MZ-Serie
Nur noch Scherben sind übrig geblieben

Verlassene Orte: In Neubau bei Weiden florierte seit 1799 die Glasveredelung und später in einer eigenen Hütte auch seine Herstellung.

02.11.2014 | Stand 16.09.2023, 7:13 Uhr
Fritz Wallner
Michael Meier (87, r.) und der Rothenstädter Heimatforscher Georg Kick vor der ehemaligen Glasfabrik in Weiden-Neubau. In einer winzigen Werkswohnung rechts unten wohnte Meier mit seiner Frau ab 1949. −Foto: Fritz Winter

Michael Meier geht das Herz über. Mit seinen 87 Jahren stapft er über das wuchernde Unkraut und durch die halb verfallenen Hallen, die einmal seine Arbeitsstätte waren. „Hier standen die Generatoren“, sagt er. Zu sehen ist fast nichts mehr. Ziegelsteine, Schutt, verbogene Stahlträger, zwei schwarze Löcher, die aus einer verfallenen Wand schauen. Wo einst die Glasschmelzöfen standen, wird heute Altpapier gepresst. An die sanitären Anlagen in dem Werk mit einst über 100 Mitarbeitern erinnert sich Meier mit Grausen: „Es gab nur Plumpsklos, das Wasser musste von zwei Brunnen herangeschafft werden, die Dusche war ein im Boden eingemauerter Betonring“.

Michael Meier ist einer der wenigen Zeitzeugen, die sich heute noch an den Betrieb der ehemaligen Glasfabrik in Neubau bei Weiden erinnern können. 1948, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, hat er hier als Elektriker angefangen. Direkt an der Fabrikmauer hauste er mit seiner Frau in einer winzigen Werkswohnung. „Die steht heute noch“, sagt er.

Torf diente als Heizmaterial

Bedingt durch die Lage an der Naab baute Christoph Gollwitzer aus der Ullersrichter Zweiglinie der Gollwitzer-Dynastie im Jahre 1799 ein Glasschleif- und Polierwerk. Die mundgeblasenen Scheiben, die von böhmischen Glashütten bezogen wurden, eigneten sich wegen der zahlreichen Unebenheiten und ihrer milchigen Farbe nicht zur Herstellung verzerrungsfreier Spiegel und mussten erst plan geschliffen, poliert und so veredelt werden. Christophs Sohn, Johann Adam Gollwitzer, war ein weitblickender Mann: Er kaufte zunächst die nahe gelegene Pirkmühle und besaß damit ein zweites Polierwerk. Wie bereits von seinem Vater geplant, baute er 1844 in Neubau zu den Polierwerken eine eigene Glashütte und ließ die Scheiben in seinen Schleifen weiterverarbeiten.

Zu jener Zeit herrschte allerdings in der Oberpfalz ein großer Mangel an Holz, denn die Wälder waren in den Jahrhunderten davor abgeholzt worden, weil der Brennstoff im „Ruhrgebiet des Mittelalters“ in Form von Holzkohle zur Eisenverhüttung gebraucht worden war. Als Weg aus der Holzkrise entwickelte Gollwitzer einen Glasschmelzofen, der mit Torf befeuert werden konnte, denn der Unternehmer hatte sich bereits zuvor 450 Tagwerk (rund 150 Hektar) Torfgründe im Weidener Stadtteil Mooslohe gesichert. Diese technische Pionierleistung, die 1856 von Friedrich Siemens gekrönt wurde. Er baute einen Regenerativ-Schmelzofen, dessen Wiederverwertung der Abwärme die Verbrennung von Gasen bei besonders hohen Temperaturen erlaubte.

Wechselvolle Geschichte der Hütte

Von dieser Technikgeschichte hatte Michael Meier keine Ahnung, als er 1948 in der Glashütte Neubau anfing. Vielmehr erinnert er sich an die Glasmacher, „die eigentlich immer Durst hatten“ und sich von den „Einträgern“ Bier aus der Hüttenschänke bringen ließen. Oder an die Hüttenoriginale. „Einer war drunter, der hat Hunde und Katzen geschlachtet und Blindschleichen gegessen“, erzählt der „Mich“. Kurz nach dem Krieg war die Not noch groß und die Essensrationen trotz schwerer Arbeit klein.

Die Eisenbahn brachte die Kohle

Mit dem Anschluss Weidens an die Eisenbahn im Jahr 1863 mit einem Abzweig ab 1865 in das böhmische Braunkohlenrevier bei Falkenau wurde die Glashütte von Torf und Holz unabhängig und die Schmelzöfen konnten mit Kohlegas befeuert werden. 1870 übernahm die Firma Krailsheimer & Miederer aus Fürth/Bayern die Fabrik, die wiederum 1873 von den „Oberpfälzischen Hütten- und Spiegelglaswerken Ges. m.b.H., vorm. Glashütte Ullersricht G.m.b.H. W. F. Besold“ übernommen wurde. 1899 schließlich ging diese Firma in der Tafel-, Salin- und Spiegelglas Weiden, vormals Eduard Kupfer, auf.

Der Beginn des 20. Jahrhunderts brachte revolutionäre Umwälzungen bei der Glasherstellung. Neue Glaswannen und mechanische Ziehverfahren nach Colburn und Fourcault machten das Mundblasverfahren und damit die Glasbläser überflüssig. In Weiden nahm 1928 eine Fourcault-Ziehanlage den Betrieb auf – der Betrieb in Neubau kam im gleichen Jahr zum Stillstand.

1930 übernahm die Altenstädter Bleikristallglasfabrik Beyer & Co. mit den Eigentümern Johann, Baptist und Ernst Kraus die Spiegelglashütte und stellte auf Hohlglasfertigung wie Gläser, Beleuchtungskörper oder Haushaltsschalen um. Im Gegensatz zu den Spiegelglasmachern waren die Hohlglasmacher, die oft aus Böhmen stammten, wenig angesehen. Der Rothenstädter Pfarrer Ries beklagte einen „sittlichen Tiefstand“, „religiöse Gleichgültigkeit“ und befand: „Herren und Knechte passen zusammen“.

Von 1943 bis 1945 wurde Beyer & Co. als kriegsunwichtig geschlossen, erst nach Kriegsende gingen die Werke in Altenstadt und Ullersricht wieder in Betrieb.

Während an einem Hafenofen Bleikristallglas produziert wurde, entstanden am Zweiten weiter Beleuchtungskörper oder Lampenschirme. Eine eigene Glasschleiferei und eine Malerei kamen hinzu. Elektriker Michael Meier hatte eine Menge zu tun. Er musste sich um die Lüftungen, die Kühlungen, die Ventilatoren und um die Beleuchtung kümmern. 1962 stellte Beyer & Co. die Rohglaserzeugung, im Jahr 1968 den kompletten Betrieb in Neubau ein. Neben den Ruinen der Fabrik liegt heute ein netter, kleiner Biergarten. Die ehemalige Hüttenschänke heißt jetzt „zur Kleinen Freiheit“.