Drama
Brillant, schwierig und fallenreich

Jean Seberg wurde mit einem einzigen Film zum Star und Vorbild einer Frauengeneration: Dann geriet ihr Leben in Turbulenzen.

12.11.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg 1959 bei den Dreharbeiten zu dem Film „A Bout de Souffle“ (Außer Atem) von Jean-Luc Godard. Foto: akg-images GmbH

Mit einem einzigen Film – Jean-Luc Godards „Außer Atem“ – wurde sie 1959 zum Gesicht und zur Ikone der „Nouvelle Vague“ und zum role model einer ganzen Frauengeneration. Ihre Karriere aber begann schon zwei Jahre früher, da war sie noch keine 20, und sie war von Anfang an brillant, schwierig und fallenreich.

Der legendäre, aus Österreich stammende und dann in die USA emigrierte Otto Preminger („Exodus“), wollte die George Bernard Shaw-Version des Jeanne d’Arc-Stoffs verfilmen. Um die richtige Hauptdarstellerin zu finden, veranstaltete er ein beispielloses Monster-Casting. 18 000 Bewerberinnen wurden „gesichtet“ – was man hier durchaus im Wortsinn verstehen darf. Denn Preminger suchte vor allem nach einem ausdrucksstarken Gesicht. Die junge Jean Seberg aus dem ländlichen Iowa bzw. aus der noch ländlicheren Kleinstadt Marshalltown erhielt den Zuschlag. Und war von Anfang an überfordert.

„Immer wenn sich die Kamera auf mich richtete, hatte ich den Eindruck, ich würde gleich erschossen.“Jean Seberg, Schauspielerin

Später schilderte sie ihre frühen Erfahrungen auf dem Set so: „Immer wenn sich die Kamera auf mich richtete, hatte ich den Eindruck, ich würde gleich erschossen.“ Preminger war von Jean Seberg so überzeugt, dass er ihr gleich einen Sieben-Jahres-Vertrag gab, um den Goldfisch nicht mehr von der Leine lassen zu müssen. Jean Seberg aber kam mit dem Hollywood-System und vor allem mit dem autoritären Regie-Stil Premingers überhaupt nicht zurecht. Zwar drehte sie mit ihm noch „Bonjour Tristesse“, nach Francoise Sagans spät-existenzialistischem Bestseller. Der Film wurde zum Skandal, aber, wie schon „Die heilige Johanna“, nicht zum Erfolg.

Jean Seberg brach aus, heiratete 1958 den französischen Anwalt Francois Moreuil und ging mit ihm nach Europa. Zur Tragik Sebergs – die sich wie auf einem Stationenweg wiederholen sollte – gehört es, dass Moreuil in ihr offensichtlich weniger die Frau sah, die er liebt, sondern vielmehr den Star, der seinen eigenen Ambitionen dienen könnte. Denn Moreuil wollte vor allem als Künstler reüssieren, schrieb ein Drehbuch („Brennende Haut“) und verfilmte es zusammen mit Fabien Collin. Hauptrolle: Jean Seberg.

Godard war eine Erlösung

Da war es dann eine Erlösung, dass sie auf Godard traf. Der hatte als Kritiker der legendären „Cahier du cinéma“ fast ein Jahrzehnt lang über das Kino nachgedacht und ging jetzt daran, es zu revolutionieren. Kein Studio mehr, keine Kulissen und kein Kunstlicht, keine festgeschriebenen Dialoge in schlechter Theatertradition, sondern der Versuch, das wirkliche Leben dort einzufangen. Godard hatte das Glück, mit Jean Seberg und dem ganz jungen Belmondo zwei Schauspieler zu haben, die über sein Szenario frei improvisieren konnten und die ihre Rollen auf ganz neue Weise verkörperten. Es ging nicht so sehr um Darstellung, sondern um Präsenz. Authentizität hieß das Stichwort der Stunde.

Jean Seberg spielt die junge amerikanische Studentin Patricia, die in burschikoser Kurzhaarfrisur auf den Boulevards den „International Herald Tribune“ verkauft, so auf einen Filou und Kleinganoven trifft (Belmondo), der dummerweise einen Polizisten erschossen hat und schließlich von Patricia verraten wird – die so ihre eigene Haut retten möchte. Alles irgendwie frisch und zu Herzen gehend – und natürlich ein Film, der vom Gesicht Jean Sebergs und der sprichwörtlichen Visage Belmondos lebte. Jean Seberg war, ohne es zu wissen, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt.

Sie drehte in der Folge viele Filme, meist minderer Qualität, unter anderem die schon erwähnte „Brennende Haut“, lernte aber schließlich den sehr viel älteren Diplomanten und Schriftsteller Romain Gary, einen Mann mit „moustache“ (also Schnurrbart) und Manieren kennen, der ihr Halt gab – und prompt auch zwei Filme eher minderer Qualität mit ihr drehte. Immerhin hinderte er sie nicht an der Zusammenarbeit mit Robert Rossen, einem gern unterschätzten Routinier, der 1964 mit ihr „Lilith“ inszenierte, ein düsteres Kriegsheimkehrerdrama mit Warren Beatty und mit ihr als sirenenhafter Frau, deren Anziehung, der Männer gern erliegen, darin besteht, dass sie psychisch gestört ist. Für „Lilith“ wurde sie im Jahr darauf als beste Darstellerin für den Golden Globe nominiert. Das war es dann schon fast mit ihrer Filmkarriere, auch wenn sie 1970 noch in dem Blockbuster, also Kassenknüller „Airport“ mitspielte.

Nähe zu den Black Panthers

Dafür radikalisierte sie sich in ihren existenziellen und politischen Haltungen, suchte unter anderem die Nähe zu den Black Panthers, was ihr fast – oder ganz, die Interpretationen gehen da auseinander – zum Verhängnis wurde. Jedenfalls geriet sie ins Fadenkreuz von J. Edgar Hoover, der fast ein halbes Jahrhundert lang das FBI nach seinen Vorstellungen führte. Sie wurde observiert, es wurden „fake news“ produziert: Etwa, dass die immer noch mit Romain Gary verheiratete Jean Seberg ein Kind von einem Black Panther erwarte. Die vom Boulevard-Terror und von den geheimdienstlichen Operationen Gestresste erlitt eine Fehlgeburt, das Sieben-Monats-Kind starb. Es war unübersehbar weiß. Die Gerüchte hatten sich damit erledigt, Jean Sebergs Leben in gewisser Weise auch.

Die 1970er Jahre waren schlimm für sie, immer am Jahrestag des Kindstods versuchte sie sich angeblich umzubringen, im August 1979 starb sie dann, gerade einmal 40 Jahre alt, tatsächlich. Laut offizieller Versionbesuchte sie am 29. August 1979 die Premiere von „Die Liebe einer Frau“ ihres Ex-Ehemanns (sie hatte inzwischen ein drittes Mal geheiratet) Romain Gary. Seberg bildete sich ein, Gary habe in diesem Film ihre Beziehung mit ihm verarbeitet und von Romy Schneider darstellen lassen. Sie fühlte sich zutiefst verletzt, weil er sie nicht einmal gefragt hatte, ging nach Hause und brachte sich um.

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