MZ-Serie
Zerrissen zwischen Drama und Baby

Schriftsteller und Schauspieler Franz Xaver Kroetz gilt als schwierig und genial. Seit 30 Jahren hadert er mit „Schimmerlos“.

31.08.2016 | Stand 16.09.2023, 6:38 Uhr
Als er mit dem Alkohol aufhörte, hörte Franz Xaver Kroetz auch mt dem Schreiben auf. Inzwischen wagt er sich vorsichtig an ein neues Stück. −Foto: dpa

Der Mann gilt als schwierig. Als schwieriger Dramatiker, als schwieriger Schauspieler, als schwieriger Partner. Franz Xaver Kroetz hat sich mit seiner Schreiberei beinahe in den Wahnsinn getrieben, hat sich besinnungslos gesoffen, in Wutattacken den Hausrat zertrümmert. „Aber ich hatte einen Schutzengel und habe nie einen Menschen erschlagen“, sagt der Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler über seine Exzesse. Als er das Saufen endlich aufhörte, war es auch mit dem Schreiben vorbei. Jetzt sieht man ihn hin und wieder in Fernsehrollen, obwohl er dieses Metier eigentlich verabscheut. Dabei hat Regisseur Helmut Dietl für ihn in der Serie „Kir Royal“ 1986 eine Kultfigur geschaffen: den Boulevard-Journalisten Baby Schimmerlos. Aber Kroetz mochte auch den nicht besonders: „Die Serie hat mir nicht gutgetan“, jammerte er später. „Da wurde ich für viele abtrünnig und korrupt, weil ich in so einer Scheiß-Serie, wie sie sagten, spielte.“

„Interessiert mich nicht mehr“

Im Februar dieses Jahres hat Kroetz seinen 70. Geburtstag gefeiert. Der Süddeutschen Zeitung, die darum bat anlässlich dieses Ereignisses mal wieder mit ihm über Gott, das Theater und die Welt zu sprechen, antwortete er schroff: „Gott interessiert mich nicht mehr, das Theater interessiert mich nicht mehr, und mit der Welt hab ich mich abgefunden.“ Kroetz’ mag sich in dieser Rolle – schroff und kauzig. Doch manchmal ist er auch noch ein bisschen Baby Schimmerlos. Etwa wenn ihn das Boulevard-Magazin „Bunte“ um ein paar zitierfähige Sätze bittet. Dann spricht er von seiner neuen Lebensgefährtin Juliane, in der er nach der Scheidung von Marie Theres Kroetz-Relin eine neue Liebe gefunden hat. „Ich kann nur jedem älteren Mann empfehlen, sich eine jüngere Frau zu suchen.“ Und dann zählt er noch all die Krankheiten auf, die ihn mittlerweile plagen. Die Arthrose in den Knien, der leichte Tinnitus, das Asthma und nicht zu vergessen der Diabetes. Der kommt vom Weißbier, das er früher täglich literweise getrunken habe, ist sich Kroetz sicher. „Heute trinke ich zur Schonung meiner Bauchspeicheldrüse Weißwein, gehe jeden Tag zwei Stunden spazieren und messe meine Werte.“

Kroetz stammte aus einfachen Verhältnissen. Die Mutter war gebürtige Österreicherin, der Vater hatte seine Wurzeln in Niederbayern, Kroetz kam in München zur Welt. Schon mit 13 Jahren fing er an zu schreiben. Mit 16 begann er am Wiener Max-Reinhardt-Seminar ein Studium, doch zwei Jahre später brach er es ab und hielt sich die nächsten Jahre mit Gelegenheitsjobs am Bau über Wasser. Nebenbei schrieb er.

Bis zu seinem Durchbruch als Dramatiker waren es bereits ein Dutzend Stücke. Seine Werke porträtieren Figuren, die im sozialen Elend leben, die immer wieder hoffnungslos scheitern. „Schreiben war ein Segen für mich. Beim Schreiben habe ich alles losgekriegt. Was mir privat nicht geglückt ist, habe ich in den Stücken abgeladen“, erzählte er in einem Interview mit der Zeitung „Die Zeit“. Die Premiere seines Stückes „Heimarbeit“ 1971 an den Münchner Kammerspielen wurden von protestierenden Rechtsradikalen gestört. Es ging um eine ungewollte Schwangerschaft, eine versuchte Abtreibung, einen Vater der schließlich das ungewollte Kind ertränkte.

Kroetz schrieb in den 70er wie ein Besessener. Seine Werke wurden in Hamburg, in Düsseldorf, in Zürich in Wien gespielt. Für die große Schauspielerin Therese Giese verfasste er das Bühnenstück und Fernsehspiel „Weitere Aussichten“, das zu einem großen Erfolg wurde.

1980 wagte er sich erstmals vor die Kamera – in einem „Tatort“. Dann spürte ihn Helmut Dietl auf – für seine Serie „Kir Royal“, die den damals 40-jährigen Kroetz auch abseits kulturinteressierter Kreise bekannt machte und bis heute an ihm haftet – so sehr, dass er sich immer noch ärgern muss. Die Figur habe zu einer „totalen Personalisierung“ geführt, klagte er der Süddeutschen Zeitung. Dabei hat er die Rolle einfach nur großartig ausgefüllt, so großartig, dass sie auch 30 Jahre später nichts von ihrem Charme verloren hat. „Ich kann mich ned konzentrieren, wenn Du mir dauernd Deine Titten zeigst“, sagt Schimmerlos zu seiner Sekretärin Edda. Darüber können sich nicht nur Journalisten auch heute noch amüsieren.

„Schreiben ist Selbstzerstörung“

Dass er den renommierten Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung nie bekam, dafür gibt Kroetz dieser Rolle die Schuld. „Ich glaube, man hat gesagt, man kann doch nicht dem Baby Schimmerlos den Büchner-Preis geben.“ Kroetz kehrte zurück zum Schreiben, bekam mit Marie Theres Relin drei Kinder und verlegte seinen Wohnsitz auf Teneriffa. Doch glücklich schien er auch hier nicht zu werden. Dabei war er seit den 1980er Jahren zum weltweit meistgespielten deutschen Dramatiker nach Brecht aufgestiegen. „Schreiben ist Qual, Selbstzerstörung, Vernichtung. Vermutlich wäre ich im Irrenhaus oder in der Trinkerheilanstalt, wenn ich nicht mit dem Schreiben aufgehört hätte“, sagt er 2010 der „Zeit“. Inzwischen arbeitet er wieder – an einem großen Theaterstück. Doch das will, so sagte er dpa anlässlich seines runden Geburtstags, nicht fertig werden. „Es ist kompliziert. Es soll großes, episches Theater werden und eben kein Fernsehspiel.“

Ein Angebot Dietls für den Film „Zettl“ noch einmal in die Rolle von Baby Schimmerlos zu schlüpfen, lehnte Kroetz 2010 nach langen Verhandlungen ab. „Ich hätte gerne eine große, böse, alte Sau gespielt, einen alten Mann, der aber noch eine Würde hat. Das war leider nicht gewünscht.“ „Zettl“ floppte an den Kinokassen.

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