvollen wie geheimnisvollen Werke des Regensburger Malers Winfried Tonner waren in einem eigenen Raum einer Ausstellung deutscher Künstler präsentiert. Allerdings fand die von der Galeristin Marianne Schönsteiner-Mehr (Kunstkabinett, Regensburg) organisierte und kuratierte Ausstellung nicht in Regensburg statt, sondern einige tausend Kilometer entfernt: in der chinesischen Vier-Millionen-Stadt Wuhan. Das war vor neun Jahren.

Jetzt, zum 80. Geburtstag des 2002 verstorbenen Malers, gab es kein Zeichen der Erinnerung an Winfried Tonner, diese komplexe Künstlerpersönlichkeit, in Regensburg, der Stadt seines Wirkens. Es droht sich der Schleier des Vergessens über das umfangreiche, ebenso eigenständige wie eigenwillige Werk des Künstlers zu legen. Und das, obwohl Tonner mit den eine Generation älteren Kollegen Willi Ulfig, Kurt von Unruh und Otto Baumann zu denen gehörte, die für Qualität und Originalität Regensburger Malerei stehen.

Das Porträt der Familie Thurn und Taxis – Fürstin Gloria, Fürst Johannes und ihre drei Kinder – ist ein Meisterwerk dieses Genres.

Tonners Gemälde „Großes Regensburger Familienbild“, 1985 fertiggestellt, ist eingegangen in die Malereigeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Regensburg und weit darüber hinaus. Das Porträt der Familie Thurn und Taxis – Fürstin Gloria, Fürst Johannes und ihre drei Kinder – ist ein Meisterwerk dieses Genres und hat wegen des Streits zwischen Maler und dem Fürstenhaus bundesweit Schlagzeilen gemacht. Der Regensburger Museumsdirektor und Kulturdezernent Walter Boll prophezeite: Dieses Bild werde als einziges seiner Art relevant für die Malerei des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Regensburg sein. Wend von Kalnein, der damalige Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf, lobte das 2,05 auf 2,60 Meter große Öl-Tempera-Bild wegen seiner künstlerisch-handwerklichen Qualität.

Für das Auftragswerk waren mit Fürstin Gloria 70000 Mark ausgemacht. Es gab eine Anzahlung über 35000 Mark. Monate lang arbeitete Winfried Tonner fast täglich daran. Im Schloss hatte man ihm das verwaiste Atelier der verstorbenen Fürstin und Künstlerin Margarete zur Verfügung gestellt. Eins zu eins auf einem Karton stellte er den fürstlichen Auftraggebern seine raffinierte Komposition vor. Das Konzept wurde abgesegnet.

Ein Mann mit Haltung

Als Tonner das fertige Bild abgeliefert hatte, zeigte man sich im Taxis-Schloss wenig nobel. Statt die restlichen 35 000 Mark zu bezahlen, jammerte Fürstin Gloria, sie bekäme die hohe Summe bei ihrer Verwaltung nicht durch. Der Maler solle sich mit der Anzahlung zufriedengeben. Gatte Johannes sah sich wenig vorteilhaft, ja geradezu mephistophelisch dargestellt. Tonner ließ sich auf das wenig vornehme Spiel nicht ein. Er zahlte die 35000 Mark zurück und holte sein Bild ab. Zum Glück, denn nun konnte es nicht in einer Abstellkammer oder im Keller des Schlosses auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Es ist jetzt im Depot des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg als Leihgabe der Tonner-Witwe Heidi wohl verwahrt und hat seine Zukunft im Licht der Öffentlichkeit ganz sicher noch vor sich.

Werner Timm, seinerzeit Direktor der Ostdeutschen Galerie, stellte das „Skandalbild“ 1986 aus und erläuterte: „Im ‚Großen Regensburger Familienproträt‘ wagt sich Tonner 1984/85 an eine schwierige, selten gewordenen Aufgabe. Fünf Personen galt es zu malen, die Familie des Fürsten von Thurn und Taxis in der Regensburger Residenz. Überraschenderweise malte Tonner die Familie gleich zweimal im gleichen Bildraum. In einem lebensgroßen hochformatigen Bild im Bild stellt der Maler das fertige Familienporträt vor, das sich in der ein wenig steifen repräsentativen Gruppierung an eine bewährte Tradition anlehnt, wie sie exemplarisch Goyas Porträt der Familie des Fürsten Osuna zeigt. (... ) Das im Bilde vom Künstler selbst – damit Einbeziehung eines Autorenbildnisses – vorgeführte Gemälde ist einem nicht sichtbaren Betrachter zugewandt. Wer dieser Betrachter ist, verrät der Spiegel im Hintergrund, der das Fürstenpaar zeigt. Diese illusionistische Bildidee stammt wiederum von Velasquez, der sie in dem berühmten Bild ‚Las maninas‘ anwandte.“ Timms Fazit: Tonner habe ein ,Kammerstück der Malerei‘ abgeliefert. „Dem Maler ging es (mit den drei Wahrnehmungsebenen) um mehr als um ein sorgsam ausgeführtes Konterfei der fürstlichen Familie.“

