Leben
Das Schloss mit der düsteren Geschichte

Hermann und Brigitte Kurzendörfer leben im Wasserschloss Pilsach, wo möglicherweise vor knapp 200 Jahren Kaspar Hauser gefangen gehalten wurde.

28.07.2010 | Stand 16.09.2023, 21:07 Uhr
Tanja Rexhepaj

Pilsach.Hier unten im Erdgeschoss ist es nur ein kleines Fensterchen, und wenn Hermann Kurzendörfer an seinem Profi-Küchenherd steht, den Blick auf die blau gemusterten Fliesen aus Sevilla gerichtet, hat er es sogar im Rücken. Oben im ersten Stock sind es eine in die Bodendielen eingebaute Klapptür und eine Keramikschale auf dem Wohnzimmerregal, die ihn und seine Frau Brigitte an das erinnern, wodurch der Ort, an dem sie seit 28Jahren leben, berühmt wurde: Hermann und Brigitte Kurzendörfer wohnen auf Schloss Pilsach, wo vor knapp 200 Jahren Kaspar Hauser eingesperrt gewesen sein soll.

„Fast tagtäglich wird man hier mit Kaspar Hauser konfrontiert“, sagt Brigitte Kurzendörfer. Die 68-Jährige bekommt Anrufe von Touristen, die sich über das Verlies unter ihrem Wohnzimmer informieren wollen oder von Nürnbergern, die glauben, daheim auf dem Dachboden etwas gefunden zu haben, was mit dem Fall Kaspar Hauser zu tun hat. Ihr Mann Hermann (72) muss nahezu täglich neugierige Ausflügler aus seinem Garten hinaus komplimentieren. „Vor Jahren hörten wir plötzlich oben jemanden Klavier spielen. Erst dachten wir, es wäre unsere Tochter. Aber als wir nachschauten, war es ein Amerikaner, der in Sachen Kaspar Hauser unterwegs war und einfach so hereinspaziert war“, erzählt Hermann Kurzendörfer.

Renovierung in Eigenregie

Im Laufe der Jahre sind die Eheleute zu wahren Kaspar-Hauser-Experten geworden. Kein Wunder: Seitdem sie Schlossherren auf Pilsach sind, hat die Debatte über den Ort des Kaspar-Hauser-Verlieses neue Nahrung bekommen. „Als wir das Schloss kauften, war es ein finsteres, kaltes Loch“, sagt Brigitte Kurzendörfer. Innerhalb von nur vier Monaten schafften sie es, die rund 400 Quadratmeter Wohnfläche wieder bewohnbar zu machen. Die Renovierungsarbeiten übernahm Architekt Hermann Kurzendörfer soweit es ging in Eigenregie. Beim Legen der Fußbodenheizung schließlich machte er den Sensationsfund: Unter der Treppe, dort, wo sich das Zwischengeschoss mit dem Verlies befindet, förderte er ein kleines Holzpferd zutage. Wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen: Das Pferdchen stammt aus der Zeit um 1820, also aus der Zeit der möglichen Gefangenhaltung.

Pilsach.Brigitte Kurzendörfer bewahrt das Pferdchen mit dem abgegriffenen Rücken verschlossen in besagter Keramikschale auf ihrem Wohnzimmerregal auf. Sie räumt ein, dass das Spielzeug auch den Kindern der Familie von Grießenbeck, die Schloss Pilsach von 1808 bis 1863 bewohnte, gehört haben könnte. „Aber mein Bauch sagt mir, dass es nicht so ist“, sagt Brigitte Kurzendörfer. Ihrem Bauchgefühl vertraute sie auch beim Kauf des Wasserschlosses. „Wir wollten schon immer ein Grundstück mit altem Baumbestand. Und als ich hier zum ersten Mal herkam, durchfuhr es mich wie ein Blitz und ich wusste: Das ist es.“

Diese Eingebung kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Gerade hatten die Kurzendörfers für sich und ihre beiden Töchter ein Einfamilienhaus gebaut. Und Schloss Pilsach gab es nicht umsonst: Die Erben inserierten das Schloss für rund eine Million D-Mark. „Aber es war alles kaputt, total verkommen“, sagt Brigitte Kurzendörfer. Der Weiher um das Schloss herum, war nahezu versumpft. Doch die Romantik des Ortes ließ Brigitte Kurzendörfer und mit der Zeit auch ihren Mann nicht mehr los. Sie verkauften ihr Haus und machten sich im Schloss an die Arbeit. „Hier steckt unsere Lebensarbeit drin.“

Ausstellungen in den Stallungen

Tatsächlich erinnert heute rein gar nichts mehr an die verfallene Schlossruine von damals. Der Garten ist traumhaft. „Es ist eine Oase“, sagt Hermann Kurzendörfer. In seiner lapislazuli-blau gestrichenen Bibliothek fühlt er sich am wohlsten. „Dieser Ort ist für mich beruhigend, man fühlt sich von der Welt abgeschieden.“ Zweimal im Jahr allerdings kommt die Welt zu ihnen: In ihrer Galerie „Glas und Keramik“, die teils im Schloss, teils in den dazugehörigen ehemaligen Stallungen untergebracht ist, stellt Brigitte Kurzendörfer Künstler von Weltrang aus. Den Traum von der Galerie hat sich die 68-Jährige erst auf Schloss Pilsach erfüllen können. „Die Doppelgarage in unserem Haus vorher, hat sich doch nicht dazu geeignet“, sagt Hermann Kurzendörfer.

Er erfüllte sich mit dem Schloss aber auch einen Traum, nämlich den von einer großen, professionellen Küche. Als leidenschaftlicher Hobbykoch hält er sich hier sehr gerne auf. An das Fensterchen, das zum Zwischengeschoss mit dem Verlies hingeht, hat er sich längst gewöhnt. Und die Klapptür im Flur des ersten Obergeschosses, durch die man in das Verlies hinein kommt, haben die Kurzendörfers mit einem Teppich verdeckt. Schließlich leben sie hier. Zwar mit der schaurigen Vergangenheit, aber nicht in ihr.