Kultur
Familientreffen mit Regisseurin Doris Dörrie in Amberg

29.08.2022 | Stand 15.09.2023, 3:51 Uhr
Doris Dörrie und ihre Tochter Carla Weindler in der Alten Feuerwache Amberg: In der Heimatstadt des stilprägenden Kameramanns kann man jetzt den kaum bekannten Fotografen Helge Weindler entdecken. −Foto: Andreas Brückmann

Doris Dörrie tanzt am Freitag ein bisschen in der Alten Feuerwache, zu Songs, die ihr Mann Helge Weindler gern hörte. Seine Heimatstadt Amberg entdeckt den Künstler gerade wieder, in einer Ausstellung zum 75. Geburtstag, gut 25 Jahre nach seinem Tod.

Die Hommage rückt nicht den stilprägenden Kameramann ins Licht, sondern den Fotografen, den kaum jemand kennt. „Ich bin begeistert“, sagt Doris Dörrie, die mit Tochter Carla Weindler für einen Ausstellungsrundgang in die Oberpfalz gekommen ist. Dass hier Weindler-Plakate zugunsten junger Bands zu kaufen sind, entzückt sie geradezu: „So sehr Helge vor Amberg geflohen ist, so sehr hätte ihm das gefallen.“

„Er sagte: Die Oberpfalz ist schön - manchmal furchtbar schön“: Simon Hauck, Münchner Filmjournalist aus Niederbayern, fasst Weindlers ambivalentes Verhältnis zur Heimat in ein Zitat. Weindler, Jahrgang 1947, blieb nicht lange in Amberg. Erst schmiss er die Schule, dann absolviert er eine Fotografenlehre - und schon war er weg, nach München, später nach Asien, Südamerika, immer wieder USA. Kurator Hauck hat sich tief in Weindlers Werk und Leben gegraben, 70 Interviews geführt und Hunderte Fotos gesichtet: in Dörries Schwabinger Arbeitswohnung und bei Wolfgang Herzer vom Kunstverein Weiden, der vor Jahren im Projekt „Beste Freunde“ an seinen Schulkameraden erinnert hat. Am Ende schaffen es in die Städtische Galerie Alte Feuerwache 104 Fotografien, darunter 44 Original-Polaroids.

Zweite Serie schaut auf Bauernblumen

Eine Serie zeigt Äpfel, in Spätsommerlicht getaucht und wie von den alten Meistern gemalt, die Weindler in der Alten Pinakothek München studierte, mit Tochter Carla, noch ein Krabbelkind. Eine zweite Serie schaut auf Bauernblumen, wie zart aquarelliert, in duftiger Unschärfe. Unter den USA-Impressionen bleiben eine menschenleere Tankstelle in extraterrestrischem Blau haften, Eisläufer im Central Park und ein Hotelzimmer im tristen Flackern von TV-Gerät und Funzel-Lampe. Unschärfe, Überbelichtung und die Verfremdung durch selbst gebaute Farbfilter lösen beim Betrachten kleine Störfeuer aus. „Den unvergleichlichen Weindler-Touch“, nennt es Hauck.

Auf Fotos an der Stirnwand lässt sich ein junger Mann studieren, Kragen hochgestellt, der in undefinierbare Ferne schaut, fokussiert ist und gleichzeitig auf dem Sprung. Auf einem Motorrad, Gitane im Mundwinkel, wirkt er unwiderstehlich frei. „Die Polaroid hatte er immer dabei“, erzählt Dörrie. „Die zog er wie einen Revolver. Der Schuss aus der Hüfte, das war sein Ding.“ Neben der Polaroid stehen in einer Vitrine Cowboystiefel mit aufgebogenen Spitzen. „Die Stiefel“, sagt Dörrie, „hat er getragen bis zuletzt.“

Von Iris Berben bis Gottfried John

Am 22. März 1996 kippte Helge Weindler um: Hirnhautentzündung. Er drehte gerade in Almeria „Bin ich schön?“, Regie: Doris Dörrie, vor der Linse das Who’s Who des deutschen Films, von Iris Berben bis Gottfried John. Weindler hatte Krebs und eine Transplantation bereits hinter sich, als er i Alter von 49 Jahren starb.

„Wir lernten uns an der Filmhochschule München kennen.“ Doris Dörrie erzählt im Amberg vom Anfang. Im Vorführsaal der FFH traf sie drei coole Typen. „Und der schönste war Helge.“ Sein Talent, sein singulärer Blick, machten damals schon die Runde. Licht, Raum, Brennweite - Regisseur Dominik Graf sagte später: „Ich habe nahezu alles von Helge Weindler gelernt.“

Zuzweitgehen sie nach Hollywood

Dörrie versucht also, Weindler für ihre Filme zu gewinnen. Beim dritten, „Männer“, klappt es. „Helge schleppte diesen Kamerabrocken auf der Schulter. Er hatte einen Box-Sack, um zu trainieren.“ Weil er hinterhergeht, dran bleibt, lange, durchchoreografierte Bewegungen schafft, braucht der Film nur 86 Schnitte. „Männer“ wird 1985 ein Riesenerfolg, Regisseurin und Kameramann werden ein Künstler-Doppel und ein Paar.

Zu zweit gehen sie nach Hollywood, wo sie sich wahnsinnig verlieben und 1987 heiraten, Dörrie: „In Albuquerque, wegen des Lichts. Und immer, wenn der Lichteinfall einen Apfel trifft, ein Zimmer, einen Menschen, denke ich an Helge.“ Das Paar bleibt in den USA fremd. Es packt eines Morgens wortlos, lebt in einer WG in München mit Ulrike Kriener, bekommt 1989 Tochter Carla, realisiert acht Filme.

Kriener, die viel später in Regensburg als ZDF-Kommissarin Lucas ermitteln wird, ist in Amberg dabei, auch einige alte Freunde. Viele werden am 24. September zur Finissage im Amberger Theater dazukommen. Zwei Regiearbeiten aus den 1970ern feiern da ihre digital restaurierte Weltpremiere.