Der Stern tanzt noch

03.09.2022 | Stand 15.09.2023, 3:49 Uhr
Harald Raab
Der Regisseur Werner Herzog wird am 5. September 80. Der Regensburger Literaturwissenschaftler Wolfgang von Ungern-Sternberg kennt ihn seit Studententagen. −Foto: Herbert Neubauer, dpa

Filmlegende Werner Herzog wird am 5. September 80. Ein Regensburger kennt den Künstler, der als Sonderling und Draufgänger gilt, aus der Nahsicht: Sensibel sei er, und wissbegierig, sagt Wolfgang von Ungern-Sternberg.

Alle Scheinwerfer der kultur-medialen Beachtung sind auf ihn gerichtet. Werner Herzog, der begnadete Filmemacher, Autor und Schauspieler, wird am 5. September 80 Jahre alt. Mehr als 70 Filme hat er wider den Mainstream kreiert, fünf Bücher geschrieben. Mit Ehrungen ist er überhäuft: Ritter der Ehrenlegion Frankreichs und Träger diverser Orden und Filmpreise.

Zum Geburtstag ist im Hanser Verlag gerade seine Biografie erschienen: „Jeder für sich und Gott gegen alle – Erinnerungen“. Ein pralles Leben lässt der Münchner, der in Los Angeles eine zweite Heimat hat, Revue passieren. Dem Nietzsche-Diktum wird er in seiner Künstlerexistenz wie kaum ein zweiter gerecht: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“

Mit besonderer Aufmerksamkeit – und, wie er sagt, mit Respekt und Begeisterung – hat in Regensburg ein Mann die Biografie gelesen: Der frühere Antiquar und Literaturwissenschaftler Wolfgang von Ungern-Sternberg (81) kann aus unmittelbarem Erleben über die Geburt des „tanzenden Sterns“ in Werner Herzog erzählen. Er ist ein Jugendfreund und früher Weggefährte des Jubilars.

„Mit der Studentenrevolte von ’68 hatte er nichts am Hut“

Wolfgang von Ungern Sternberg, Spross aus altem baltischen Adel mit großer Liebe zur deutschen Literatur und Wieland-Spezialist, und Werner Herzog, Autodidakt, mütterlicherseits aus einer kroatischen Offiziersfamilie stammend, freundeten sich am traditionsreichen Münchner Max-Gymnasium an. Ein weiterer Freund Herzogs war der spätere RAF-Terrorist Rolf Pohle, Sohn eines Jura-Professors. „Mit der Studentenrevolte der ’68er hatte Herzog nichts am Hut“, sagt von Ungern-Sternberg. Er galt bei den Linken eher als konservativ, wurde gar als Präfaschist verunglimpft. Vor allem nach seinem Film „Aguirre – Der Zorn Gottes von 1972 mit dem exaltierten Klaus Kinski.“

Besonders in den ersten Studienjahren verbrachte Ungern-Sternberg viel Zeit mit Werner Herzog. Er erinnert sich: „Unsere Freundschaft beruhte wohl darauf, dass ich ihm nicht widersprochen habe. Ich nahm ihn so, wie er war. Seine Bestimmtheit, seine Visionen, sein Wille und seine absolute Konsequenz in seinen Handlungen und Zielen, die ich bewunderte, gehörten schon damals zu seinem Charakter.“

Typisch dafür ist eine Episode, als sich die 18-Jährigen im Tschibo-Laden in der Hohenzollern-Straße trafen, wo die Tasse Kaffee 20 Pfennige kostete. Herzog, der noch keinen Film gedreht hatte, erklärte, er werde mit Marlon Brando arbeiten. Keiner in der Runde widersprach ihm.

Anfang der 1960er begaben sich Herzog und Ungern-Sternberg mit einem alten VW auf Griechenland-Tour. Sechs Wochen lang erkundeten sie das Land. „Auch mit dem Hintergedanken, was man da filmisch machen könnte.“ Sie spürten auch der Arbeit des Herzog-Großvaters nach. Der war Archäologe und hat auf der Insel Kos das Asklepieion ausgegraben. Und tatsächlich hat Herzog 1967 dort seinen Spielfilm „Lebenszeichen“ gedreht. In diesem Film und dann auch noch in dem Streifen „Die beispiellose Verteidigung der Festung Deutschkreutz“ hat Ungern-Sternberg auch mitgespielt. „Als Soldat bin ich eine absolute Fehlbesetzung“, bekennt er. Bei anderen Filmen wie dem über das Leben des Kaspar Hauser (1974) hat er sein literarisches Wissen beigesteuert. Am Set hat der Freund den Regisseur kollegial, äußerst diszipliniert und keineswegs autoritär erlebt: „Er wusste, was er wollte, schuf ein kreative Atmosphäre und hat seine Schauspielerinnen und Schauspieler eigene Ideen entwickeln lassen.“

Als von Ungern-Sternberg nach Regensburg ging und Herzog seine große Karriere in den USA startete, trennten sich die Wege. Man trifft sich aber noch, gelegentlich in München bei Filmpreisverleihungen. Vor zwei Jahren war Herzog auch zu Besuch in Regensburg.

Dass Herzogs Filme in den USA, aber auch in Frankreich ein größeres Publikum erreichen, dass er im Ausland mehr als Star wahrgenommen wird als in Deutschland, sieht der Freund, neben wichtigen anderen Dingen, in zwei Tatsachen begründet: „Herzogs Filme atmen eine sehr männliche Atmosphäre und man sieht in ihm urdeutsches Wesen verkörpert.“ Bei deutschen Regisseuren wie Volker Schlöndorff, Alexander Kluge oder Edgar Reitz ist er „hochgeschätzt“.

„Herzog wird uns noch mit einigem überraschen“

Das Klischee als begnadeter Selbstdarsteller, Sonderling und Polemiker, das Herzog oft bedient, sieht Ungern-Sternberg als Schutzpanzer. Man müsse zwischen der öffentlichen Person und dem privaten Menschen Herzog unterscheiden. „Da ist er sehr sensibel, immer wissbegierig und einfühlsam. In seiner Arbeit ist er ein Draufgänger, neigt zu Extremen. Ich verdanke ihm viel. Ich habe von ihm sehr viel über die Kunst des Filmemachens gelernt.“

Was ist von Werner Herzog künftig zu erwarten? „Er wird uns noch mit einigem überraschen“, ist sich Ungern-Sternberg sicher und verrät: „Herzog ist der Meinung, dass er in seinen Büchern überleben werde. Filme seien ein zu sehr zeitgebundenes Medium.“