Das Fürsten-Bild lässt sowohl handwerklich-malerisch wie künstlerisch-inhaltlich kulminieren, was Tonners Oeuvre auszeichnet. Nach anfänglich expressiven, bis hin auch zum Abstrakten tendierenden Arbeiten fand er seinen Stil, der im magischen Realismus der neuen Sachlichkeit und im Neuen Realismus der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts solide verankert ist.

Jedes Bild erzählt eine Geschichte

Für seine malerischen Kompositionen nutze er häufig die Bild-im-Bild-Idee, Spiegelungen, auch Trompe-l’oeil-Effekte oder malerische Collage. So schuf er in Porträts, Stillleben, Landschaften Bildwerke „zwischen Realität und Illusion“ (Werner Timm). Jedes Bild hat sein Geheimnis, erzählt eine Geschichte, ästhetisch hoch sensibel, oft voll Melancholie und Vanitas-Stimmung durchzogen und doch lebensprall. Eros und Thanatos begegnen sich, sind dem Künstler Geschwister.

Das Gesamtwerk, in der Hauptsache im Besitz der Witwe in einem Privatdepot, umfasst rund 100 Gemälde, 1500 Grafiken, 600 Aquarelle. Ausgewählte Arbeiten befinden sich in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, in der Staatlichen grafischen Sammlung München, das Fürstenbild im Germanischen Nationalmuseum, bei der Gesellschaft der Freunde des Hauses der Kunst, in der Ostdeutschen Galerie, in den städtischen Museen Nürnberg, Regensburg und Esslingen. Im Regensburger Kunstkabinett kann man sich eine repräsentative Auswahl grafischer Arbeiten vorlegen lassen.

Winfried Tonner war eine Künstlerpersönlichkeit mit charakteristischen Eigenschaften. Der Deutsch-Mährer, geboren 1937 in Brünn/Brno, ist von seinem Urgroßvater, dem Maler und Grafiker Josef Roller, und seinem Großonkel Alfred Roller, Direktor der Wiener Kunstgewerbeschule und berühmter Bühnenausstatter, künstlerisch vorgeprägt gewesen. Er konnte enthusiastisch über Kunst diskutieren. Im Auftreten vornehm, war er ein Herr, der unnachahmlich schwungvoll seinen Schal tragen könnte.

„Das malerische und grafische Schaffen Tonners verliert nicht an Wert. Es ist von beständiger Qualität.“

25 Jahre lang war Tonner bei den Jahresausstellungen im Haus der Kunst mit je zwei bis drei Bildern vertreten. Er starb mit 65 Jahren, wie er es liebte zu leben: unmittelbar nachdem er sich ausgiebig im Tanz gedreht hatte. Das war auf einem Künstlerfest in München. Herzversagen. Die Künstlerkollegen der Münchner Sezession ließen auf die Schleife Ihres Kranzes zur Beerdigung eine Erkenntnis Tonners Drucken: „Ich glaube, dass ich nicht nur malen soll, was ich sehe, sondern auch das andere.“

Wie es weitergehen kann mit dem Werk und dem Andenken an Winfried Tonner, fasst die erfahrene Galeristin Marianne Schönsteiner-Mehr so zusammen: „Das malerische und grafische Schaffen Tonners verliert nicht an Wert. Es ist von beständiger Qualität. Es kommt jetzt darauf an, Tonners Hauptwerk, das Fürstenbild, noch Regensburg zu holen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür könnte das Museum einen eigenen Tonner-Raum einrichten und dazu noch einige Arbeiten des Künstlers zeigen. Das wäre eine Attraktion – auch für Touristen.“

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