Außenansicht
Tschernobyl als Mahnung

Studien zu den Folgen von Tschernobyl zeigen, dass Atomstrahlung nicht nur Krebserkrankungen verursacht, meint die Autorin.

19.05.2021 | Stand 16.09.2023, 3:00 Uhr
Angelika Claussen
Die Autorin ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Vorsitzende der Ärzteorganisation IPPNW in Deutschland und Präsidentin der IPPNW Europa. −Foto: IPPNW/IPPNW

Die EU-Taxonomie beschäftigt sich mit der Frage, welche Investitionen künftig als nachhaltig einzustufen sind. Für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten, kann diese Einstufung weitreichende Konsequenzen haben.

Aktuell strittig sind Atomenergie und Erdgas. Während Deutschland Erdgas als nachhaltig deklarieren möchte, pocht Frankreich darauf, Atomenergie in den Taxonomie-Plan aufzunehmen.

Aus gesundheitlicher und ökologischer Sicht unverantwortlich

Aus gesundheitlicher und ökologischer Sicht ist das unverantwortlich, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 35 Jahre verdeutlichen. Neueste Studien zu den Folgen von Tschernobyl zeigen, dass Niedrigstrahlung nach Atomunfällen nicht nur Krebserkrankungen, sondern auch schwere Nicht-Krebserkrankungen und Auswirkungen auf das Erbgut verursacht.

Trotzdem ignoriert das Joint Research Center in Karlsruhe, welches die EU in Atomkraft-Fragen berät, die Ergebnisse großer medizinisch-epidemiologischer Studien. Mögliche strahlenbedingte Gesundheitsfolgen wie Hirn- und Herzinfarkte wurden von der westlichen Forschung lange nicht anerkannt.

Neuere Studien an Atomarbeitern aus Frankreich, Großbritannien und den USA zeigen jetzt, dass es bereits bei relativ niedriger und langsamer Strahlungsaufnahme zu tödlichen Infarkten kommen kann. Dies wurde in experimentellen Zellstudien nachgewiesen.

Die strahlenbedingte Linsentrübung wurde ebenfalls von internationalen Strahlenforschern anerkannt. Studien zu den Auswirkungen radioaktiver Strahlung während der Schwangerschaft belegten einen Anstieg fetaler Missbildungen und Schädigungen im Erbgut. Genetische Langzeitfolgen wurden zudem in der Tierwelt gefunden.

Experten pochen trotzdem auf Endlager-Lösungen

Trotzdem behaupten die Experten in Karlsruhe, Atomenergie sei unbedenklich und die Entsorgung von hochradioaktiven Brennstäben durch ein Endlager zu lösen. Bis heute existiert weltweit kein einziges funktionierendes Endlager. Ein Atomkraftwerk hat eine Laufzeit von 40 Jahren.

Zwei Generationen profitieren davon. 50 Generationen leiden unter den strahlenden Altlasten. Die Kosten für Bau, Modernisierung und Rückbau sind enorm. Indem die EU Atomenergie als nachhaltig einstuft, stellt sie wirtschaftliche Interessen willentlich über die der Gesundheit und der Umwelt.

Die Autorin (Foto: IPPNW) ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Vorsitzende der Ärzteorganisation IPPNW in Deutschland und Präsidentin der IPPNW Europa.

Die Außenansicht gibt die subjektive Meinung des Autors wieder und nicht unbedingt die der Redaktion.