Kultur
Regensburger zum Streit um Naumburger Dom: „Das Altarbild gehört da nicht hin“

06.12.2022 | Stand 15.09.2023, 2:36 Uhr
Der Marienaltar im Dom zu Naumburg: Die Seitenflügel wurden 1519 von Lucas Cranach geschaffen, das Mittelbild stammt von Michael Triegel. Drei Jahre lang arbeitete der Künstler an dem Gemälde. Jetzt verlässt das Meisterwerk den Westchor und geht auf Reise. −Foto: Michael Schmidt, dpa

Die Auseinandersetzung um das Altarbild im Naumburger Dom, gemalt von Lucas Cranach und Starkünstler Michael Triegel, schlägt bundesweit Wellen. Ein Regensburger Experte spielt eine Schlüsselrolle.

Drei Tage blieb der Naumburger Dom geschlossen. Wenn er morgen wieder öffnet, fehlt das meisterhaft gemalte Altarbild des Leipziger Starkünstlers Michael Triegel, das erst im Juli feierlich geweiht wurde und auf das die Vereinigten Domstifter so stolz sind. Das Mariengemälde mit den Seitenflügeln von Lucas Cranach dem Älteren wurde gerade abgebaut, fortgeschafft, reisefertig gemacht. Was ist da passiert?

In Naumburg tobt ein Streit von seltener Wucht, der bundesweit Wellen schlägt und zuletzt in Beiträgen von ZDF und „Die Zeit“ Niederschlag fand. Die Vorwürfe sind hart, der Ton zwischen Welterbehütern und Kirchenherren ist rau. Die Rede ist von übergriffigem Denkmalschutz, von Anmaßung, Herrschaftsgebaren und Frevel, von Täuschung und Verbohrtheit.

Der Streit kreist um den Westchor, ein Juwel des Hochmittelalters. Das Gefüge aus Architektur, Skulptur und Glasmalerei mit den zwölf weltberühmten Stifterfiguren, genial komponiert und seit dem 13. Jahrhundert wundersamerweise intakt geblieben, verschaffte dem Dom 2018 den Eintrag in die Welterbeliste. Der Titel schien zuletzt in Gefahr, der Grund: Der 3,50 Meter hohe Altaraufsatz, im Auftrag der Domstifter von Michael Triegel vervollständigt und im Westchor installiert, verstellt den Blick auf das frühgotische Gesamtkunstwerk, und zwar umso mehr, je näher man ihm kommt. Das jedenfalls sagt Achim Hubel, einer der Icomos-Gutachter, die für die Unesco das Welterbe in Deutschland im Blick behalten. „Man kann im Naumburger Dom vieles machen, man kann überall Altäre aufstellen. Aber eben nicht im Westchor, dem einzigen Grund, warum der Dom überhaupt Welterbe geworden ist.“

„Naumburg war gewarnt“

Naumburg war gewarnt, sagt der Denkmalpflege-Professor. Er zitiert einen ersten Besuch der Welterbehüter im Sommer 2020. Als die Domstifter die Entwürfe für das Altarbild zeigten, reagierten die Icomos-Gutachter laut Hubel glasklar: „Wir sagten, das geht nicht, das ist unmöglich.“ Ein Vertreter der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt versicherte später, man werde Abstand von den Plänen nehmen. „In Wirklichkeit lief das weiter“, so Hubel. „Am Ende stellte man das Retabel ohne Genehmigung der Denkmalschutzbehörden auf.“

Die Domstifter um Direktor Holger Kunde beriefen sich auf prominente Fürsprecher. 2021 legten sie ein Bündel Briefe vor, darunter ein Schreiben aus Rom. Ex-Papst Benedikt XVI., das frühere Oberhaupt der Katholiken, begrüßt da das Altarbild im protestantischen Dom. Joseph Ratzinger und Michael Triegel sind durch Kunst verbunden: Der Leipziger hat den Papst porträtiert, seit 2010 hängt das Bild im Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg.

Hochkarätige Mitstreiter fanden die Domstifter auch bei einer Tagung Ende November. Laut Homepage lobte dort der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp das Bild als Brückenschlag zwischen Geschichte und Gegenwart. Kölns Ex-Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner wird mit der Mahnung zitiert: Wer einem Sakralraum den Welterbe-Status verleiht, müsse akzeptieren, dass die Wiederaufstellung eines Altars weder den Denkmalwert des Raums, noch seinen Welterbe-Status gefährden könne.

Nur: Um eine Wiederaufstellung und die Rekonstruktion einer historischen Situation geht es hier gerade nicht, sagt Hubel. Stiftungsdirektor Kunde und andere Experten verweisen auf Rechnungsbücher aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die einen Marienaltar im Westchor belegen würden, und sagen: Das Altarbild heile eine „schwärende Wunde“ der Reformationszeit, als Bilderstürmer das Mittelstück des Cranach-Altars zerstörten.

Für Hubel und seine Kollegen dagegen ist klar: „Diese Wunde erweist sich immer deutlicher als Phantom. Der damalige Bischof Philipp hat das Bild nämlich nachweislich für den Ostchor gestiftet, den eigentlichen Hauptchor des Doms.“ Und vor allem: „Im Westchor kann das Retabel nie gestanden haben und es gehörte auch nie dorthin.“

Schon aus praktischen Gründen: Der Priester musste im Mittelalter nach Osten schauen, zur aufgehenden Sonne, einem Symbol für Christus. „Also musste der Geistliche in einem Westchor über den Altartisch hinweg nach Osten zelebrieren. Das war auch im Naumburger Westchor so. Da der Priester die Gläubigen segnen und ihnen Hostie und Kelch zeigen musste, kann auf dem Altar kein Retabel gestanden haben“, sagt Hubel. Außerdem, so der Welterbehüter weiter, stand der Altarblock so knapp an den Stufen, die zum Sanktuarium hinaufführten, dass der Priester, hätte er andersherum zelebriert, heruntergefallen wäre.

Keine Gefahr für den Titel

Das Altarbild geht nun also auf Reise. Ab Anfang 2023 ist es in Paderborn zu sehen, weitere Stationen sollen folgen. Ist damit der Welterbe-Titel gesichert? Der sei kaum in Gefahr, sagt Hubel. Das habe die Unesco indirekt auch ausgedrückt. Und: Das Welterbe-Komitee könnte den Fall erst 2024 beraten. „Einen Eintrag in die Rote Liste des gefährdeten Welterbes kann ich mir aber gar nicht vorstellen.“ Selbst wenn: Jahrelange Verhandlungen würden folgen.

Warum hat man das Altarretabel in Naumburg dann abgebaut? Hubel vermutet: „Wahrscheinlich mussten die Domstifter erkennen, dass es nie im Westchor stand.“