Chanson
Noëmi Waysfeld und ihre jiddische Seele

Die Pariserin Noëmi Waysfeld interpretiert traditionelle jüdische Lieder auf sehr berührende Weise.

16.04.2021 | Stand 16.09.2023, 3:34 Uhr
Michael Scheiner
Noëmi Waysfeld wird in Frankreich von Fans und Kritik gefeiert. −Foto: Manuel Braun

Ein unausrottbares romantisches Klischee – Paris als Stadt der Liebe. Von Liebe singt auch Noëmi Waysfeld, von Liebe „mit geschlossenen Augen“. Nur verklärt die Pariserin keine pubertären Wallungen, sondern singt von einem Schneidergesellen dessen Sehnsucht immer intensiver (shener) wird, je weiter entfernt die Angebetete ist. Mit ihrem samtenen Alt gibt die französische Sängerin diesem aus tiefsten Tiefen seufzenden Herz-Schmerz-Sehnsuchts-Song eine purpurne Weichheit, die sich wie ein warmer Mantel um die Zuhörenden legt.

Der Text des Liedes geht auf ein Gedicht des in Cernowitz geborenen Schriftstellers Itzik Manger zurück, von dem noch weitere Songs stammen. Verfasst ist es in jiddischer Sprache, die Waysfeld fast so perfekt wie ihre Muttersprache beherrscht. Eingebettet ist „Mit farmakhte oygn“ in ein so eingängiges, wie unsentimentales Arrangements für Gitarre, Geige und Bass des Gitarristen Kevin Seddiki. Mit dieser gefühlvollen Ballade eröffnet die Pariserin mit russischen Wurzeln ihr neues Album „Soul of Yiddish“. Hörerinnen und Hörern will sie damit „die Sinnlichkeit und Spiritualität des jiddischen Liedes näherbringen“, wie sie in einem Interview sagte.

Inspiration: Album:
Noëmi Waysfeld singt, spielt Violoncello und ist auch auf der Theaterbühne daheim. In ihrer Musik verschmelzen vor allem die Kulturen Heimatloser und Entwurzelter, deren musikalisches Erbe sie pflegt.„ Soul of Yiddish“ ist bei AWZ Records/ Broken Silence erschienen; CD/ LP ca. 16/19 Euro.

Die 36-Jährige erfreut sich in der Musikszene Frankreichs außerordentlicher Beliebtheit, wird landauf-landab von Fans und Kritik gefeiert. Begleitet von Solisten wie bei Schuberts „Winterreise“ oder einer kammermusikalischen Besetzung wie auf dem aktuellen Album, füllt sie längst die Konzerthallen des Landes. Verglichen wird sie manchmal mit der verstorbenen Chansonnière Barbara, deren kummervolles „A Peine“ sie covert – ebenfalls auf jiddisch. Aufgewachsen in einem russisch-jüdischen Elternhaus, ist Waysfeld, die selbst Cello spielt, mit klassischer und Jazzmusik groß geworden. Nach einem Schauspielstudium am renommierten Conservatoire Supérieur d’Art Dramatique und einigen kleineren Theaterrollen konzentrierte sie sich allerdings lieber auf ihre andere große Leidenschaft, die Musik.

„Ich segle zwischen populärer und klassischer Musik.“Noëmi Waysfeld

Sie gründete die Formation Blik (Blick) und vertonte für ihr erstes Album Lieder russischer Gulag-Gefangener. Darin fusionierte sie auf brillante Weise jiddische Folklore und traditionelle Weisen mit Elementen aus Chanson, Jazz und Worldmusik. Mit „Alfama“, Album Nr. 2, fügte sie dem portugiesischen Fado eine vollkommen neue Note – auf jiddisch – hinzu. Als Gastmusiker begleiteten sie dabei der Jazzpianist Guillaume de Chassy und die Geigerin Sarah Nemtanu, die neben Seddiki, Antoine Rozenbaum (Bass) und dem Cellisten Christian-Pierre La Marca auch zur Besetzung von „Soul of Yiddish“ gehört. „Jiddische Lieder“, beschreibt Waysfeld ihr Verhältnis zu den oft schwermütigen, tragischen Überlieferungen, „gehen über Worte hinaus. Ich segle dabei zwischen populärer und klassischer Musik und versuche die Codes jeder Tradition zu entziffern, um sie einander näherzubringen.“

Auch wenn jiddische Musik in Deutschland eher einem kleineren Kreis vorbehalten ist, das 1940 von Aaron Zeitlin und Sholom Secunda geschriebene „Donna Donna“ über das Kälbchen, das sich nicht wehren kann als es zur Schlachtbank geführt wird, kennt so gut wie jeder. In Waysfeld sanft-mitfühlender Interpretation, unterlegt von Gitarre und Geige, rührt es zu Tränen.

Hier eine Kostprobe aus „Soul of Yiddish“: