Legenden
War der Kini gar kein Wittelsbacher?

In seiner jüngsten Biografie stellt Rudolf Reiser neue Indizien über Herkunft und Tod des Märchenkönigs Ludwig II. vor.

22.10.2010 | Stand 16.09.2023, 21:06 Uhr

Starnberg.Es herrschte spürbare Stille, als Dr. Rudolf Reiser zum Rednerpult schritt. Die gleißend hell erleuchtete Galerie der Kreissparkasse Starnberg war prallvoll – Fernsehen, Rundfunk, Presse, Gäste, Interessierte und viele Anhänger des unvergessenen Bayernkönigs Ludwig II. (1845-1886) drängten sich bis an die Treppe.

Rudolf Reiser, der 1941 in Regensburg an der Steinernen Brücke geborene Autor und Journalist (der übrigens 1964/65 bei der Mittelbayerischen Zeitung volontiert hat) stellte sein jüngstes von mehr als 60 Büchern vor: „König Ludwig II. – Mensch und Mythos zwischen Genialität und Götterdämmerung“. Das Buch ist reich bebildert, spannend und lebendig geschrieben und es beschäftigt sich mit einigen Thesen und Legenden, die seit dem Tode des Monarchen im Starnberger See nie verstummt sind. Diese Geschichten konnten nie unterdrückt werden und Reiser hat dafür in langwieriger Forschungsarbeit aus Archiven und Privatsammlungen zahlreiche neue Indizien zusammengetragen.

„I leg eana eiskalt um“

Rudolf Reiser behauptet, dass Ludwig II. nicht der Sohn von König Maximilian II. Joseph war, sondern vom Kellermeister Giuseppe Tambosi mit der Königin Marie Friederike von Preußen gezeugt wurde. Er behauptet, dass man den König am 13. Juni 1886 chloroformiert und anschließend im Starnberger See ertränkt hat – den Augenzeugen Dr. Gudden gleich mit, man war nicht zimperlich! Ein Mordkomplott also. Und er behauptet, ohne die visionäre Schöpfungskraft und das diplomatische Geschick Ludwigs würde es Bayern heute womöglich so gar nicht mehr geben. Die letzte These ist die am wenigsten umstrittene.

Dr. Reiser ist nicht beliebt bei den Königstreuen. Die Buchpräsentation musste diskret von einigen Bodyguards bewacht werden, alle Sparkassenkameras liefen. Reiser bekam unangenehme Telefonanrufe, einer aus Germering drohte ihm: „I leg eana eiskalt um.“ Dabei liegt dem langjährigen Journalisten der Süddeutschen Zeitung nichts ferner, als das Ansehen Ludwigs und der Wittelsbacher in den Dreck zu ziehen. Es ist die historische Wahrheit, die irgendwann ans Licht kommen muss. In der „guten alten Zeit“, sagt Reiser, „wurden die Leut auch blöd gehalten.“

Max konnte gar nicht der Vater sein

Ludwigs Papa, König Max II., hatte sich 1835 bei einer Lustreise in den Budapester Bädern eine Geschlechtskrankheit, den Tripper, eingefangen – eine grässliche, ansteckende und damals unheilbare Krankheit. Ungarische Zeitungen berichteten genüsslich darüber und auch in München schwirrten Gerüchte über Maximilians Handicap umher (er benötigte eine Silberkanüle zum Wasserlassen). Ludwigs Mama, die Königin Marie, wurde aber nachweislich nicht davon infiziert – ergo konnte Max nie im Leben der Vater sein. Um den dynastischen Nachwuchs zu sichern, wurde die Königin Marie mit Rotwein betrunken gemacht und von einem geeigneten Herrn vom Gardasee, dem erwähnten Giuseppe Tambosi, geschändet. Tambosis Tochter Leopoldine sieht dem smarten Prinzen Ludwig, ihrem Halbbruder, verblüffend ähnlich – Reiser zeigt der beiden Fotos als 18-Jährige nebeneinander. Auch Ludwigs Bruder Otto, als Otto I., 1886 bis 1916 König von Bayern, stammt von Tambosi und der erneut betrunken gemachten Königin Marie. Als einen Beleg dafür nimmt Reiser u.a. Stellen aus den bis heute unveröffentlichten „Geheimen Memorabilien“ des Hofarchitekten Leo von Klenze. Als Knabe wurde Ludwig von Max II. regelmäßig verdroschen, der Jüngling erlebte wahre „Hunger- und Prügeljahre“.

Nach Reisers Darstellung wird König Ludwig am 13. Juni 1886 aufgrund eines Mordplanes des Prinzen Luitpold am Würmsee, dem heutigen Starnberger See, umgebracht. Luitpold sah durch Ludwigs Baulust das Hausvermögen gefährdet und fürchtete obendrein, er könnte mit seiner Verlobten Sophie Charlotte Auguste, „Sisis“ jüngster Schwester, Nachkommen zeugen – womit die Wittelsbacher Blutlinie beendet gewesen wäre.

Bevor der König von Hohenschwangau nach Schloss Berg verbracht wurde, gab es einen ersten Versuch, ihn mit Chloroform zu betäuben – aber da konnte ein aufmerksamer Diener noch „dazwischenschlagen“. Abends wird der fast zwei Meter große und 120 kg schwere Ludwig in einer Kutsche chloroformiert, zum Seeufer gefahren und in dem nur 1,28 Meter tiefen See ertränkt. Der schmächtige Dr. Gudden, der mit seinem Mörder noch bis aufs Blut gekämpft haben muss, auch. Der König blieb unversehrt und „starb in Schönheit“. Gerade dieses Kapitel ist äußerst spannend.

Was wäre aus Bayern geworden?

An das Wittelsbacher Hausarchiv durfte Reiser nicht ran, auch eine DNA-Analyse Ludwigs wird es wohl nie geben. Aber der leibhaftige Prinz Alexander von Bayern sagte einmal zu Reiser bei einem Empfang in Schloss Nymphenburg: „Sie kommen der Wahrheit am nächsten.“

Dabei bleiben die Verdienste des Königs durch seine Herkunft doch ungeschmälert. Mit gewisser Bewunderung betont Reiser, dass Ludwig die TU gegründete, Wissenschaftler und Künstler ins Land holte, Wagner, Storm und Gustave Courbet förderte. Geschickt verbündete sich Ludwig nachher mit Bismarck: „Wäre er an Österreichs Seite geblieben, was hätte Bismarck, dieser Kampfhund, mit Bayern gemacht? Dann Finis Bavariae.“ Und Reiser sagt auch: „Ohne Ludwig II. würde uns auf der Welt keiner kennen. Neuschwanstein ist das einzige Gebäude auf der Welt, das jeder mit Bayern und Deutschland verbindet.“