Songwriter
Niels Frevert: Immer noch die Musik

Auf dem Weg zum Superstar: Niels Frevert veröffentlicht sein sensationelles sechstes Album „Putzlicht“.

02.10.2019 | Stand 12.10.2023, 10:20 Uhr
Helmut Hein

Der Musiker Niels Frevert zählt schon lange zu den besten deutschen Singer-Songwritern. Jetzt hat er sich ein bisschen neu erfunden. Foto: Britta Pedersen/zb/picture alliance/dpa

Selbst in der äußersten Verzweiflung hat man immer noch die Wahl. Bei Niels Frevert klingt das so. Entweder: „Heulen unter der Dusche.“ Oder aber: „Duschen beim Heulen.“ Hat Frevert, einst der Mastermind der Band „Nationalgalerie“, aber jetzt schon seit mehr als zwei Jahrzehnten solo, eine Wahl? Es sieht so aus. Lange war er ein „musician’s musician“, ein Liebling der Kollegen und der Kritiker, jetzt aber könnte, wie er selbst in seinem Song „Nie mehr wie vorher“ andeutet, vieles anders sein. Soll heißen: Die Charts warten. Denn „Putzlicht“, sein sechstes Album (Frevert lässt sich Zeit), ist eine Sensation: Da ist kein vergrübelter Liedermacher mehr am Werk, sondern ein vertrackter Poet, der in hintersinnigen Mini-Opern den Geheimnissen unserer Existenz auf der Spur ist. Ohne Pathos – es sei denn dem des Understatements und der Zurückhaltung. Und weitgehend auch ohne die vertrauten Bläser-Fronten.

Die Lyrics verdichten unser aller Alltag so, dass wir – nur scheinbar ein Paradox – zunächst sprachlos sind. Und bei der Musik weiß man beim ersten Hören nicht, was betörender ist: die Harmonien oder die Melodien. Sagen wir mal: beides! Manches erinnert von ferne an „The Cure“. Schließlich war und ist auch Mr.Smith ein Experte in Sachen euphorischer Trauer: Ja, man könnte weinen und bekommt doch Lust aufs Leben. Ein Leben, das komplex und voller Widersprüche ist. Niels Frevert blickt in den nächtlichen Himmel und entdeckt, wie könnte es anders sein, „Dunkelheit zwischen den Sternen“. So heißt es, fast schon leitmotivisch, in dem Titelsong „Putzlicht“. Putzlicht? So nennt man es, wenn nach einem Konzert oder einer Party „die Neonröhren angehen und brutal auf alles scheinen, was nach dem Fest noch übrig ist, damit ein paar Tapfere den Dreck wegmachen“.

Der Stil:Das Album:
Niels Frevert lässt den Stil des Liedermachers ein Stück weit hinter sich, aber nicht dessen Themen.„Putzlicht“ ist im September bei Grönland Records/Rough Trade erschienen. Die CD kostet rund 17 Euro, der Download kommt auf ca. 11 Euro und die LP gibt es für etwa 20 Euro.

Niels Frevert ist vielleicht ein Träumer. Aber keiner, der sich Illusionen macht. Er weiß, dass alles seinen Preis hat. Er weiß auch, dass manchmal Himmel und Hölle schwer zu unterscheiden sind – oder ineinander verrutschen. Warum das so ist? Mit so etwas darf man ihm nicht kommen: „Stell keine Fragen mit Warum!“ Für alle, die jetzt wie für immer der Blues packt, hat er einen doppelten Trost parat. Zunächst einmal die Allerweltseinsicht, „dass nach jeder Nacht einmal ein Morgen kommt.“ Und dann, für all die Anti-Super-Helden: „Man wird für seine Stärken bewundert, aber geliebt wird man für seine Schwächen.“

„Ich suchte nach Worten für etwas, das es nicht gab.“Niels Frevert

Warum aber – okay, Warum-Fragen soll man nicht stellen – warum also braucht Niels Frevert so lange, bis er ein neues Album fertig hat? Das letzte, „Paradies der gefälschten Dinge“, erschien schließlich 2014. Er selbst erklärt es so: „Ich suchte nach Worten für etwas, das es nicht gab.“ Nun ja; das ist am Ende zu verzweifelt-selbstkritisch. Vielleicht findet man die Antwort bei Robert Forster, dem Wahl-Regensburger für ein paar unvergessene Jahre, der, meinen Blick als Vorwurf deutend, sagte: „Ich schmiede Songs für die Ewigkeit. Einer im Jahr ist da mehr als genug.“ Ja, das passt auf Niels Frevert, diesen, je nach Geschmack, deutschen Bob Dylan oder Bruce Springsteen. Er sucht nach Auswegen für uns alle. Er weiß aber auch: „Der Weg nach draußen ist weit und leer.“

Mal reinhören? Bittesehr – der Song „Immer noch die Musik“:

Lust auf mehr Kultur?Hier geht’s lang!