Theater Regensburg
Der neue Chef der Company: Wagner Moreira bittet zum Tanz

13.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:02 Uhr
Wagner Moreira hebt ab, mitten auf der Gesandtenstraße: Der neue Chef der Tanz-Company am Theater Regensburg will mit Beginn der neuen Saison im September Kunst auf die Straße bringen. −Foto: Tino Lex

„Cool!“ Olivia (13) und Cora (4) schauen im Cafe Weichmanns auf dem Kameradisplay das Foto an, das Tino Lex gerade von ihrem Vater aufgenommen hat: Wagner Moreira hebt in der Gesandtenstraße ab. Mitten im Menschengewusel vollführt der zart gebaute und vor Energie sprühende Mann einen Riesensprung, die Rechte kraftvoll in den Himmel gestreckt.

Der neue Chef der Sparte Tanz am Regensburger Theater drückt in einer einzigen Bewegung viele Dinge aus: Er springt auf Regensburg an, so wie die Regensburger ab September hoffentlich auch auf ihn und seine Projekte. Und: Er will den Tanz auf die Straße bringen, zu Menschen, die nicht nur zuschauen, sondern bitte Teil der Performance werden sollen.

In Massa Mobil, der Produktion zum Spielzeit-Auftakt, wird die Company den Stadtraum erobern. Steinerne Brücke, Haidplatz und Stadtpark werden zum Schauplatz choreografischer Miniaturen, in die das Publikum peu a peu einsteigt. „Eine Einladung zum Tanz“, sagt Moreira. „Das wird bunt, spielerisch. Poesie im Alltag.“ Und es passt zu seiner neuen Heimat: Seit einer Woche wohnt der 45-Jährige an der Donau. Regensburg erlebt er als leicht, fröhlich, lebendig. „Eine Stadt, in der man unbedingt immer tanzen möchte!“

Alle zehn Künstler bei Massa Mobil sind „normativ“, erzählt der Choreograf, also: ohne Behinderung. Langfristig sollen auch nicht-normative Tänzer zur Company stoßen. „Die erste Saison wird eine Phase der Sensibilisierung“, erklärt er. Erste inklusive Workshops soll es geben. Seine Haltung: „Wir stehen nicht oben auf der Bühne und das Publikum sitzt unten und bewundert uns, sondern wir sind Menschen, Teil der Gesellschaft. Zugang und Zugehörigkeit bedingen einander. Und Kunst, das ist für mich ein sozialer Weg.“

Divers, inklusiv, kollaborativ, interdisziplinär: Bei Moreira klingen die Worte nicht nach Zeitgeist, sondern nach Menschlichkeit. Sein Antrieb, Distanz zu überwinden und kulturelle wie körperliche Barrieren zu überspringen, wurzelt in seiner eigenen Biografie.

2003 kam der Brasilianer nach Deutschland, Er hatte bei seinem Abschluss an der Royal Academy of Dance in London die Einladung erhalten, ein Tanzzentrum bei Münster zu leiten, und sagte zu. Er sprach Portugiesisch, etwas Englisch, kein Deutsch. „Ich musste ständig lernen, Barrieren zu überwinden“, sagt Moreira – auch in Belgien, USA, Kuba, Italien, Russland oder Polen, anderen seiner Stationen.

Hautnah ist ein Begriff, der beim Treff im Cafe immer wieder fällt. Genau so wird sich der neue Tanz-Chef auch zum Auftakt der Saison vorstellen. In „I play d(e)ad“, einem intimen Solo, das um den Suizid seines Vaters kreist. „Ich brauchte Jahre, um zwei Tabus zu überwinden“, sagt er - Nacktheit und Tod. Sein Vater hatte ihn auf seinem Weg unterstützt, obwohl er selbst zunächst mit Kunst wenig anfangen konnte. „Er war Schweißer, baute an Türmen und Hallen mit. Und am Ende baute er Bühnenbilder.“ Als Moreira das deutsche Wort Freitod lernte, verstand er plötzlich vieles. Es half ihm zu einer Haltung, die nicht bewertet, wie Menschen ihr Leben in die Hand nehmen – oder es weggeben: „Wer sagt, dass ich weiß, was für einen anderen Menschen richtig ist?“

Zum 45. Geburtstag führt Moreira das Stück nun erneut auf. „Es ist zart, spielerisch. Es feiert das Leben.“ Er schildert, wie sein Publikum bisher reagiert hat. „Am Ende bleibe ich auf der Bühne liegen. Ein Mann sagte: Geh’ deinen Weg!“

Ach ja, und die Sache mit dem Namen? Wagner ist in Brasilien ein gängiger Vorname, sagt Moreira. „Mit Richard hat das nichts zu tun.“

Wagner Moreira:Der Brasilianer, 1977 in Barbacena geboren, ist Tänzer und Choreograf. Er beherrscht klassischen, zeitgenössischen und Stepptanz und erhielt eine Reihe von Auszeichnungen.

Karriere:Zuletzt leitete Moreira die Tanzcompany in Dresden, an den Landesbühnen Sachsen. Sebastian Ritschel, der neue Intendant des Regensburger Theaters, holte ihn nun an die Donau.

Auftakt:Massa Mobil hat am 23. September Premiere, das Tanz-Solo „I play d(e)ad“ am 25. September. Die Performance wurde 2017 uraufgeführt und erhielt 2019 den Sächsischen Tanzpreis.